Hofrat Dr. Kuras: Textvorschlag zur Staatshaftung – Gemeinsamer Senat

(auf der Basis des Textvorschlags von Dr. Schnizer)

 

 

Der vorgeschlagene Art. 144a Abs. 4 B-VG wäre wie folgt abzuändern:

 

„(4) Soweit der Bund für den Schaden aus einer gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht verstoßenden Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, des Verwaltungsgerichtshofes oder des Obersten Gerichtshofes haftet, ist zur Entscheidung darüber ein gemeinsamer Senat zuständig. Dieser besteht aus dem Präsidenten des Verfassungsgerichthofes als Vorsitzendem und jeweils zwei vom Personalsenat des Obersten Gerichtshofes und der Vollversammlung des Verwaltungsgerichthofes bestimmten Richtern dieser Gerichtshöfe sowie zwei vom Verfassungsgerichtshof bestimmten Mitgliedern oder Ersatzmitgliedern des Verfassungsgerichtshofes.1 Regressansprüche gegenüber den schädigenden Organwaltern können dann vorgesehen werden, wenn wegen der haftungsbegründenden Entscheidung eine strafgerichtliche Verurteilung  (Verletzung von Amtspflichten)  erfolgt.“ 2

 

 

1. Durch die vorgeschlagene Abänderung soll eine umfassende und abschließende Bereinigung der umstrittenen Kompetenzfragen für Staatshaftungsansprüche aus höchstgerichtlichen Entscheidungen vorgeschlagen werden. Diese setzt sich einerseits nicht dem Vorwurf aus, dass hier der betroffene Gerichthof wieder quasi „Richter in eigener Sache“ sei, und gewährleistet andererseits aber auch, dass die fachspezifischen Kenntnisse aus dem jeweiligen Bereich eingebracht werden. Dass die an der betroffenen Entscheidung, aus der die Staatshaftungsansprüche abgeleitet werden, mitwirkenden Richter ausgeschlossen sind, ist auf einfachgesetzlicher Ebene festzulegen. Der so geschaffene „Gemeinsame Senat“ kann sich sowohl auf internationale (Art. 95 Abs. 3 des deutschen Grundgesetzes) als auch auf historische („Austrägalsenat“, RGBl 37/1875 - je vier Richter; Vorsitz Präsident des Obersten Gerichtshofs) Vorbilder stützen.

 

2. Von normalen Amtshaftungsansprüchen unterscheidet sich die hier vorgesehene Haftung in mehrfacher Weise. Während Amtshaftungsansprüche bei bedeutenden Rechtssachen regelmäßig schon wegen der Anrufbarkeit des OGH, VwGH oder VfGH wegen behauptetermaßen unrichtig gelösten Rechtsfragen nicht denkbar sind (vgl. § 2 Abs. 2 und 3  AHG), fehlt es an einer Möglichkeit, den Parteien den direkten Zugang zum EuGH zu eröffnen. Die allein vom jeweiligen nationalen Gericht einleitbaren Vorabentscheidungsersuchen nehmen einen erheblichen Zeitraum in Anspruch. Anders als im sonstigen Bereich ist es also nicht der Entscheidung der Parteien überlassen, ob sie diesen zusätzlichen Verfahrensaufwand in Kauf nehmen wollen. Es soll aber auch nicht der Anschein erweckt werden, dass das jeweilige Gericht bei der Frage, ob es nun ein Vorabentscheidungsverfahren einleitet oder nicht, durch die Androhung von Regressansprüchen in seiner Objektivität beeinträchtigt sein könnte und lieber die Verfahrensverzögerung für die Parteien als die Gefahr einer persönlichen Haftung in Kauf nimmt. Ganz wesentlich ist auch, dass gerade die immer wieder angesprochene Aufgabe der Höchstgerichte, auch die Rechtssicherheit, Rechtseinheit und Rechtsentwicklung zu gewährleisten, nicht durch aus persönlichen Haftungsrisiken resultierende „Zögerlichkeiten“ beeinträchtigt werden sollte. Weiters sprechen nicht nur die Höhe der denkbaren Ansprüche, sondern auch der dynamische und komplexe Charakter des Gemeinschaftsrechts, der schon wegen der rechtsfortbildenden Funktion des EuGH weniger Orientierungsmöglichkeiten bietet, dafür, Höchstgerichte als Grenzorgane nicht mit unabsehbaren Haftungsdrohungen zu belasten. Als Orientierung könnte hier die Bestimmung des § 839 Abs. 2  1. Satz BGB dienen, der – vergleichbar anderen internationalen Vorbildern – überhaupt allgemein (also nicht nur für letztinstanzliche Entscheidungen) festlegt, dass eine Haftung nur dann besteht, wenn “die Pflichtverletzung eine Straftat“ darstellt. Die vorgeschlagenen Formulierung („Amtspflichtverletzung“) orientiert sich an dem zweiundzwanzigsten Abschnitt des StGB.