[Artikel 7 Absatz 2 B-VG]*
Vorschlag
 
 
(2a) Bund, Länder, Gemeinden und alle sonstigen Selbstverwaltungskörper verpflichten sich zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, zur Erreichung der Geschlechterparität in allen Bereichen sowie zu Maßnahmen zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung. Zur Erfüllung dieser Verpflichtungen haben die Gebietskörperschaften und Selbstverwaltungskörper die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf Frauen einerseits und Männer andererseits bei jeder ihrer Maßnahmen, insbesondere im Bereich der Gesetzgebung und Vollziehung, und als Träger von Privatrechten iSd [Artikel 17 B-VG], zu überprüfen (Geschlechterverträglichkeitsprüfung) und geeignete Maßnahmen zur Beseitigung bestehender Ungleichheiten zu ergreifen. 
(2b) Jede Frau hat das Recht auf tatsächliche Gleichstellung. Im Falle bestehender Ungleichheiten hat jede Frau ein Recht auf Förder- und Ausgleichsmaßnahmen.
(2c) Zur wirksameren Wahrnehmung der Interessen an der Beseitigung bestehender Ungleichheiten und zur Durchführung von Förder- und Ausgleichsmaßnahmen sind Möglichkeiten einer wirksamen Rechtsdurchsetzung, einschließlich der Anrufung des Verfassungsgerichtshofes, auch für Verbände, Vereinigungen und Einrichtungen, deren Wirkungskreis sich auch auf die Herbeiführung der Geschlechtergleichheit bezieht, vorzusehen. 
 
 
Erläuterung:
 
Allgemeines:
Artikel 7 Absatz 2 B-VG beruht in seiner derzeitigen Fassung auf der Novelle BGBl. I Nr. 68/1998. Grund für die damalige Novellierung war die Tatsache, dass die bloß rechtliche Gleichheit vor dem Gesetz nicht genügt, um auch die "de facto" Gleichstellung der Geschlechter - siehe hiezu auf Artikel 4 der CEDAW (Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau,BGBl.Nr. 443/1982) - herbeizuführen. Die damals erzielte Kompromiss-Formel - ein bloßes Bekenntnis zur Gleichstellung der Geschlechter und die Zulässigkeit von Fördermaßnahmen - ist jedoch nicht ausreichend, um die Geschlechtergleichheit wirkungsvoll in der Verfassung zu verankern. Institutionelle Verpflichtungen und subjektive Rechte sind daher unverzichtbar. 
 
Offen bleibt nach wie vor die Frage einer wirksamen Rechtsdurchsetzung. Die Untätigkeit des Gesetzgebers ist schwer zu sanktionieren, eine gesetzgebende Körperschaft kann kaum zu einem bestimmten Handeln veranlasst werden, ohne dadurch in Konflikt mit dem demokratischen Grundprinzip zu gelangen. Andererseits sind Strukturen, in denen mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nämlich die Frauen, unterrepräsentiert und gesellschaftlich und ökonomisch benachteiligt sind, ebenso wenig mit dem demokratischen Prinzip vereinbar. Es wurde daher der Weg einer Verpflichtung der Gebietskörperschaften und Selbstverwaltungsträger einerseits und andererseits der Einführung subjektiver Rechte der einzelnen Frau, verstärkt durch den Gesetzesauftrag zur Einführung von Verbandsklagen, gewählt. Zu diskutieren wäre noch, ob nicht auch eigene "Gender Gremien", parlamentarisch und/oder auf der Vollziehungsebene, eingerichtet werden sollten, die Maßnahmen vorschlagen und durchsetzen können sowie eine ständige Gender Analyse und Überprüfung vornehmen - also zB eine "Gender Kommission", zumindest im Parlament.
 
 
Besonderes:
Die Verpflichtungen zur Herstellung der Gleichstellung von Frauen und Männern und zur Setzung von Fördermaßnahmen gründet sich auf Artikel 1 bis 4 der CEDAW. Die Geschlechterparität ist Ziel und wichtigstes Instrument zur Erreichung der Geschlechtergleichheit. Neu ist die Einbeziehung der sonstigen Träger der Selbstverwaltung, zB im Bereich der beruflichen und sozialen Selbstverwaltung (zB Kammern, Selbstverwaltungskörper im Bereich der Sozialversicherung). Die Gemeindeverbände wurden als Verpflichtete nicht gesondert angeführt, da davon ausgegangen wurde, dass die Verpflichtung der zuständigen Gesetzgeber (auch im Hinblick auf [Artikel 116a B-VG] ausreicht. Problematisch könnte die Definition des Kreises der Verpflichteten bei Schaffung neuer Strukturen und Einheiten werden; ein Problem, das jetzt bereits im Bereich der Ausgliederungen vorhanden ist (Arbeitsrecht statt Dienstrecht, Gleichbehandlung ohne Frauenförderung in der Privatwirtschaft statt Gleichbehandlungsgesetze des Bundes und der Länder, die die Frauenförderung mitumfassen). Da Ausgliederungen aber in der Regel durch Gesetz zu erfolgen haben, sind die Gebietskörperschaften auch bei Ausgliederungen zur Herstellung der Geschlechtergleichheit und zur Frauenförderung verpflichtet.
 
Der zweite Satz des Absatz (2a) beinhaltet die Umsetzung des Gender Mainstreaming iSd Artikel 3 Absatz 2 des EG-Vertrages im Bereich Gesetzgebung und Hoheitsverwaltung, aber auch im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung. Eine solche Geschlechterverträglichkeitsprüfung hat einerseits für zukünftige Maßnahmen stattzufinden; andererseits ist aber auch der status quo einer beständigen Überprüfung zu unterziehen sowie bereits getroffene Maßnahmen einer Evaluierung in bestimmten Zeitabständen. Eine aktive Berücksichtigung des Ziels der Gleichstellung der Geschlechter im Bereich des Arbeitslebens ist auch in Artikel 1a der Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen mit der die Richtlinie 76/207/EWG abgeändert wird, vorgesehen.
 
Um dem Anliegen einer Verfassungsbereinigung im Hinblick auf unklare und schwer durchsetzbare Staatszielbestimmungen Rechnung zu tragen, wurde in Absatz (2b) ein subjektives Recht der Frauen auf Gleichstellung und Förder- und Ausgleichsmaßnahmen eingebaut. Unter Ausgleichsmaßnahmen ist zB ein Recht auf Schadenersatz für Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts zu verstehen.
 
Absatz (2c) beinhaltet einen Auftrag an den Gesetzgeber, auch an den Verfassungsgesetzgeber, für einen wirksamen Rechtsschutz im Bereich der Herstellung der Geschlechtergleichheit und der Frauenförderung zu sorgen. Der Rolle des Verfassungsgerichtshofes wird hier besonderes Augenmerk zu geben sein, zb in Form der Einführung einer zusätzlichen "Gender Mainstreaming" Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes. Mehr Effizienz der Rechtsdurchsetzung soll auch durch die Einführung von Verbandsklagen zu Gunsten zB von Frauenorganisationen, der Gleichbehandlungsanwaltschaft, etc erreicht werden.