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Betrifft: Neuformulierung des Punktes III des Ausschussberichtes

 

 

III. Verhältnis der Höchstgerichte zueinander

 

Dieses Thema wurde unter zwei - einander teilweise überlappender - Gesichtspunkte diskutiert: Zum einen stellt sich - nach Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz - die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem VwGH und dem VfGH, zum andern im Hinblick auf einen allfälligen Ausbau des Grundrechtsschutzes und der Normenkontrolle die Frage nach dem Verhältnis des VfGH zu beiden anderen Höchstgerichten, insbesondere zum OGH. Im Einzelnen wurde vom Ausschuss erwogen:

1. Konzentration der Verwaltungsgerichtsbarkeit

Die Entwicklung des Verfassungsrechts in Österreich - hier die Prüfungskompetenz des Reichsgerichtes, dort jene des VwGH - hat zu einer Doppelgleisigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit geführt, die jedenfalls den Fehler hat, kompliziert zu sein. Dem könnte begegnet werden, indem man nach Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz die Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit des VfGH - sprich: Art. 144 Abs. 1 erster Satz B-VG - aufließe. Die Diskussion zeigte, dass eine solche Konstruktion als Fernziel einer Reform nicht aus dem Auge verloren werden sollte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist aber zum einen abzuwarten, inwieweit die Einführung der Verwaltungsgerichte erster Instanz zu einer tatsächlichen Entlastung des VwGH führt und zum andern ist bei dieser Variante der im Folgenden behandelte konstruktive Aufwand erheblich größer als wenn man es mit einer Übertragung des derzeitigen Systems - Anfechtung des Bescheids (des Urteils des Verwaltungsgerichts erster Instanz) sowohl beim VwGH als auch beim VfGH - belässt.

2. "Umdrehung" der Sukzessivbeschwerde

Es wäre denkmöglich, das bisherige System des Art. 144 Abs. 1 B-VG auf die Weise zu vereinfachen, dass die Reihenfolge der prüfenden Gerichtshöfe umgedreht wird, die Beschwerde wäre also zunächst an den VwGH, und danach an den VfGH zu richten. Tatsächlich führt das gegenwärtige System nicht nur zu einer erheblichen Zahl von "sicherheitshalber" an den VfGH herangetragener Sukzessivbeschwerden, sondern ist in seiner spezifischen Logik - quasi "Zwischenschaltung des VfGH" zwischen Verwaltungsbehörde und VwGH - nicht leicht vermittelbar.

Gegen diesen Vorschlag wurde indessen eingewendet, dass diesfalls der VfGH zur letztlich verwaltungsgerichtlichen "Überinstanz" über dem VwGH werden könnte. Während im gegenwärtigen System der VfGH relativ "grob gestrickte" Beschwerden prüft und - wenn es sich nicht um spezifische Grundrechtsaspekte handelt - bei exzessiver Rechtswidrigkeit aufhebt, so würde er bei einer Umdrehung den vom VwGH bereits aufbereiteten Fall "über"prüfen. Zwar ist auf diesem Weg eine Verfeinerung des Rechtsschutzes nicht ausgeschlossen - da man stets ein Gericht einem anderen nachschalten kann, um das Ergebnis zu verbessern - der spezifische verfassungspolitische Mehrwert ist aber nicht zu erkennen. Im Hinblick auf die geforderte Beibehaltung der Gleichrangigkeit der Höchstgerichte blieb dieser Vorstoß daher vereinzelt.

3. Subsidiarantrag

Ein Manko in der Normenkontrolle wird häufig darin gesehen, dass die zur Anfechtung nach Art. 140 Abs. 1 B-VG ermächtigten Gerichte - allenfalls auch trotz entsprechender Anregungen seitens der Verfahrensparteien - keine Normprüfungsanträge an den VfGH stellen, weshalb verfassungsrechtlich bedenkliche generelle Normen lange in Geltung bleiben können. In erster Linie betrifft diese Frage die Justiz. Für den VwGH stellt sich - im Hinblick auf Art. 144 Abs. 1 zweiter Fall B-VG dieses Problem nicht in der selben Schärfe, aber grundsätzlich doch auch. In die Diskussion wurde daher die Konstruktion eines "Subsidiarantrags" eingebracht. Dieser soll es dem Beschwerdeführer ermöglichen, nach Abschluss des Verfahrens vor einem antragsberechtigten Gericht oder dem VwGH einen Antrag auf Normprüfung an den VfGH zu stellen. Wenn der VfGH die Norm dann aufhebt, wäre das Verfahren vor den Gerichten fortzusetzen. Im Ausschuss besteht die einhellige Meinung, dass ein solches Instrument den größten Teil des vorhandenen Problempotenzials abschöpfen könnte. Übrig blieben seltene Fälle einer "verfassungskonformen Auslegung".


4. Einführung einer Urteilsbeschwerde

Wenn man ein vollständiges System anstrebt, bei dem sämtliche Verfassungsfragen letztlich vom VfGH beantwortet werden, müsste man über den oben dargestellten "Subsidiarantrag" weiter in die Richtung einer einheitlichen "Urteilsbeschwerde" gehen. Bei dieser Variante hätte der Einzelne die Möglichkeit, unmittelbar das höchstgerichtliche Urteil wegen "Verfassungswidrigkeit" beim VfGH anzufechten. Gegen eine solche Konstruktion besteht eine Reihe von Bedenken, insbesondere im Hinblick auf die dann unweigerliche quasi Einführung einer vierten Instanz und damit Verfahrensverzögerung sowie die explizite Aufgabe der Gleichrangigkeit der Höchstgerichte.

Dazu kommt, dass die schon mit der Einführung des Subsidiarantrags (im eingeschränkten Umfang) verbundene, durchaus reale Gefahr, dass davon allzu exzessiv Gebrauch gemacht und dadurch eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr gewährleistet werden könnte, im Fall der Einführung einer noch weiter gehenden Urteilsbeschwerde noch ungleich größer wäre, zumal gerade in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sehr oft Kernbereiche der menschlichen Existenz berührt werden und die individuelle „Kampfbereitschaft“ dem entsprechend sehr hoch ist. Dazu kommen die – im Vergleich zu ordentlichen Gerichtsverfahren – relativ niedrigen Kosten eines Beschwerdeverfahrens vor dem VfGH sowie der Umstand, dass das Fehlen einer gesicherten VfGH-Judikatur in neuen Rechtsgebieten die Erhebung solcher Urteilsbeschwerden sehr verlockend machen würde. Schließlich muss man sich stets vor Augen halten, dass der geforderte Ausbau des Rechtsschutzes zugunsten der beschwerdeführenden Partei – etwa im Zivilrechtsbereich – stets auf Kosten der anderen Verfahrenspartei ginge, die regelmäßig einen kosten- und zeitintensiven Prozess durch drei Instanzen gewonnen hätte und dann erst recht wieder vor der Situation stünde, eine Verlängerung des Prozesses (und damit der Zeit der Ungewissheit) und eine weitere Verzögerung des Eintritts der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit des (für sie günstigen) Urteils in Kauf nehmen zu müssen.

5. Von einem Mitglied des Ausschusses wurde ein "erweiterter Subsidiarantrag" zur Erwägung gestellt, der es dem VfGH ermöglichen würde, in deklarativer Weise auch die Verkennung der verfassungsrechtlichen Lage durch die anderen Höchstgerichte auf individuell-konkreter Ebene festzustellen.

6. Der bisherige Punkt bc bleibt.

Ein Konsens im Ausschuss besteht mithin erstens über die Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz und zweitens über die Einrichtung eines Subsidiarantrags. Für diese legistischen Maßnahmen werden konkrete Normtexte vorgelegt. Weitere Reformmaßnahmen erscheinen einzelnen Mitgliedern des Ausschusses erforderlich, haben aber keinen Konsens gefunden und könnten daher allenfalls in einer späteren Phase der Verfassungsentwicklung wieder diskutiert werden.

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