Univ.Prof. Dr. Reinhard Rack

 

 

 

 

 

 

Soziale Grundrechte

 

Entwurf

 

 

 

Der vorliegende Entwurf sozialer Grundrechte umfasst zum einen die bereits am 29. 1. 2004 von Prof. Grabenwarter eingebrachten Fundamentalgarantien. Insbesondere im Bereich der Unversehrtheitsgarantie ergeben sich Überschneidungen. Zum anderen wird ein Katalog sozialer Grundrechte im engeren Sinn vorgelegt.

 

 


Artikel a (Menschenwürde)

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller Staatsgewalten.

 

 

Erläuterungen:

An die Spitze der Fundamentalgarantien wird die Menschenwürdegarantie gestellt, die Ausgangspunkt und Grundlage der folgenden Einzelgarantien ist. Die Formulierung entspricht im Wesentlichen Art. 1 GRCh. Satz 2 enthält die ausdrückliche Bindung aller drei Staatsgewalten an die Menschenwürde.

Spätestens seit der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 hat sich in der internationalen Menschenrechtsdiskussion die Auffassung durchgesetzt, dass es über die von den Freiheitsrechten geschützten Positionen hinausgehende „basale Bedürfnisse“ gibt, die grundrechtlich abzusichern sind. Zu diesen gehören unter anderem Fragen der Ernährung, der Gesundheit, des würdigen Alterns oder der Pflege, die in einem gewissen Minimalstandard von der Menschenwürdegarantie und den nachfolgenden Fundamentalgarantien abgedeckt sind.

 

 


 

Artikel b (Recht auf Leben)

(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Tötung auf Verlangen ist gesetzlich zu verbieten.

 

(2) Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.

 

(3) Eine Tötung bildet keine Verletzung des Rechts auf Leben, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um

a)      jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen;

b)      jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;

c)      einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.

 

 

Erläuterungen

  1. Absatz 1 Satz 1 enthält die Garantie des Rechts auf Leben. Die Formulierung entspricht Art. 2 EMRK. Absatz 1 Satz 2 enthält einen Auftrag an den Gesetzgeber, Tötung auf Verlangen gesetzlich zu verbieten. Damit soll ein Verbot „aktiver Sterbehilfe“ erreicht werden, das sich im grundrechtlichen Kontext als Erfüllung der Schutzpflicht zugunsten des Rechts auf Leben darstellt. Ein solches Verbot ist zwar nach Art. 2 EMRK nicht geboten, wohl aber mit diesem sowie mit Art. 3 und 8 EMRK vereinbar (vgl. EGMR Fall Pretty, Urteil v. 29.4.2002, Z. 39 f., 55 f., 76 ff., RJD 2002-III). Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf den Entschließungsantrag des Gesundheitssausschusses des Nationalrates betreffend Beibehaltung der ablehnenden Haltung gegenüber der „aktiven Sterbehilfe“, Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung sowie Verwirklichung der Karenz zur Sterbebegleitung, der am 13. Dezember 2001 mit den Stimmen aller vier im Parlament vertretenen Parteien angenommen wurde (XXI. GP, 115/E). Die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Rec. 1418 (1999) verweist in ihrem § 9 explizit darauf, dass das Verbot der Tötung Todkranker aufrecht erhalten werden muss und der Todeswunsch eines Todkranken für sich genommen keine Rechtfertigung der Durchführung von Handlungen bilden kann, die auf die Herbeiführung des Todes gerichtet sind.
  2. Absatz 2 enthält das Verbot der Todesstrafe. Das generelle Verbot der Todesstrafe entspricht Art. 85 B-VG und dem 13. ZPEMRK, das am 1.7.2003 in Kraft getreten ist. Zusätzlich wird die in Art. 2 Abs. 2 GRCh enthaltene Formulierung übernommen und damit das Verbot bekräftigt.
  3. Absatz 3 enthält einen Katalog zulässiger Eingriffe in das Recht auf Leben. Grundsätzlich sind staatliche Eingriffe in das Recht auf Leben nicht rechtfertigungsfähig. In den genannten Ausnahmen stellt eine Tötung durch Handlung des Staates jedoch keine Verletzung des Grundrechts dar. Die Ausnahmen sind aus Art. 2 Abs. 2 EMRK entnommen. Sprachliche Anpassungen gegenüber der bisherigen Übersetzung bewirken keine inhaltliche Änderung.

Artikel c (Folterverbot; Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung)

Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

 

Erläuterungen

Die Regelung ist wortgleich mit Art. 3 EMRK sowie Art. 4 GRCh.


Artikel d (Recht auf körperliche Unversehrtheit)

(1) Jede Person hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit.

 

(2) Dieses Recht darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

 

 

Erläuterungen:

  1. Das österreichische Verfassungsrecht enthält bislang kein ausdrückliches Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Gewährleistungen, die dem Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit zuzurechnen sind, ergeben sich nach jetzigem Stand aus dem Schutz des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK), für besonders schwere Eingriffe auch aus dem Recht auf Leben (Art. 2 EMRK) sowie aus dem Folterverbot (Art. 3 EMRK). Während das Recht auf Leben und das Folterverbot dem Staat massive Eingriffe in die körperliche oder psychische Integrität untersagen und ihm Schutzpflichten zur Verhinderung solcher Eingriffe durch Dritte auferlegen, schützt Art. 8 EMRK die körperliche und psychische Integrität auch vor weniger schweren Eingriffen. Angesichts der Gefährdung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit insbesondere durch die Entwicklung der Medizin, der Biomedizin und der Gentechnik erscheint es notwendig und angemessen, den Schutz dieses Rechtsguts in einem besonderen Grundrecht ausdrücklich zu verankern.
  2. Das Grundrecht auf körperliche und geistige Unversehrtheit ist Art. 3 GRCh nachgebildet und sprachlich an die Erfordernisse eines innerstaatlichen Grundrechts angepasst. Absatz 1 umschreibt den Schutzbereich entsprechend Art. 3 Abs. 1 GRCh. Schutzgut sind die körperliche und die geistige Unversehrtheit. Die ausdrückliche Nennung der geistigen neben der körperlichen Unversehrtheit dient dem Schutz vor staatlichen Maßnahmen, die zwar keinen Eingriff in den Körper selbst darstellen, jedoch psychische Beeinträchtigungen zur Folge haben, die einem Eingriff in die körperliche Integrität gleichzuhalten sind. Nicht erfasst sind Maßnahmen, die lediglich das Wohlbefinden des Betroffenen beeinträchtigen.
  3. Beschränkungen des Rechts auf geistige und körperliche Unversehrtheit sind zulässig, wenn sie den Bedingungen des Absatz 2 entsprechen. Dieser Gesetzesvorbehalt entspricht Art. 8 Abs. 2 EMRK.
  4. Die geistige und körperliche Unversehrtheit schließt Heilbehandlungen mit Zustimmung des Betroffenen nicht aus. Eingriffe in die Unversehrtheit gegen den Willen des Betroffenen (Blutproben, Impfpflichten udgl.) sind zulässig, soweit sie verhältnismäßig sind.
  5. Die in Art. 3 Abs. 2 GRCh verankerten Leitlinien für Medizin und Biologie werden nicht ausdrücklich in den Katalog der Grundrechte übernommen. Die einzelnen Gewährleistungen werden durch das Recht auf Leben (Art. b), das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. c) und den in Art. 8 EMRK garantierten Schutz des Privat- und Familienlebens (Art. x) abgedeckt. Zusätzlich bietet die in Art. a verankerte Menschenwürde eine allgemeine Aussage zugunsten des Schutzes des Menschen in seiner Eigenart. Eine exaktere Regelung des Schutzes gegenüber Gefährdungen, die Fortschritte in Medizin und Biologie hervorrufen können, birgt die Gefahr in sich, diese permanent der Weiterentwicklung der Naturwissenschaften anpassen zu müssen und auf die stets aktuelle Problemstellung durch eine Verfassungsänderung oder -ergänzung reagieren zu müssen. Die detaillierte Regelung sollte daher dem einfachen Gesetzgeber überlassen bleiben. Im Übrigen ist für genauere Schutzregelungen auf das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates (in Kraft seit 1.12.1999, von Österreich noch zu ratifizieren) zu verweisen.
  6. Aus Artikel d ergibt sich auch eine vom Gesetzgeber zu erfüllende Schutzpflicht zur Sicherung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit im Verhältnis zwischen Privaten. Dies gilt im Besonderen für die gesetzliche Regelung des Arbeitnehmerschutzes. Dazu gehört z.B. die Sicherung des Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen sowie das Recht auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten und auf bezahlten Jahresurlaub (vgl. Art. 31 GRCh). Besonderen Schutzerfordernissen für Jugendlichen ist Rechnung zu tragen, Kinderarbeit ist allgemein mit der geistigen und körperlichen Unversehrtheit junger Menschen unvereinbar (Art. 32 GRCh).
  7. Zur Erfüllung der Schutzpflicht kann es dem Gesetzgeber auferlegt sein, ein Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung vorzusehen (Art. 35 GRCh). Ein subjektives Recht auf ein bestimmtes „Gesundheitsschutzniveau“ besteht – auch auf europäischer Ebene – nicht. Zwar wird die Europäische Union nunmehr in der GRCh darauf verpflichtet, bei der Festlegung und Durchführung aller ihrer Politiken und Maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen. Dieser Regelung liegt insbesondere Art. 152 EGV zugrunde. Aus der Praxis zu Art. 152 EGV und aus den Erörterungen im Konvent ist jedoch abzuleiten, dass mit Art. 35 GRCh ein einklagbares Recht des Einzelnen nicht gewährleistet werden sollte.
  8. Unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes ist davon auszugehen, dass das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit ein Abwehrrecht des Einzelnen gegenüber Eingriffen des Staates in seine Gesundheit und ein Recht gerichtet auf ein Unterlassen des Staates, diskriminierende Zugangsregeln zu den Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge und ärztlicher Versorgung zu erlassen, enthält. Ferner wird man daraus eine Schutzpflicht ableiten können, dass jedermann das Recht hat, vor Eingriffen Dritter, die seinen Zugang zu Gesundheitsvorsorge oder ärztlicher Versorgung behindern, durch Erlass von Geboten und Verboten geschützt zu werden. Diese Gewährleistungen sind nach der Rechtsprechung des EGMR in ihrem Kern bereits heute Bestandteil des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK.

Artikel e (Gleichheit, Rechte älterer Menschen)

Die Republik anerkennt und achtet das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben.

 

 

 

Erläuterungen:

Das Alter ist als verbotenes Differenzierungsmerkmal im allgemeinen Diskriminierungsverbot enthalten. Art. 25 GRCh garantiert darüber hinaus, dass die Union das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben anerkennt und achtet. Diese Garantie ist für den verfassungsrechtlichen Zusammenhang modifiziert und in Artikel e übernommen worden.

 

 

 


Artikel x (Schutz von Ehe und Familie; Rechte der Eltern und Kinder)

(1) Mit Erreichung des heiratsfähigen Alters haben Frau und Mann das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.

 

(2) Ehe und Familie genießen den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz des Staates. Um Familien- und Berufsleben miteinander in Einklang bringen zu können, hat jede Person das Recht auf Schutz vor Entlassung aus einem mit der Elternschaft zusammenhängenden Grund sowie Anspruch auf einen bezahlten Mutterschaftsurlaub und auf einen Elternurlaub nach der Geburt oder Adoption eines Kindes.

 

(3) Die Erziehung der Kinder ist zunächst das Recht und die Pflicht der Eltern. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.

 

(4) Ehegatten haben untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe. Die Pflicht des Staates, die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen, wird dadurch nicht beschränkt.

 

(5) Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes vorrangig berücksichtigt werden. Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.

 

 

 

Erläuterungen:

  1. In Artikel x sind unter dem Titel Schutz von Ehe und Familie das Recht auf Eheschließung, die Rechte der Ehegatten untereinander, der Schutz der Familie, das Elternrecht im Hinblick auf die Erziehung sowie Kinderrechte zu finden. Diese Garantien sind sowohl in der EMRK als auch in der GRCh an jeweils verschiedenen Stellen zu finden und hier entsprechend ihrem inhaltlichem Zusammenhang in einem Artikel vereint. Hinzukommt der Schutz der Familie gemäß Art. 8 EMRK.
  2. Gemäß Absatz 1 haben Mann und Frau das Recht auf Eheschließung ab Erreichung des heiratsfähigen Alters. Dem einfachen Gesetzgeber bleibt es überlassen, das entsprechende Alter festzulegen. Diese Garantie entspricht Art. 12 EMRK. Die Formulierung des Grundrechts stellt klar, dass vom Recht auf Eheschließung wie in der EMRK nur die verschiedengeschlechtliche Verbindung erfasst ist. Insofern deckt sich die Gewährleistung mit dem Garantieumfang des Art. 12 EMRK, der ebenfalls nur die Verbindung von zwei Personen verschiedenen Geschlechts erfasst (vgl. den insofern klaren Wortlaut der authentischen französischen Fassung „l’homme et la femme“ sowie die Rechtsprechung des EGMR, Urt. v. 27.9.1990, Cosey, Serie A 184, Z. 43; Urt. v. 30.7.1998, Sheffield u. Horsham, RJD 1998-V, Z. 66). Diese Festlegung steht im Einklang mit Art. 9 GRCh. Diese Bestimmung gewährt das Recht, eine Ehe einzugehen, nach den einzelstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Recht regeln. Der Chartabestimmung ist ein Anspruch auf Zuerkennung des Ehestatus für gleichgeschlechtliche Verbindungen nicht zu entnehmen, auch wenn sie einer solchen Zuerkennung durch das innerstaatliche Recht nicht entgegensteht. Ungleichbehandlungen zwischen Ehe und sonstigen Lebensgemeinschaften sind nach dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu beurteilen. Im Übrigen sind einzelne Aspekte des Zusammenlebens gleichgeschlechtlicher Paare, insbesondere mit Kindern, durch Art. 8 EMRK geschützt (EGMR, Urt. v. 21.12.1999, Salgueiro da Silva Mouta, RJD 1999-IX, Z. 22).
  3. Absatz 2 enthält eine Schutzpflicht des Staates gegenüber Ehe und Familie. Sie entspricht Art. 33 Abs. 1 GRCh sowie dem für diesen als Vorbild herangezogenen Art. 6 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes. Eine solche Schutzpflicht ist in der EMRK nicht ausdrücklich verankert, eine Reihe von Aspekten wird jedoch sowohl durch den EGMR als auch den VfGH aus dem Schutz der Familie gem. Art. 8 abgeleitet. Während der Begriff der Ehe sich entsprechend Absatz 1 nur auf die Verbindung von Mann und Frau bezieht, werden mit dem Begriff der Familie (entsprechend dem Familienbegriff des Art. 8 EMRK) neben der traditionellen Familie auch andere Lebensformen, insbesondere uneheliche Lebensgemeinschaften und alleinerziehende Mütter oder Väter mit ihren Kindern erfasst. Aus dieser Garantie folgen Pflichten des Staates, die Situation von Erziehenden zu verbessern und damit der von Kinderlosen anzugleichen (etwa durch Leistungen oder Berücksichtigungen im Steuerrecht). Einzelheiten wird die Rechtsprechung zu klären haben. In Erfüllung dieser Pflicht hat der Gesetzgeber nach Absatz 2 Satz 2 jedenfalls einen Anspruch auf bezahlten Mutterschaftsurlaub sowie das Recht der Eltern auf Elternurlaub nach der Geburt oder Adoption eines Kindes entsprechend Art. 33 Abs. 2 GRCh vorzusehen. Auch das ebenfalls in Art. 33 Abs. 2 GRCh gewährleistete Recht auf Schutz vor Entlassung aus einem mit der Elternschaft zusammenhängenden Grund ist aus der Schutzpflicht des Staates abzuleiten. Hinsichtlich einer Adoption besteht der Anspruch nicht bei Adoption eines Volljährigen. Dies kommt in der Wendung „eines Kindes“ zum Ausdruck.
  4. In Absatz 3 wird klargestellt, dass das Erziehungsrecht vorrangig ein Recht der Eltern ist. Subsidiär übt der Staat ein „Wächteramt“ zum Wohl des Kindes aus (Satz 2). Weiters erlegt Satz 3 dem Staat die Pflicht auf, wenn er auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts Aufgaben übernimmt, das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen Überzeugungen hinsichtlich Religion und Weltanschauung durchzuführen. Diese Garantie entspricht Art. 2 1. ZPEMRK. Die Normierung einer gesetzlichen Schulpflicht ist Voraussetzung für die Übernahme von Erziehungs- und Unterrichtsaufgaben durch den Staat und daher verfassungsrechtlich zulässig.
  5. In Absatz 4 ist der in Art. 5 7. ZPEMRK enthaltene besondere Gleichheitssatz in Zusammenhang mit der Ehe übernommen.
  6. Absatz 5 enthält eine Reihe von Rechten des Kindes. Er beruht auf den entsprechenden Garantien in Art. 24 GRCh. Dieser wiederum berücksichtigt das internationale Übereinkommen über die Rechte des Kindes, das für alle Mitgliedstaaten der EU in Kraft getreten ist. Im Einzelnen sind gewährleistet ein Anspruch des Kindes auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind. Dieses Recht verpflichtet den Staat zu aktivem Tun, das heißt dazu, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, wenn das Wohl von Kindern beeinträchtigt zu werden droht (vgl. Hölscheidt, in: Meyer [Hrsg.], Grundrechtecharta Kommentar [2003], Art. 24 Rn. 18). Auf eine Übernahme des in Art. 24 Abs. 1 Satz 2 und 3 GRCh gewährleisteten Rechts auf Meinungsfreiheit für Kinder wurde verzichtet, da Kinder sich ohne weiteres auf die Garantie der Meinungsfreiheit gem. Art. 10 EMRK berufen können.

Artikel y (Wissenschaftsfreiheit; Kunstfreiheit; Recht auf Bildung; Schulwesen)

(1) Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Die Universitäten sind im Rahmen der Gesetze zur autonomen Besorgung ihrer Angelegenheiten befugt.

 

(2) Künstlerisches Schaffen, die Vermittlung der Kunst sowie deren Lehre sind frei.

 

(3) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung sowie auf Zugang zur beruflichen Ausbildung und Weiterbildung. Dieses Recht umfasst die Möglichkeit, unentgeltlich am Pflichtschulunterricht teilzunehmen.

 

(4) Alle österreichischen Staatsangehörigen, die ihre Befähigung hiezu in gesetzlicher Weise nachgewiesen haben, haben das Recht, unter Achtung der demokratischen Grundsätze Bildungseinrichtungen zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen. Das Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

 

(5) Für den Religionsunterricht in den Schulen ist von der betreffenden gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft Sorge zu tragen.

 

 

Erläuterungen:

  1. Absatz 1 enthält die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre. Er übernimmt die Gewährleistung des Art. 17 StGG. Eine besondere Schrankenregelung ist nicht vorgesehen. Die Aussagen der Rechtsprechung des VfGH zu Schutzbereich und Schranken der Wissenschaftsfreiheit bleiben unverändert gültig (vgl. VfSlg 3565/1959, 4732/1964, 13.978/1994). Auch die Autonomie der Universitäten, wie sie durch § 2 Abs 2 UOG 1993 garantiert ist, bleibt unberührt.
  2. Absatz 2 garantiert die Freiheit des künstlerischen Schaffens, der Vermittlung der Kunst und deren Lehre. Diese Garantie entspricht Art. 17a StGG. Eine besondere Schrankenregelung ist nicht vorgesehen. Die Aussagen des VfGH zu Schutzbereich und Schranken der Kunstfreiheit bleiben unverändert gültig (vgl. VfSlg 10.401/1985, 11.567/1987, 11.737/1988).
  3.  Absatz 3 garantiert ein subjektives Recht auf Bildung. Diese Garantie nimmt die Gewährleistung des Art. 2 1. ZPEMRK sowie die des Art. 14 Abs. 1 GRCh auf und umfasst demgemäß auch ein Recht auf Zugang zu beruflicher Ausbildung und Weiterbildung. Zudem findet Art. 14 Abs. 2 GRCh, der die unentgeltliche Teilnahme am Pflichtschulunterricht garantiert, Eingang in diese Gewährleistung. Die Zulässigkeit der Schulpflicht ergibt sich implizit aus Art. x Abs. 3 (s. oben).
  4. Die in Art. 17 Abs. 2 bis 5 StGG enthaltenen Garantien in Bezug auf Schule und Unterricht werden soweit erforderlich in Absatz 4 und 5 geregelt. In Absatz 4 wird die bisher in Art. 17 Abs. 2 StGG enthaltene Privatschulgarantie übernommen und sprachlich neu gefasst. Insofern ist Art. 14 Abs. 3 GRCh zu berücksichtigen. Nach dieser Bestimmung wird die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten, die ein Gegengewicht zu den Gestaltungsrechten des Staates im Schulbereich darstellt, in die Grundrechtecharta übernommen. Damit ist klargestellt, dass die Möglichkeit der Begründung und Führung privater Schulen von den Mitgliedstaaten nicht ausgeschlossen werden darf. Somit gestattet es Art. 14 GRCh den Mitgliedstaaten nicht, ein staatliches Schulmonopol einzurichten und die Verfolgung von Bildungsinteressen außerhalb staatlicher Schulen zu untersagen. Dieses Zusammenspiel zwischen staatlichem Schulwesen, dem Recht auf Bildung und dem Elternrecht sollte auch im österreichischen Grundrechtskatalog abgebildet werden. Neben dem Elternrecht, dem Recht auf Bildung und den Vorgaben für das staatliche Schulwesen ist daher auch die Privatschulfreiheit in den Grundrechtskatalog aufzunehmen. Entsprechend Art. 14 Abs. 3 GRCh wird die Bindung an die demokratischen Grundsätze übernommen. Das in Art. 14 Abs. 3 GRCh ebenfalls enthaltene Elternrecht findet sich in Art. x Abs. 3 (s. oben). Die besondere Garantie des häuslichen Unterrichts (Art. 17 Abs. 3 StGG) ist entbehrlich.
  5. Absatz 5 betrifft den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Er übernimmt Art. 17 Abs. 4 StGG weitgehend; es erfolgt eine Beschränkung der Garantie auf die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften. Absatz 5 enthält eine institutionelle Garantie, wonach für den Religionsunterricht in den Schulen von den Kirchen und Religionsgesellschaften Sorge zu tragen ist. Diese Garantie findet eine zusätzliche Absicherung im Grundrecht der Religionsfreiheit gemäß Art. 9 EMRK (vgl. auch Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht [2003], S. 351 ff.). Weiters ist der Religionsunterricht im Schulvertrag 1962 mit der Katholischen Kirche, der die schulrechtlichen Bestimmungen des Konkordats von 1933 ersetzt, konkordatär abgesichert. Im Hinblick auf den Paritätsgrundsatz muss gleiches für die anderen gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften gelten. Das Recht auf Befreiung vom Religionsunterricht ist durch die Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK) sowie das Elternrecht (Art. x Abs. 3) grundrechtlich abgesichert.
  6. Art. 17 Abs. 5 StGG enthält die verfassungsrechtliche Absicherung der staatlichen Schulaufsicht. Hierbei handelt es sich nicht um ein Grundrecht. Die staatliche Schulaufsicht sollte daher in anderem Zusammenhang verfassungsrechtlich verankert werden.

Artikel z (Gewährleistungspflichten im Arbeits- und Sozialrecht)

Durch Gesetz ist zu gewährleisten:

1.      ein Anspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter auf eine rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung;

2.      das Recht jeder Person auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst;

3.      ein Anspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung;

4.      das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen sowie auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub;

5.      ein Mindestalter für den Eintritt in das Arbeitsleben, wobei das Alter, in dem die Schulpflicht endet, nicht unterschritten werden darf. Zur Arbeit zugelassene Jugendliche müssen ihrem Alter angepasste Arbeitsbedingungen erhalten und vor wirtschaftlicher Ausbeutung und vor jeder Arbeit geschützt werden, die ihre Sicherheit, ihre Gesundheit, ihre körperliche, geistige, sittliche oder soziale Entwicklung beeinträchtigen oder ihre Erziehung gefährden könnte;

6.      das Recht auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit und zu den sozialen Diensten, die in Fällen wie Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit oder im Alter sowie bei Verlust des Arbeitsplatzes Schutz gewährleisten;

7.      ein Anspruch aller Personen, die in Österreich ihren rechtmäßigen Wohnsitz haben, auf die Leistungen der sozialen Sicherheit und die soziale Vergünstigungen;

8.      das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen.

 

 

Erläuterungen:

Art. z enthält verschiedene Gesetzgebungsaufträge auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts, die keinen unmittelbaren Anspruch auf Durchsetzung vor den Gerichten einschließlich des Verfassungsgerichtshofes vermitteln. Sie sind gleichwohl für den Gesetzgeber bindend. Damit wird dem auch vom Mandat des Ausschusses „Grundrechte“ erfassten Anliegen der Verankerung sogenannter „sozialer Grundrechte“ Rechnung getragen.

In inhaltlicher Sicht orientiert sich Art. z an den sozialen Rechten der Grundrechtecharta aus dem Kapitel „Solidarität“. Dort sind die „Ansprüche“ laut Charta zumeist nach „Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und den einzelstaatlichen Gepflogenheiten“ gewährleistet (z.B. Art. 27 GRCh), womit den Mitgliedstaaten ein weiter Spielraum eingeräumt wird. Dies ist bei der Gegenüberstellung der GRCh mit dem vorliegenden Entwurf zu beachten. Auch für den österreichischen Gesetzgeber gilt, dass er bei der Erfüllung der Gesetzgebungsaufträge einen rechtspolitischen Spielraum der Ausgestaltung hat. Er hat Auftrag, Voraussetzungen und Umfang der Garantien zu bestimmen.

Im Einzelnen ist Folgendes zu bemerken:

1.      Der Auftrag der Ziff. 1 entspricht inhaltlich Art. 27 GRCh. Der Gesetzgeber hat danach das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung im Unternehmen zu regeln und ihre betriebsverfassungsrechtliche Stellung insofern zu klären. Im Einzelnen wird zu regeln sein, welche Unternehmen der Pflicht zur Unterrichtung und Anhörung unterliegen, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen Unterrichtungs- und Anhörungsrechte bestehen. Bei der Festlegung hat der Gesetzgeber die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts (z.B. Betriebsübergangsrichtlinie) zu berücksichtigen.

2.      Der Auftrag der Ziff. 2 entspricht inhaltlich Art. 29 GRCh. Das Recht auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst nach Art. 29 GRCh hat nach überwiegender Ansicht in erster Linie abwehrrechtlichen Charakter und enthält darüber hinaus eine Schutzverpflichtung des Staates. Entsprechend darf der Staat nach dem Gesetzgebungsauftrag des Art. z Ziff. 2 keine Maßnahmen ergreifen, die den Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst gefährden. Ferner muss er den diskriminierungsfreien Zugang dazu gesetzlich sicherstellen. Eine Leistungspflicht, die tatsächliche Zurverfügungstellung von Arbeitsvermittlungsdiensten durch den Staat, ist durch den Gesetzgebungsauftrag nicht vorgesehen.

3.      Der Auftrag der Ziff. 3 entspricht inhaltlich Art. 30 GRCh. Danach ist der Staat verpflichtet, durch gesetzliche Regelungen den Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung zu gewährleisten. Eine ungerechtfertigte Entlassung ist entsprechend der Europäischen Sozialcharta etwa anzunehmen, wenn diese aufgrund der Gewerkschaftszugehörigkeit, wegen Mutterschafts- oder Elternurlaubs oder aufgrund einer Diskriminierung erfolgte. In welcher Weise gesetzlich Schutz zu gewährleisten ist, wird durch Art. z Ziff. 3 wie auch durch Art. 30 GRCh nicht festgelegt.

4.      Der Auftrag der Ziff. 4 entspricht inhaltlich Art.  31 GRCh. Der Gesetzgeber hat danach Regelungen zu treffen, durch die angemessene Arbeitsbedingungen gewährleistet werden. Dazu zählen etwas Regelungen zur Arbeitssicherheit, zum Schutz der Gesundheit in den Betrieben (insbesondere für besonders gefährdete Personen wie Jugendliche, Schwangere und stillende Mütter). Ausdrücklich wird ein Auftrag zur gesetzlichen Bestimmung von Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten und Jahresurlaub verankert. Entsprechende gesetzliche Regelungen dienen ebenfalls dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

5.      Der Auftrag der Ziff. 5 entspricht inhaltlich Art. 32 GRCh. Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet festzulegen, ab welchem Alter Jugendliche in das Berufsleben eintreten können. Dabei ist eine Regelung, die nach täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeiten differenzierte Altersgrenzen festlegt, zulässig. Ferner muss der Gesetzgeber zum Schutz jugendlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besondere Regelungen treffen, die eine Rücksichtnahme auf das Alter in den Betrieben gewährleisten.

6.      Der Auftrag der Ziff. 6 entspricht inhaltlich Art. 34 Abs. 1 GRCh. Nach diesem Gesetzgebungsauftrag ist der Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit und zu den sozialen Diensten, die in Fällen wie Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit oder im Alter sowie bei Verlust des Arbeitsplatzes Schutz gewährleisten, gesetzlich zu verankern.

7.      Der Auftrag der Ziff. 7 entspricht inhaltlich Art. 34 Abs. 2 GRCh. Unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang dieser Anspruch zu gewährleisten ist, wird durch den Gesetzgebungsauftrag nicht vorgegeben, sondern fällt in den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass die betreffende Person ihren rechtmäßigen Wohnsitz in Österreich hat.

8.      Der Auftrag der Ziff. 8 dient der Bekämpfung der Armut und sozialer Ausgrenzung. Er entspricht inhaltlich Art. 34 Abs. 3 GRCh, ist allerdings auf die innerstaatliche Situation bezogen. Während die Union nach Art. 34 Abs. 3 GRCh lediglich das Recht auf eine soziale Unterstützung anerkennt und achtet und somit ein bloßes Abwehrrecht verankert ist, verpflichtet Art. z Ziff. 8 den Gesetzgeber zur Gewährleistung eines Anspruchs auf soziale Unterstützung. Unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang dieser Anspruch zu gewährleisten ist, wird durch den Gesetzgebungsauftrag nicht vorgegeben, sondern fällt in den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.