Textvorschlag Umweltschutz (Raschauer)

Zweiter Entwurf vom Jänner 2004

 

Art X (1) Die Republik Österreich bekennt sich zum umfassenden Umweltschutz.
Dies umfasst insbesondere die Bewahrung ökologischer Systeme und ihrer Vielfalt sowie die Vorsorge vor schädlichen Einwirkungen und die Behebung bestehender schädlicher Einwirkungen.
(2) Maßnahmen, die der Herstellung oder Nutzung von Atomwaffen und der Nutzung der Kernspaltung zum Zweck der Energiegewinnung dienen, sind verboten.
(3) Die Beförderung von spaltbarem Material auf österreichischem Staatsgebiet ist untersagt, sofern dem völkerrechtliche Verpflichtungen nicht entgegen stehen. Von diesem Verbot ausgenommen ist der Transport für Zwecke der ausschließlich friedlichen Nutzung, nicht jedoch für Zwecke der Energiegewinnung durch Kernspaltung und deren Entsorgung. 

 

Geltendes Recht:

Das BVG umfassender Umweltschutz, BGBl 491/1984, lautet:

§ 1. (1)  Die Republik Österreich  (Bund, Länder und  Gemeinden) bekennt sich zum umfassenden Umweltschutz.

(2) Umfassender Umweltschutz ist die Bewahrung der natürlichen Umwelt als Lebensgrundlage des Menschen vor  schädlichen Einwirkungen. Der umfassende Umweltschutz besteht insbesondere in Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft, des Wassers und des Bodens sowie zur Vermeidung von Störungen durch Lärm.

Das BVG atomfreies Österreich, BGBl I 149/1999, lautet:

§ 1. In Österreich dürfen Atomwaffen nicht hergestellt, gelagert, transportiert, getestet oder verwendet werden. Einrichtungen für die Stationierung von Atomwaffen dürfen nicht geschaffen werden.

§ 2. Anlagen, die dem Zweck der Energiegewinnung durch Kernspaltung dienen, dürfen in Österreich nicht errichtet werden. Sofern derartige bereits bestehen, dürfen sie nicht in Betrieb genommen werden.

§ 3. Die Beförderung von spaltbarem Material auf österreichischem Staatsgebiet ist untersagt, sofern dem völkerrechtliche Verpflichtungen nicht entgegenstehen. Von diesem Verbot ausgenommen ist der Transport für Zwecke der ausschließlich friedlichen Nutzung, nicht jedoch für Zwecke der Energiegewinnung durch Kernspaltung und deren Entsorgung. Darüber hinaus sind keine Ausnahmegenehmigungen zu erteilen.

§ 4. Durch Gesetz ist sicherzustellen, daß Schäden, die in Österreich auf Grund eines nuklearen Unfalles eintreten, angemessen ausgeglichen werden und dieser Schadenersatz möglichst auch gegenüber ausländischen Schädigern durchgesetzt werden kann.

 

Eine längere Liste von umweltbezogenen Pflichten des Landes enthielt das Kntn Umwelt-Landesverfassungsgesetz, LGBl 42/1986 (nunmehr zum Teil integriert in die Kntn Landesverfassung). Nach Art 9 der Sbg Landesverfassung gehören zu den "Aufgaben und Zielsetzungen des staatlichen Handelns" insb "die Bewahrung der natürlichen Umwelt und der Landschaft in ihrer Vielfalt und als Lebensgrundlage für den Menschen sowie der Tier- und Pflanzenwelt vor nachteiligen Veränderungen und die Erhaltung besonders schützenswerter Natur in ihrer Natürlichkeit".

 

Ausländische Verfassungstexte sind kaum vergleichbar. Vgl Art 20a GG: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung".

Knapp gehalten sind § 20 Finn. Verfassung: "Das Gemeinwesen wirkt darauf hin, daß für alle eine gesunde Umwelt gesichert ist" und Art 21 Niederl. Grondwet: "Die Sorge des Staates und der anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften gilt der Bewohnbarkeit des Landes sowie dem Schutz und der Verbesserung der Umwelt". Umfangreich und kasuistisch ist Art 66 der Port. Verfassung.

 

Anmerkungen:

Die derzeitige praktische Bedeutung des BVG umfassender Umweltschutz wird insb von Gutknecht (Kommentierung dieses BVG in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, Bd IV), Raschauer (in Kerschner, Hg, Staatsziel Umweltschutz, 1996, 57) und Weber (in FS 75 Jahre Bundesverfassung, 1995, 711) veranschaulicht. - Eine weiter gehende Zielkonzeption (samt umfangreichem Textvorschlag) wurde insb von Pernthaler (in Pernthaler/Weber/Wimmer, Umweltpolitik durch Recht, 1992, 14) entwickelt (vgl auch Pernthaler und Welan in Kerschner aaO).

Das geltende BVG umfassender Umweltschutz ist insoweit situationsbedingt konzipiert, als ihm nach allgemeiner Auffassung ein "anthropozentrischer Ansatz" zugrunde liegt. Es ist gerechtfertigt, diese Textierung in Zeiten, in denen Natur- und Umweltschutz immer intensiver durch Vorschriften des Gemeinschaftsrechts geprägt sind, denen - mindestens auch - ein "ökologischer Ansatz" zugrunde liegt (insb VogelschutzRL, FFH-RL), weiterzuentwickeln. Dies insb durch Streichung der Wendung "als Lebensgrundlage des Menschen" und durch besondere Erwähnung "ökologischer Systeme".

Angesprochen ist Natur in allen Erscheinungsformen. Da es in dichtbesiedelten Gebieten kaum "unberührte" Natur geben kann, ist auch durch Menschenhand berührte Natur mitumschlossen, somit nicht nur "natürliche" Umwelt. Der demonstrative Charakter der Aufzählung ("insbesondere") soll nicht angebrachte Umkehrschlüsse vermeiden: Durch die Anführung "ökologischer Systeme" sollen beispielsweise der Schutz einzelner Lebewesen oder der Artenschutz nicht ausgeschlossen werden.

Das Verpflichtungsniveau der Vermeidung "schädlicher" Einwirkungen soll - dem Wesen einer Verfassungsbestimmung gemäß - beibehalten werden. Selbstverständlich wird die Gesetzgebung dadurch nicht gehindert, die jeweils rechtspolitisch als geboten erachteten Bestimmungen zur Begrenzung von "Belästigungen" oder von das "ortsübliche Maß übersteigenden Einwirkungen" zu erlassen.

Auf die Anführung einzelner Schutzbereiche (zB "Boden") und Einwirkungspfade (zB "Lärm") kann verzichtet werden, da die Anführung ohnedies nur demonstrativer Natur ist und gerade in Bezug auf die nicht genannten Schutzbereiche (zB "Wald") und Einwirkungspfade (zB "Elektrosmog") nicht zur Klärung beiträgt.

Während im Hinblick auf die "Natur" die Wahrung der Vielfalt zielbestimmend ist, sind im Hinblick auf andere Aspekte des Umweltschutzes das Vorsorgeprinzip ("Vermeide das Vermeidbare") und das Reparaturprinzip - bezogen auf "schädliche" Einwirkungen - zielbestimmend.

Auf den Begriff der "Nachhaltigkeit" wird bewusst verzichtet, da er keinen auch nur einigermaßen gesicherten Bedeutungsinhalt aufweist. Symptomatisch ist etwa § 1 Abs 3 ForstG, wo der Begriff in zwei Sätzen in unterschiedlicher Bedeutung verwendet wird: in Satz 1 im Sinn des Brundtland-Reports, in Satz 2 im klassisch forstrechtlichen Sinn. Vor allem der erste Sinngehalt stellt sich als Abwägungsbefehl ("magisches Dreieck" von ökonomischen, sozialen und ökologischen Zielen) und nicht als Determinante dar und ist daher für eine verfassungsrechtliche Zielbestimmung ungeeignet.

Die Determinanten sind für alle Gebietskörperschaften in ihren jeweiligen Wirkungsbereichen maßgeblich und wären daher legistisch vor Art 10 B-VG zu platzieren.

Ohne Präjudizierung der im Ausschuss 2 entwickelten Überlegungen soll in diesem Zusammenhang ein Beitrag zur Re-Integration von außerhalb des B-VG geregelten Bundesverfassungsrechts vorgeschlagen werden, und zwar im Hinblick auf das BVG atomfreies Österreich, BGBl I 149/1999. Im Interesse der textlichen Angleichung wird eine Reduzierung auf das Wesentliche vorgeschlagen.

Das in Abs 2 vorgeschlagene Verbot schließt aufgrund seiner sprachlichen Fassung ("zum Zweck der Energiegewinnung") wie schon das geltende Recht eine Nutzung der Kernspaltung für Zwecke der wissenschaftlichen Forschung nicht aus.

Sowohl im Hinblick auf die wissenschaftliche Forschung als auch im Hinblick auf medizinische und nicht-energetische industrielle Zwecke (zB Röntgenapparate, Dichtheitskontrolle) soll daher - wie schon nach geltendem Recht - auch die Beförderung von spaltbarem Material nach allgemeinen Regeln (Strahlenschutzrecht, Gefahrgutbeförderungsrecht) zulässig bleiben.