Amtsverschwiegenheit und

Zugang zu Informationen staatlicher Verwaltung

 

Gabriele Kucsko-Stadlmayer, Wien

 

 

I.         Grundlagen

 

1.            Transparenz der Verwaltung

 

Transparenz der Verwaltung ist eine wichtige Voraussetzung für die effektive Wahrneh-mung von Bürgerrechten. Sie stärkt die dem liberalen Rechtsstaat immanente Selbst-bestimmung des Bürgers gegenüber der Verwaltung und ist unerlässlich für die demokra-tische Mitgestaltung politischer Prozesse und die Kontrolle staatlicher Institutionen.

 

Angesichts der wachsenden Informationsmacht des Staates durch den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnik ist Transparenz der Verwaltung heute wichtiger denn je. Information ist in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu einem gleichermaßen wertvollen Gut geworden. Diese befinden sich in gegenseitiger „Informationsabhängigkeit“.

 

Die Entwicklung der elektronischen Informationstechnologie macht staatliche Informationen heute andererseits auch ohne großen Aufwand möglich. Die aktive Publikation von Dokumenten und Registern im Weg des Internet kann darüber hinaus die Technik der einzelfallbezogenen Auskunft ersetzen und damit Kosten sparen.

 

2.            Geheimhaltung und Privatheit

 

Eine Kultur der prinzipiellen Geheimhaltung der öffentlichen Verwaltung spiegelt obrigkeitsstaatliches Denken wider und steht im Spannungsverhältnis zu einem modernen, partnerschaftlichen Staats- und Gesellschaftsverständnis.

 

Die Fortschritte der Informationstechnologie erzeugen bei den Menschen aber auch Angst vor Eingriffen in ihre Privatsphäre. Ein Recht des Individuums auf „informationelle Selbstbestimmung“ ist daher heute elementare Funktionsbedingung jedes Gemeinwesens. Ungeachtet des allgemeinen Transparenzbedürfnisses ist die Geheimhaltung sensibler personenbezogener Daten zu einem zentralen öffentlichen Anliegen geworden.

 

Der internationale Terrorismus sowie die notwendige internationale Zusammenarbeit staatlicher Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste begründen spezifische öffentliche Geheimhaltungsinteressen, die dem aktuellen liberalen Verständnis von Informationsfreiheit tendenziell entgegen wirken.

 

In einer Gesellschaft, die von Marktwettbewerb und Konkurrenzdenken getragen ist, müssen etwa auch staatliche Informationen über Wirtschaftsunternehmen in gewissem Ausmaß vor Missbrauch durch Konkurrenten geschützt werden.

 

Das Grundproblem einer Regelung des Zugangs zu staatlicher Information ist jenes der Gewichtung zwischen Transparenz und Geheimhaltung. In dieser sollte ein klares Regel-Ausnahme-Verhältnis zum Ausdruck kommen.

 

Verfassungsrechtliche Geheimhaltungstatbestände dürfen nicht zu zahlreich und zu vage um-schrieben sein. Nur eine klare Abgrenzung zwischen Informationszugang und Amts-verschwiegenheit gewährleistet Transparenz und wirkt einer Stärkung der Staatsmacht unter dem Titel des Gemeinwohls, insbesondere der öffentlichen Sicherheit, entgegen.

 

 

II.         Begriffe

 

Unter dem aktuellen Begriff der „Informationsfreiheit“ wird Unterschiedliches verstanden. Er kann – wie in den USA – als umfassendes Recht auf Übermittlung staatlicher Dokumente in jeder gewünschten Form, oder aber – wie im Europäischen Gemeinschaftsrecht – als Dokumentenzugang in einer von der Behörde bestimmten zweckmäßigen Art definiert werden.

 

Ein Recht auf „Auskunft“ ist weniger als ein Recht auf „Informationszugang“ oder „Dokumentenzugang“. Es beinhaltet kein Recht auf Akteneinsicht, auf Zusendung von Akten (zB in Schriftform oder auf Datenträger), auf Anfertigung von Kopien oder detaillierte Bekanntgabe von Dokumenteninhalten.

 

„Dokumentenzugang“ und „Akteneinsicht“ werden idR synonym verstanden. Differenziert geregelt ist aber, ob diesbezüglich subjektive Rechte nur den Parteien eines Verwaltungs-verfahrens oder der Allgemeinheit zukommen.

 

Über Informationsfreiheit und Akteneinsicht hinausgehend können Veröffentlichungspflich-ten der Behörden (zB bzgl interner Rechtsvorschriften, Dokumentenregister, Prüfberichte) vorgesehen sein.

 

„Informationsfreiheit“ besteht niemals uneingeschränkt. Ausnahmetatbestände zugunsten schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen können mit dem Sammelbegriff „Amtsver-schwiegenheit“ bezeichnet werden. Sie umfassen aber unterschiedliche Tatbestände und Regelungskomplexe (insb Amtsgeheimnis auf verfassungs- und einfachgesetzlicher Ebene, Datenschutz, Informationssicherheit).

 

Geheimhaltungstatbestände können absolut formuliert sein oder – je nach dem Grad des Geheimhaltungsbedürfnisses – bloß zu einer Interessenabwägung verpflichten.

 

 

III.         Rechtslage International

 

Das prominenteste Beispiel weitreichender Informationsfreiheit des Bürgers gegenüber der staatlichen Verwaltung ist in den USA der Freedom of Information Act 1966 (5 USC § 552). Er sieht weitreichende Rechte der Bürger auf Zugang zu staatlichen Informationen und Veröffentlichungspflichten des öffentlichen Sektors vor. Ausnahmen erfassen allerdings weite Bereiche der öffentlichen Sicherheit, Militär und Nachrichtendienste, das Beratungsgeheim-nis, personenbezogene Daten sowie Daten von Wirtschaftsunternehmen.

 

Auf der Ebene der EU hat der Vertrag von Maastricht zur Verstärkung der demokratischen Legitimität der Union Transparenz als Verfassungsprinzip verankert (Art 1 EUV). Art 255 EG idF des Vertrags von Amsterdam und die VO 1049/2001 normieren ein allgemeines Recht auf Zugang zu Parlaments-, Rats- und Kommissionsdokumenten (vgl auch Art 42 der Grundrechtecharta). Einschränkungen zu Gunsten öffentlicher Geheimhaltungsinteressen sind zwar zulässig, sind aber gegenüber dem Interesse am Dokumentenzugang zT abwägungs-pflichtig. Die bedeutsamste bereichsspezifische Regelung zum Informationszugangsrecht in den Mitgliedstaaten erfolgte durch die neue UmweltinformationsRL 2003/4/EG (vgl auch die Aarhus-Konvention 1998).

 

Die Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten verwirklichen die von der EU verfolgte Tendenz in unterschiedlichem Ausmaß. Weitgehend grundrechtsgleiche Rechte der Bürger auf Zugang zu staatlicher Information gelten in Skandinavien und den Niederlanden („open government“). Weiterhin zurückhaltend sind die Regelungen noch immer in Deutschland, Luxemburg und Österreich.

 

In Deutschland gibt es – ähnlich wie in Österreich – kein bundesweites Recht auf Zugang zu staatlichen Informationen. Dagegen gelten weitreichende Pflichten zur Wahrung des Amts-geheimnisses. Der Entwurf eines „Informationsfreiheitsgesetzes“ (IFG) der rot-grünen Koalition sieht auf einfachgesetzlicher Ebene ein subjektives Recht Einzelner auf Einsicht in Verwaltungsakten vor. Er wurde jedoch nach dem 11. September 2001 grundlegend überarbeitet und ist bisher nicht realisiert worden. Die darin vorgesehenen Geheimhaltungstat-bestände erfassen – wesentlich großzügiger als der FOIA – Gemeinwohlinteressen wie insb die öffentliche Sicherheit, Landesverteidigung und Staatsschutz, Verwaltungsabläufe sowie personenbezogene Daten und Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.

 

 

IV.         Rechtslage Österreich

 

1.         Inhalt

 

In Österreich gilt eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Wahrung des Amtsverschwiegenheit, sofern bestimmte öffentliche oder private Geheimhaltungsinteressen diese gebieten (Art 20 Abs 3 B-VG). Diese Pflicht gilt für die gesamte Staatsfunktion Verwaltung. Sie wurde durch die B-VG-Novelle 1987 stark eingeschränkt und mit Art 10 Abs 2 EMRK harmonisiert. Sie kann einfachgesetzlich ausgeführt, darf dabei aber nicht ausgedehnt werden.

 

Eine absolute Pflicht zur Geheimhaltung personenbezogener Daten normiert das verfassungsgesetzliche Recht auf Datenschutz (§ 1 DatenschutzG 2000).

 

Einfachgesetzliche Verschwiegenheitspflichten sind insb im Strafrecht (§ 310 StGB) und in den Gesetzen des öffentlichen Dienstrechts (§§ 46 BDG, 58 RDG, 5 VBG) vorgesehen. Zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen auf dem Gebiet der Sicherheitszusammenarbeit normiert das InformationssicherheitsG (BGBl I 2002/23) differenzierte Verschwiegen-heitspflichten auf Basis verschiedener Klassifikationsstufen des Geheimhaltungsinteresses.

 

Verfassungsrechtlich verankert ist auch eine Auskunftspflicht der Verwaltungsorgane (Art 20 Abs 4 B-VG). Sie gilt allerdings nur mit dem Vorbehalt, dass ihr keine gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten entgegenstehen. Sie gewährleistet nach der Judikatur des VfGH überdies kein subjektives Recht.

 

Einfachgesetzliche Auskunftspflichten sind in den Auskunftspflichtgesetzen von Bund und Ländern und in zahlreichen Materiengesetzen, so zB im BundesarchivG (§ 7), im Daten-schutzG (§ 26), im MeldeG (§ 18). Sanktionen für die rechtswidrige Nichterteilung von Auskünften durch öffentlich Bedienstete finden sich auch in den Dienstrechtsgesetzen.

 

Ein Recht auf Akteneinsicht steht grundsätzlich nur den Parteien eines Verwaltungsverfah-rens zu (§ 17 AVG). Verhandlungen in solchen Verfahren sind grundsätzlich auch nicht volksöffentlich. Ausnahmen gelten nur für Großverfahren (vgl § § 44c AVG).

 

2.            Defizite

 

Die Rechtslage betreffend Amtsverschwiegenheit und Auskunftspflicht ist in erster Linie verworren und unklar. Die beiden Institute stehen insbesondere in keinem Regel-Ausnahme-Verhältnis. Ein Vorrang der Auskunftspflicht ist nicht eindeutig erkennbar.

 

Die Verschwiegenheitstatbestände sind sehr allgemein umschrieben; es besteht grundsätzlich keine Verpflichtung, sie eng auszulegen. Die Judikatur zu den Grenzen der Auskunftspflicht ist daher komplex und einzelfallorientiert.

 

Die verfassungsrechtlichen Pflichten zur Amtsverschwiegenheit und zur Auskunftserteilung sehen keine Sanktionen vor. In Verbindung mit einfachgesetzlichen Sanktionen kann ihre Nichteinhaltung aber Folgen von unklarer Tragweite haben (zB Amtshaftung).

 

Die verfassungsrechtliche Normierung der Amtsverschwiegenheit sieht keine grundsätzliche Abwägungspflicht bestimmter öffentlicher Interessen an der Geheimhaltung mit dem Inter-esse an einer Auskunft vor. Dies erlaubt eine Berufung auf das Amtsgeheimnis immer schon dann, wenn nur der geringste Nachteil für ein staatliches Geheimhaltungsinteresse droht.

 

Die Auskunftspflicht beinhaltet kein Recht auf Dokumentenzugang bzw Akteneinsicht. Sie umfasst daher keine Pflicht zur Weitergabe detaillierter Angaben, umfangreicher Ausarbei-tungen oder zur Beschaffung anderweitig zugänglicher Informationen. Erteilte Auskünfte müssen insb auch nicht elektronisch verfügbar gemacht werden.

 

Die Auskunftspflicht ist nicht als verfassungsgesetzlich gewährleistetes subjektives Recht konzipiert. Subjektive Rechte bestehen nur auf einfachgesetzlicher Ebene.

 

Die Auskunftspflicht gilt nicht für Anstalten und Fonds des öffentlichen Rechts sowie für ausgegliederte Rechtsträger, insoweit sie keine hoheitlichen Aufgaben besorgen

 

Die Kompetenzrechtslage auf dem Gebiet von Auskunftsrecht und Amtsverschwiegenheit ist – in jeweils unterschiedlicher Weise – auf Bund und Länder zersplittert.

 

3.            Ergebnis

 

Eine Bereinigung des komplexen Verhältnisses Amtsverschwiegenheit-Informationszugang muss in Österreich primär auf verfassungsrechtlicher Ebene ansetzen.

 

 

V.         Grundfragen

 

1.         Ist die Regelungstechnik des Art 20 Abs 3 B-VG, die Verwaltungsorgane zur Amtsverschwiegenheit verfassungsrechtlich zu verpflichten, im System der geltenden Verfassungsrechtsordnung überhaupt sinnvoll? Ist sie nicht – angesichts ihres reduzierten normativen Gehalts in Folge ihrer Harmonisierung mit Art 10 Abs 2 EMRK durch die B-VG-Novelle 1987 – sogar überflüssig geworden?

 

2.         Ist die Normierung der Amtsverschwiegenheit in Art 20 Abs 3 B-VG für Organe notwendig, die keinem Dienstrecht bzw keinen einfachgesetzlichen Geheimhaltungspflichten unterliegen (zB oberste Organe)?

 

3.         Wie kann zwischen den gegenläufigen Prinzipien Auskunftspflicht und Amtsver-schwiegenheit ein klares Regel-Ausnahme-Verhältnis hergestellt werden? Wäre es – unter der Annahme der Notwendigkeit des Schutzes bestimmter Geheimhaltungsinteressen – zweckmäßig, den einfachen Gesetzgeber bei der Regelung der Auskunftspflicht zu deren Einschränkung aus bestimmten Gründen zu ermächtigen?

 

4.         Soll der Auskunftspflicht der Charakter eines subjektiven, beim VfGH durchsetz-baren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts verliehen werden?

 

5.         Ist es im Hinblick auf eine Harmonisierung mit dem Recht der Europäischen Union möglich und zweckmäßig, das bloße Recht auf „Auskunft“ zu einem allgemeinen Recht auf Dokumentenzugang zu erweitern? Wie wäre der Gegenstand eines solchen Rechts zu definieren? Kann dabei auch eine Pflicht zur Übermittlung in elektronischer Form sichergestellt werden?

 

6.         Wie müssten die verpflichteten Rechtsträger, Behörden und Sachgebiete eines Dokumentenzugangsrechts umschrieben werden, um die gesamte Verwaltung im funktionellen Sinn, einschließlich der Tätigkeit aller juristischer Personen des öffentlichen Rechts und ausgegliederter Rechtsträger, zu erfassen?

 

7.         Wie müsste die Kompetenzrechtslage ausgestaltet werden, um einheitliche und überblickbare einfachgesetzliche Regelungen zu gewährleisten?

 

8.         Sollten die in Art 20 Abs 3 B-VG normierten Geheimhaltungstatbestände nicht eingeschränkt, stärker differenziert oder zumindest mit Abwägungspflichten im Verhältnis zu einem Recht auf Dokumentenzugang versehen werden?

 

9.         Kann dabei auch die Amtsverschwiegenheit der Mitglieder der Bundesregierung gegenüber dem Nationalrat sowie der direkt gewählten Bürgermeister gegenüber dem Gemeinderat aufgehoben oder gelockert werden?

 

10.       Ist eine Zusammenführung mit dem Recht auf Datenschutz möglich, sodass die Verfassungsbestimmung in § 1 DSG 2000 obsolet wird?

 

11.       Kann das problematische Verhältnis der Amtsverschwiegenheit zur Amtshilfepflicht in Art 22 B-VG geklärt werden?

 

 

VI.            Auswahl aktueller Literatur:

 

Berka, Whistleblower and Leaks. Von den Schwierigkeiten das Amtsgeheimnis zu wahren, in ÖJK (Hrsg), Recht und Öffentlichkeit, 66 (erscheint 2004); Batrschovsky, Wissen ist Macht – Auch im Umweltschutz, in FS Funk, 2003, 3; Feik, Zugang zu EU-Dokumenten, 2002; Feik, Good Governance und Transparenz im Recht der EU, in: ÖJK (Hrsg), Recht und Öffentlichkeit, 165 (erscheint 2004); Jann, Das Recht auf Zugang zu Dokumenten im Gemeinschaftsrecht, FS Adamovich, 2002, 241; Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, 3. Aufl., 2003; Schoch/Kloepfer, Informationsfreiheitsgesetz, 2002; Wieser, Art 20 Abs 3 und Art 20 Abs 4 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg) Bundes-Verfassungsrecht. Kommentar, 4. Lfg 2001.

www.europa.eu.int/comm/secretariat_general/sgc/acc_doc/docs/compa_de.pdf