Univ.Prof.DDr. Christoph Grabenwarter                                                                        30.9.2004

 

 

Rechte von Kindern

 

 

Artikel 3 (Folterverbot; Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung)

 

Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

 

Erläuterungen:

Die Regelung ist wortgleich mit Art. 3 EMRK sowie Art. 4 GRCh. Unter unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung fallen auch ensprechende körperliche Bestrafungen und Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen (vgl. EGMR, Urteil vom 25.4.1978, Tyrer, Urteil vom 25.4.1978, Serie A 26, Z. 30 ff.). Darüber hinaus gebietet Art. 3 wie Art. 3 EMRK, dass der Staat konkrete Maßnahmen ergreift, wenn die Gefahr des Missbrauchs eines Kindes in der Familie besteht. Zudem müssen geeignete gesetzliche Regelungen vorhanden sein, um einem Missbrauch in der Familie begegnen zu können (so zu Art. 3 EMRK ausdrücklich EGMR, Urteil vom 23.9.1998, A., RJD 1998-VI, Z. 23 f.).

 

[…]

 


Artikel 12 (Schutz von Ehe und Familie; Rechte der Eltern und Kinder)

 

(1) Mit Erreichung des heiratsfähigen Alters haben Frau und Mann das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.

 

(2) Ehe und Familie genießen den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz des Staates.

 

(3) Die Erziehung der Kinder ist das Recht und die Pflicht der Eltern. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.

 

(4) Ehegatten haben untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe. Die Pflicht des Staates, die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen, wird dadurch nicht beschränkt.

 

(5) Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes vorrangig berücksichtigt werden. Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.

 

 

Erläuterungen:

1.      In Artikel 12 sind unter dem Titel Schutz von Ehe und Familie das Recht auf Eheschließung, die Rechte der Ehegatten untereinander, der Schutz der Familie, das Elternrecht im Hinblick auf die Erziehung sowie Kinderrechte zu finden. Diese Garantien sind sowohl in der EMRK als auch in der GRCh an jeweils verschiedenen Stellen zu finden und hier entsprechend ihrem inhaltlichem Zusammenhang in einem Artikel vereint. Hinzukommt der Schutz des Familienlebens gemäß Artikel 8 (s. dort).

2.      Gemäß Absatz 1 haben Mann und Frau das Recht auf Eheschließung ab Erreichung des heiratsfähigen Alters. Dem einfachen Gesetzgeber bleibt es überlassen, das entsprechende Alter festzulegen. Diese Garantie entspricht Art. 12 EMRK. Die Formulierung des Grundrechts stellt klar, dass vom Recht auf Eheschließung wie in der EMRK nur die verschiedengeschlechtliche Verbindung erfasst ist. Insofern deckt sich die Gewährleistung mit dem Garantieumfang des Art. 12 EMRK, der ebenfalls nur die Verbindung von zwei Personen verschiedenen Geschlechts erfasst (vgl. den insofern klaren Wortlaut der authentischen französischen Fassung „l’homme et la femme“ sowie die Rechtsprechung des EGMR, Urt. v. 27.9.1990, Cosey, Serie A 184, Z. 43; Urt. v. 30.7.1998, Sheffield u. Horsham, RJD 1998-V, Z. 66). Diese Festlegung steht im Einklang mit Art. 9 GRCh. Diese Bestimmung gewährt das Recht, eine Ehe einzugehen, nach den einzelstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Recht regeln. Der Chartabestimmung ist ein Anspruch auf Zuerkennung des Ehestatus für gleichgeschlechtliche Verbindungen nicht zu entnehmen, auch wenn sie einer solchen Zuerkennung durch das innerstaatliche Recht nicht entgegensteht. Ungleichbehandlungen zwischen Ehe und sonstigen Lebensgemeinschaften sind nach dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu beurteilen. Im Übrigen sind einzelne Aspekte des Zusammenlebens gleichgeschlechtlicher Paare, insbesondere mit Kindern, durch Artikel 8 geschützt (EGMR, Urt. v. 21.12.1999, Salgueiro da Silva Mouta, RJD 1999-IX, Z. 22).

3.      Absatz 2 enthält eine Schutzpflicht des Staates gegenüber Ehe und Familie. Sie entspricht Art. 33 Abs. 1 GRCh sowie dem für diesen als Vorbild herangezogenen Art. 6 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes. Eine solche Schutzpflicht ist in der EMRK nicht ausdrücklich verankert, eine Reihe von Aspekten wird jedoch sowohl durch den EGMR als auch den VfGH aus dem Schutz der Familie gem. Art. 8 EMRK (Artikel 8 des Entwurfs) abgeleitet. Während der Begriff der Ehe sich entsprechend Absatz 1 nur auf die Verbindung von Mann und Frau bezieht, werden mit dem Begriff der Familie (entsprechend dem Familienbegriff des Art. 8 EMRK) neben der traditionellen Familie auch andere Lebensformen, insbesondere uneheliche Lebensgemeinschaften und alleinerziehende Mütter oder Väter mit ihren Kindern erfasst. Aus dieser Garantie folgen Pflichten des Staates, die Situation von Erziehenden zu verbessern und damit der von Kinderlosen anzugleichen (etwa durch Leistungen oder Berücksichtigungen im Steuerrecht). Einzelheiten wird die Rechtsprechung zu klären haben. Artikel 23 Ziffer 6 des Entwurfs enthält als Gesetzgebungsauftrag die Gewährleistung von Mutterschutzurlaub, Elternurlaub und den Schutz vor Entlassung aus einem mit der Elternschaft zusammenhängenden Grund. Insofern ist die in Artikel 12 Abs. 2 enthaltene allgemeine Schutzpflicht gegenüber Ehe und Familie konkretisiert.

4.      In Absatz 3 wird klargestellt, dass das Erziehungsrecht vorrangig ein Recht der Eltern ist. Subsidiär hat der Staat die Pflicht, das Wohl des Kindes zu wahren (vgl. auch Abs. 5). Nach Satz 2 hat der Staat dabei und im Übrigen, soweit er auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts Aufgaben übernimmt, die Pflicht, das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen Überzeugungen hinsichtlich Religion und Weltanschauung durchzuführen. Diese Garantie entspricht Art. 2 1. ZPEMRK. Die Normierung einer gesetzlichen Schulpflicht ist Voraussetzung für die Übernahme von Erziehungs- und Unterrichtsaufgaben durch den Staat; sie ist daher verfassungsrechtlich zulässig.

5.      In Absatz 4 ist der in Art. 5 7. ZPEMRK enthaltene besondere Gleichheitssatz in Zusammenhang mit der Ehe übernommen.

  1. Absatz 5 enthält eine Reihe von Rechten des Kindes. Er beruht auf den entsprechenden Garantien in Art. 24 GRCh. Dieser wiederum berücksichtigt das internationale Übereinkommen über die Rechte des Kindes, das für alle Mitgliedstaaten der EU in Kraft getreten ist. Im Einzelnen sind gewährleistet ein Anspruch des Kindes auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind.
  2. Absatz 5 verpflichtet den Staat auch zu aktivem Tun, das heißt dazu, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, wenn das Wohl von Kindern beeinträchtigt zu werden droht (vgl. Hölscheidt, in: Meyer [Hrsg.], Grundrechtecharta. Kommentar [2003], Art. 24 Rn. 18). Dazu gehören insbesondere Maßnahmen zum Schutz vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich des sexuellen Missbrauchs, der Kinderprostitution, des Kinderhandels und der Kinderpornographie (vgl. auch Art. 19 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes sowie das – von Österreich noch nicht ratifizierte – Fakultativprotokoll zu dem Übereinkommens über die Rechte des Kindes betreffend Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornographie).

 

[….]

 

 


 

 

Artikel 15 (Berufs- und Erwerbsfreiheit; Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit)

 

(1) Jede Person hat das Recht, unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig auszuüben, ihren Beruf frei zu wählen sowie sich für diesen auszubilden.

 

(2) Die öffentlichen Ämter sind für alle Staatsangehörigen gleich zugänglich. Im Übrigen wird der Eintritt in dieselben vom Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft abhängig gemacht.

 

(3) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden. Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. Als Zwangs- oder Pflichtarbeit gilt nicht:

a)      jede Arbeit die normalerweise von einer Person verlangt wird, die unter den von Artikel 5 vorgesehenen Bedingungen in Haft gehalten oder bedingt freigelassen worden ist;

b)     Wehr- oder Ersatzdienst;

c)      jede Dienstleistung im Falle von Notständen und Katastrophen, die das Leben oder das Wohl der Gemeinschaft bedrohen;

d)     jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürgerpflichten gehört.

 

(4) Kinderarbeit ist verboten. Unbeschadet günstigerer Vorschriften für Jugendliche und abgesehen von begrenzten Ausnahmen darf das Mindestalter für den Eintritt in das Arbeitsleben das Alter, in dem die Schulpflicht endet, nicht unterschreiten. Zur Arbeit zugelassene Jugendliche müssen ihrem Alter angepasste Arbeitsbedingungen erhalten und vor wirtschaftlicher Ausbeutung und vor jeder Arbeit geschützt werden, die ihre Sicherheit, ihre Gesundheit, ihre körperliche, geistige, sittliche oder soziale Entwicklung beeinträchtigen oder ihre Erziehung gefährden könnte.

 

(5) Menschenhandel ist verboten.

 

 

Erläuterungen:

1.      Der vorgeschlagene Entwurf verbindet die Garantien der Art. 6 und 18 StGG zu einem Grundrecht der Berufs- und Erwerbsfreiheit. Ferner enthält Artikel 15 die Gewährleistung des Zugangs zu öffentlichen Ämtern (Absatz 2) und das Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit entsprechend Art. 4 EMRK.

2.      Gemäß Absatz 1 wird die Berufs- und Erwerbsfreiheit ein Menschenrecht. Der Status quo ist, dass zwar die Berufsfreiheit ein Menschenrecht, die Erwerbsfreiheit jedoch ein Staatsbürgerrecht ist. Durch das EU-Recht wurde die Rechtslage insoweit jedoch erheblich modifiziert.

3.      Im Übrigen entspricht der Wortlaut Art. 6 StGG und er nimmt Art. 18 StGG im Wesentlichen wortgleich in seinen Gewährleistungsumfang auf. Auf folgende Punkte sei hingewiesen:

a)      Mit Erwerbszweig sind sowohl selbstständige, als auch unselbstständige Tätigkeiten erfasst, auch der Beruf des Beamten gehört dazu. Beruf ist nach der Rechtsprechung des VfGH eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit und dient im Allgemeinen der Erzielung des Lebensunterhalts.

Die Erwerbsfreiheit nach Art. 6 StGG steht nach der Judikatur neben Staatsbürgern auch inländischen juristischen Personen zu. Die Berufsfreiheit nach Art. 18 StGG steht nur natürlichen Personen zu. Der neue Text macht keine Unterscheidung mehr zwischen natürlichen und juristischen Personen. Für die Reichweite des Grundrechtsschutzes von juristischen Personen ist Artikel 22 Abs. 3 maßgeblich.

b)      Der Entwurf enthält neben dem formellen Gesetzesvorbehalt keine Grundrechtsschranken. Nach der Judikatur des VfGH sind die Grundrechtsschranken für Erwerbsfreiheit und Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit im Wesentlichen einheitlich. Danach dürfen Eingriffe in die Freiheiten erfolgen, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind, ein legitimes Ziel verfolgen und das Verhältnis zwischen Schwere des Eingriffs und Gewicht der rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig (angemessen) ist. Von einer expliziten Normierung dieser „Grundrechtsformel“ kann im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung abgesehen werden. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass es nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zulässig ist, die Erwerbsfreiheit im Interesse des Verbraucherschutzes zu beschränken (z.B. VfSlg 11853/1988). Damit wird der für die Europäische Union formulierten Vorgabe eines hohen Verbraucherschutzniveaus in Art. 38 GRCh Rechnung getragen.

4.      Absatz 2 entspricht Art. 3 StGG. Bürgerinnen und Bürger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union sind gemäß Artikel 22 Abs. 2 des Entwurfs im Rahmen von Art. 39 EGV österreichischen Staatsangehörigen gleichgestellt. Soweit ein öffentliches Amt unter Art. 39 Abs. 4 EGV fällt, ist der grundrechtliche Anspruch auf österreichische Staatsangehörige beschränkt.

4.5.Absatz 3 übernimmt inhaltlich Art. 4 EMRK. Er enthält ein ausdrückliches Verbot von Sklaverei und Leibeigenschaft sowie von Zwangs- und Pflichtarbeit und eine Aufzählung von Pflichten, die keine Zwangs- oder Pflichtarbeit darstellen. Im Ergebnis ermächtigen Absatz 3 Satz 2 und 3 zu besonderen Eingriffen in das Grundrecht jenseits der allgemeinen Schranke der Verhältnismäßigkeit. Von der EMRK wird nur insoweit abgewichen, als der Tatbestand der lit. b präzise auf das österreichische Verfassungsrecht abgestimmt ist. Dienstleistungen im Fall von Notständen und Katastrophen sind z.B. Hilfeleistungen nach einem Hochwasser. Arbeiten oder Dienstleistungen, die zu den normalen Bürgerpflichten gehören, sind beispielsweise kommunale Hand- und Spanndienste, Feuerwehrdienste etc.

6.      Absatz  5 entspricht inhaltlich Art. 32 GRCh sowie Art. 32 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes. Neben dem allgemeinen Verbot der Kinderarbeit muss ein Mindestalter festgelegt werden, ab dem Jugendliche in das Berufsleben eintreten können. Dabei ist eine Regelung, die nach täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeiten differenzierte Altersgrenzen festlegt, zulässig. Ferner muss der Gesetzgeber zum Schutz jugendlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besondere Regelungen treffen, die eine Rücksichtnahme auf das Alter in den Betrieben gewährleisten. Die geltenden gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen (z.B. KJBG, BAG, Verordnungen zum ASchG) werden dieser Vorgabe gerecht und determinieren den Schutzumfang des Abs. 4.

7.      Das Verbot des Menschenhandels gemäß Absatz 5 entspricht Art. 5 Abs. 3 GRCh. Das Verbot ergibt sich unmittelbar aus dem Grundsatz der Menschenwürde und trägt neueren Entwicklungen auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität wie der Schlepperkriminalität oder der organisierten sexuellen Ausbeutung Rechnung. Es umfasst auch das Verbot des Kinderhandels.