Österreich-Konvent;                   Wien, 23. Dezember 2003

Ausschuss 1 -                         Mag. Schebach-Huemer

Stellungnahme zum Mandat              Klappe: 899 94

                                 Zahl: 000/1425/03

 

 

 

 

 

An den

Vorsitzenden des Ausschuss 1

des Österreich-Konvents

Univ. Prof. DDr. Heinz Mayer

Schottenbastei 10-16

1010 Wien

per email

 

 

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender!

 

 

Gerne übermittle ich Ihnen, als Vertreter des Österreichischen Städtebundes im Österreich-Konvent, eine Stellungnahme verbunden mit inhaltlichen Schwerpunkten zu dem vom Präsidium am 11.9.2003 beschlossenen Mandat für den Ausschuss 1.

 

1. Ausgangslage:

 

Die geltende Verfassung enthält primär Bestimmungen über die Machtverteilung, jedoch trifft sie kaum Aussagen über die ihr zu Grunde liegenden Werte. Die Österreichische Bundesverfassung enthält keine Definition sogenannter Kernaufgaben, abgesehen von der Kompetenzverteilung nur wenige Aussagen über staatliche Aufgaben und erst in den letzten Jahren haben einige wenige Staatszielbestimmungen Eingang in die Verfassung gefunden.

Aus diesem Grund wird das B-VG auch vielfach als "Spielregelverfassung" bezeichnet.

 

Im Rahmen des Österreich-Konvents ist daher darüber zu beraten, ob die zukünftige Bundesverfassung einen eigenen Katalog von Kernaufgaben, Staatsaufgaben bzw. Staatszielen enthalten soll.

 

2. Kernaufgaben

 

Aus der Sicht des Österreichischen Städtebundes sollte die Österreichische Bundesverfassung einen eigenen Katalog von Kernaufgaben enthalten. Dieser Kernaufgabenkatalog soll Angelegenheiten festlegen, welche - unabhängig von parlamentarischen Mehrheiten - unter allen Umständen von staatlichen Organen, dies sind Organe, die organisatorisch den Gebietskörperschaften eingegliedert sind oder zumindest in deren Auftrag, unter deren Kontrolle und unter deren Verantwortung tätig werden, zu besorgen sind. Dabei kann auch normiert werden, dass bestimmte, eng abgegrenzte Angelegenheiten von den Organen ausschließlich durch hoheitliches und nicht durch privatwirtschaftliches Handeln zu vollziehen sind. Damit ist aber zwangsläufig eine Beschränkung des rechtspolitischen Handlungsspielraums des einfachen Gesetzgebers verbunden.

 

Bei der Festlegung von staatlichen Kernaufgaben sollte aber Zurückhaltung geübt werden. Es soll insbesondere vermieden werden, dass eine taxative Aufzählung die staatliche Tätigkeit verfassungsrechtlich begrenzen könnte, etwa aufgrund von neoliberalen Vorstellungen.

 

Jedenfalls als Kernaufgaben müssen die allgemein zur Daseinsvorsorge gezählten Aufgaben der Gebietskörperschaften definiert werden.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse auch im EU-Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents vom 18. Juli 2003, Zl. CONV 850/03, in Art III-6 weiterhin Erwähnung finden. Die EU gibt somit zu erkennen, dass sie die Leistungen der Daseinsvorsorge als Grundpfeiler des Europäischen Gesellschaftsmodells betreffend die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit auf hohem Niveau und die finanzielle Verträglichkeit der genannten Dienstleistungen für die Bürger respektiert.

 

Leistungen des Daseinsvorsorge sind jene Dienstleistungen, die im öffentlichen Interesse erbracht werden und mit einer Gemeinwohlverantwortung verbunden sind. Die Daseinsvorsorge umfasst solche Aufgaben die hinsichtlich ihrer Aufgabenerfüllung anderen Gesetzen als denen des Freien Marktes gehorchen und insbesondere Kriterien wie der Versorgungssicherheit, der sozialen Erschwinglichkeit, der Gesundheit oder der Nachhaltigkeit unterliegen. Bei diesen Leistungen muss aus der Sicht des Österreichischen Städtebundes die Sicherung und Verbesserung, nicht aber die Privatisierung im Vordergrund stehen.

 

Bei der Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge nehmen die Gebietskörperschaften, allen voran die Städte und Gemeinden, eine zentrale Rolle ein. Die Städte und Gemeinden sind neben der tatsächlichen Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge auch dafür verantwortlich, dass die notwendige Infrastruktur zur Aufgabenerfüllung vorhanden ist.

 

Der Österreichische Städtebund spricht sich dafür aus, das Recht auf eine optimale Versorgung, mit den Leistungen der Daseinsvorsorge (Trinkwasserversorgung, Verkehr, Energie, Gesundheits- und Sozialdienstleistungen), verbunden mit der Erhaltung der notwendigen Infrastruktur, in der Bundesverfassung als Kernaufgabe zu verankern.

Damit soll festgelegt werden, dass die öffentliche Hand zum einen nicht gezwungen werden kann, sich ihrem Eigentum an Infrastruktur entledigen zu müssen und zum anderem, dass sie sich aufgrund von steigenden Privatisierungstendenzen dieser Verantwortung zur Leistungserbringung nicht völlig entziehen kann.

 

Leistungen der Daseinsvorsorge sind Angelegenheiten, die von den Gebietskörperschaften sowohl privatwirtschaftlich als auch hoheitlich (vgl. Wiener Wasserversorgungsgesetz), jedoch auch in Form der Ausgliederung oder Belehnung von Privaten besorgt werden können. Durch die Verankerung der Daseinsvorsorge in der Bundesverfassung soll sichergestellt werden, dass die Leistungen der Daseinsvorsorge nicht völlig unabhängig von staatlicher Einflussnahme durch Private in freier Konkurrenzwirtschaft erbracht werden können.

 

 

3. Staatsaufgaben

 

Staatsaufgaben, die keine Kernaufgaben darstellen, sollten weiterhin als Gesetzgebungskompetenzen verstanden werden, d.h. als Ermächtigung für den Gesetzgeber. Hier wird es angebracht sein, jeden einzelnen Tatbestand des bestehenden Kompetenzkatalogs zu prüfen und festzulegen, welche Staatsaufgaben weiterhin im neuen Kompetenzkatalog festgelegt werden sollten und welcher sich der Staat entledigen könnte.

 

4. Abgrenzung Kernaufgaben – Staatsaufgaben

 

Die Abgrenzung der Kernaufgaben des Staates, die im Mandat an den Ausschuss gefordert wird, von anderen Aufgaben, die für das Gemeinwesen zu erfüllen sind, ist – ausgenommen bei solchen, über die praktisch keine Differenzen bestehen (wie bei der Rechtspflege oder der Sicherheitspolizei), – eine Frage der ideologischen Positionen jener, die darüber zu befinden haben. Das Gleiche gilt für die Abgrenzung der Angelegenheiten, die ausschließlich in Formen der hoheitlichen Vollziehung zu besorgen sind, von jenen, für die privatrechtliche Handlungsweisen vorgesehen sein sollen. Eine Durchsicht des Kompetenzkatalogs des B-VG lässt erkennen, dass allgemeine Kriterien für eine Zuordnung zur einen oder anderen Kategorie kaum zu finden sind.

Aus der Sicht des Österreichischen Städtebundes sollte die  Abgrenzung nicht nur aufgrund von Kostenüberlegungen erfolgen, sondern entscheidend sollten auch Bürgerserviceaspekte, demokratiepolitische und gesellschaftspolitische Überlegungen sein.

 

Was die Problematik betrifft, ob die Verfassung – sozusagen als Negativkatalog – von vornherein Angelegenheiten festlegen soll, die überhaupt nicht als Staatsaufgaben in Betracht kommen oder nur einer ausgelagerten, privaten Besorgung zugänglich sein sollen, vertritt der Österreichische Städtebund die Ansicht, dass eine solche Vorgangsweise den rechtspolitischen Handlungsspielraum des einfachen Gesetzgebers in noch höherem Maße Grenzen setzen würde als dies aufgrund der großen Regelungsdichte des Österreichischen Bundesverfassungsrechts ohnedies schon derzeit der Fall ist.

 

Bei einer bundesverfassungsgesetzlichen Regelung der Auslagerung, sollte man sich jedenfalls darauf beschränken, einen Verfassungsrahmen vorzugeben (Ermächtigung, Rechtsformen, Kontrolle, Verantwortlichkeiten). Die Festlegung der Grundzüge ist Aufgabe des Ausschusses 7!

 


5. Staatsziele

 

Die Festlegung von Staatszielen bedeutet einerseits, dass der Bundesverfassungsgesetzgeber seinem Regelungswerk ein Programm voranstellt, das er in der Folge in den materiellen Bestimmungen einzulösen gedenkt. Staatsziele beinhalten Wertvorstellungen, die die Gestaltung des Gemeinschaftslebens im Staat betreffen.

 

Einerseits stehen solche programmatischen Ziele mit der Wertneutralität eines Verfassungswerkes im Spannungsverhältnis, andererseits sind darin Versprechungen und Ankündigungen von Staatshandeln enthalten, die – ausgenommen, wo Gesetzeskompetenzen zur Verfügung stehen – nicht umsetzbar sind und dem Einzelnen auch keine subjektiven Rechte eröffnen; sie stellen sich als bloß schmückendes Beiwerk dar. Andererseits bergen sie aber die Gefahr in sich, dass sie in der Judikatur als Auslegungsregeln der Entscheidungspraxis zugrunde gelegt werden und dadurch dennoch rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, die auch budgetär ins Gewicht fallen können.

 

Aus der Sicht des Österreichischen Städtebundes ist daher bei der Aufnahme von Staatszielbestimmung eher Zurückhaltung geboten. Jedoch sollten sich Werte/Ziele wie etwa Vollbeschäftigung, sozialer Fortschritt, die Gleichstellung von Mann und Frau, Umweltschutz in einem Staatszielkatalog finden. Diese Staatsziele sollten in Zukunft auch eine gewisse Bindungswirkung für den Staat entfalten und nicht nur bekenntnishaften Charakter haben.

 


6. Präambel

 

Die Voranstellung einer Präambel vor ein Gesetzeswerk entspricht nicht der österreichischen Rechtstradition. Sie ist – mit noch geringerer rechtlicher Wirksamkeit – nur Ausdruck der Intentionen der verfassungsgebenden Körperschaft, die in der Regel von ideologischen oder religiösen (vgl. Streit um „Gott“ im EU-Verfassungsvertrag) Wertvorstellungen geprägt ist, und sollte in eine Verfassung, die sich doch noch eine gewisse Wertneutralität bewahren will, nicht Eingang finden.

Entschließen sich die Mitglieder im Konvent im Zuge der Beratungen dennoch dazu, der Verfassung eine Präambel voranzustellen, sollte diese insbesondere Werte wie Demokratie, Rechtsstaat, Freiheit, Toleranz und soziale Sicherheit enthalten.

 

Mit der Bitte um entsprechende Kenntnisnahme verbleibe ich,

 

 

mit vorzüglicher Hochachtung

 

 

 

 

Dr. Michael Häupl

Bürgermeister

Präsident

des Österreichischen Städtebundes