o.Univ.-Prof.Dr.Bernhard Raschauer

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Generalsekretär                       Wien, am 21. 12. 2003
Mag Wutscher

als Vorsitzendem
des Konvents-Ausschusses 6

 

Sehr geehrter Herr Vorsitzender!

Ich bin über den bisherigen Stand der Beratungen im Ausschuss nicht glücklich. Wir haben zuletzt über einige Elastizitäten im Bereich der Organisation der staatlichen Verwaltung beraten. In dieser Hinsicht haben sich einige Mitglieder des Ausschusses eher reserviert geäußert. Dies ist insoweit verständlich, als staatliche Verwaltung einem bestimmten Bürokratiemodell unterliegt, das durch Leitungsgewalt und Verantwortlichkeit charakterisiert ist.

Gleichwohl bin ich der Ansicht, dass der demokratische Rechtsstaat weniger verlangt, als die geltende Verfassung vorschreibt:

* Demokratie verlangt, dass das zuständige Regierungsmitglied die parlamentarische Verantwortung für einen Vollzugsbereich trägt. Zu diesem Zweck muss es (in der neueren Terminologie) ausreichende "Ingerenzmöglichkeiten" haben. Dies wiederum besagt freilich nicht, dass das klassische Modell der Weisung in Bezug auf jeden individuell-konkreten Verwaltungsvorgang offen stehen muss. Andere Instrumente - von der Vorgabe genereller Richtlinien über Berichtspflichten bis zur Abberufung des Leiters einer Einrichtung - können einzeln und insgesamt ausreichende Leitungsinstrumente sein, welche den Vollzugsbereich parlamentarisch verantwortbar erscheinen lassen. In der Verfassung wäre - in Abweichung von Art 20 Abs 1 B-VG - vorzusehen, dass durch Gesetz sicherzustellen ist, dass die obersten Organe über geeignete Steuerungsbefugnisse verfügen.

* Rechtsstaatlichkeit verlangt - neben der Bindung an das Gesetz - die Möglichkeit, jegliches Verhalten staatlicher Verwaltung im Fall individueller Betroffenheit einer gerichtlichen Kontrolle zuführen zu können. Da die Modalitäten der gerichtlichen Kontrolle Gegenstand eines anderen Ausschusses sind, wäre in Bezug auf die Verwaltungsreform an die verfassungsrechtliche Verankerung einer Rechtswegegarantie zu denken.

Wenn es Ihr Zeitplan erlaubt, wäre ich dankbar, wenn diese Frage noch einmal Gegenstand der Beratung im Ausschuss sein könnte. 

Noch überhaupt nicht Gegenstand der Beratung war indes die über eine allfällige Organisationsreform hinaus gehende Frage eines Aufgabenabbaus. Ein wesentlicher Aspekt der Verwaltungsreform ist meines Erachtens in der Reduzierung der Befassung von staatlichen Stellen zu sehen. Die Begründung von Aufgaben und Zuständigkeiten staatlicher Verwaltungsstellen - in welcher Organisationsform immer - soll nur dann vorgesehen werden, wenn anders die rechtspolitisch angestrebten Effekte nicht erzielt werden können. Sehr häufig finden sich jedoch, wenn man nicht in traditionellen Schienen von "Gesetz und staatlicher Vollziehung" verhaftet bleibt, funktionale Äquivalente zu staatlichen Leistungs-, Genehmigungs- oder Kontrollregimen durch entsprechende Kombinationen von Verhaltensvorschriften.  

Diese Fragen sind selbstverständlich primär Fragen praktischer Rechtspolitik. Es scheint mir allerdings angebracht, dass die Verfassung auch ein Signal in diese Richtung setzen sollte, nicht zuletzt auch an die Adresse des VfGH:

* Aufgaben und Befugnisse von Behörden und sonstigen Ämtern dürfen nur vorgesehen werden, wenn dies mit dem Ziel sparsamer Verwaltung vereinbar ist, wenn insbesondere gesetzliche Zwecke nicht auf andere Weise erreicht werden können.

* Neue Behörden und sonstige Ämter dürfen nur errichtet werden, wenn gesetzliche Zwecke nicht mit den bestehenden Behörden und sonstigen Ämtern erreicht werden können.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diese Stellungnahme auch den anderen Ausschussmitgliedern zur Kenntnis bringen könnten.

Mit freundlichen Grüßen, B Raschauer, e.h.