VfSlg 15.578/1999 - Rechtssatz
Zulässigkeit der Beschwerden in den Anlaßverfahren. Entscheidung des Bundesvergabeamtes über die Wiederaufnahme eines Verfahrens (Spruchpunkt I) und jene über die Erlassung einer  einstweiligen Verfügung (Spruchpunkte II bis VI) trennbar und jede für sich isoliert anfechtbar.
 
Durch die Entscheidung über die Wiederaufnahme wurde der die Hauptsache erledigende Bescheid vom 09.04.97 (Feststellung, daß die Vergabe betreffend ein "automatisches Öko-Punkte-System" nicht an den Bestbieter erfolgte) aufgehoben und durch die Entscheidung über die Gewährung einer einstweiligen Verfügung wurde in diesem wiederaufgenommenen Verfahren die (nach Aufhebung des den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zurückweisenden Bescheides vom 18.09.96 durch den Verfassungsgerichtshof (vgl. VfSlg. 14889/1997)) erforderlich gewordene  Provisorialentscheidung getroffen. Damit ist im vorliegenden Fall auch eine Beschränkung der Beschwerdeführung auf die Bekämpfung der Entscheidung über die Wiederaufnahme zulässig.
 
Das Bundesvergabeamt hat bei Erlassung des bekämpften Bescheides die Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Vergabeentscheidung eines den Bund vertretenden obersten Organs der Verwaltung in Anspruch genommen. Angesichts des Grundsatzes der Maßgeblichkeit der Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung über eine Wiederaufnahme für die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Wiederaufnahme (vgl. VfSlg. 5592/1967) gründet sich die Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes zur Entscheidung über die Wiederaufnahme (Spruchpunkt I) insoweit auf die Bestimmung des §11 Abs1 Z1 BundesvergabeG 1997, die Zuständigkeit zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung (Spruchpunkte II bis VI) hingegen - angesichts der Übergangsbestimmung des §103a Abs3 Z3 BundesvergabeG idF BGBl. 776/1996 - auf die (gleichlautende) Bestimmung in §6 Abs1 Z1 BundesvergabeG in der Stammfassung.
 
§6 Abs1 Z1 des BundesvergabeG, BGBl. 462/1993, war verfassungswidrig.
 
§11 Abs1 Z1 des BundesvergabeG 1997, BGBl. I 56/1997, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
 
Es ist verfassungsrechtlich unzulässig, kollegiale Verwaltungsbehörden mit richterlichem Einschlag einem obersten Organ der Vollziehung überzuordnen (vgl. VfSlg. 8917/1980, 9164/1981, 9476/1982, 12.220/1989); einer solchen Überordnung kommt es gleich, wenn eine kollegiale Verwaltungsbehörde mit richterlichem Einschlag mit der Kompetenz ausgestattet ist, Entscheidungen oberster Organe
nachprüfend zu kontrollieren und sie im Fall ihrer Rechtswidrigkeit zu beheben (VfSlg. 13.626/1993).
 
Die Vergabekontrollbehörde hat bei Wahrnehmung ihrer Kompetenz nach §91 Abs2 BundesvergabeG (nunmehr: §113 Abs2 BundesvergabeG 1997) nicht außenwirksames privatrechtliches Handeln der obersten Organe im Hinblick auf seine Wirksamkeit und bestimmte Rechtsfolgen zu beurteilen oder eine gesetzlich vorgesehene Genehmigung zu erteilen oder zu versagen, sondern die in den einzelnen Schritten des Verfahrens nach außen zum Ausdruck kommenden Entscheidungen selbst zu
beurteilen und, was gemeinschaftsrechtlich zwingend vorgesehen ist, gegebenenfalls aufzuheben.
 
Das Bundesvergabeamt ist also nicht etwa zur Gewährung oder Versagung einer Genehmigung oder zur Beurteilung der Rechtsfolgen, die mit einem bestimmten Vorgehen der vergebenden Organe verbunden sind, berufen, sondern zur Kontrolle des jeweiligen Aktes selbst, und es hat diesen Akt im Fall seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben. Genau das ist aber dann, wenn sich die Aufhebung auf einen Akt eines obersten Organs bezieht, eine durch die im Prüfungsbeschluß angeführte Entscheidung VfSlg. 13.626/1993 verpönte Kontrolle eines obersten Organs durch ein im B-VG mit einer solchen Kontrollbefugnis nicht ausgestattetes Verwaltungsorgan.
 
Für die Annahme, daß §78 Abs2 BundesvergabeG (nunmehr §99 Abs2 BundesvergabeG 1997), der dem Wortlaut nach verfassungsrangig anordnet, daß das Bundesvergabeamt seine Kontrollaufgaben in erster und letzter Instanz" auszuüben hat, dieses Staatsorgan bei Wahrnehmung seiner Zuständigkeiten im gesamten Aufgabenbereich von sämtlichen organisationsrechtlichen Regelungen des Bundesverfassungsrechts (einschließlich des Systems der umfassenden rechtlichen und politischen Verantwortlichkeit der obersten Organe) ausnimmt, bietet weder der Wortlaut noch die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung einen Anhaltspunkt.
 
Bloß zwei der vielen Regelungen über die Einrichtung des Bundesvergabeamtes stehen im Verfassungsrang, die hier in Rede stehende, die eine Ausnahme von der Regel des Art102 B-VG statuiert, und jene, die die Mitglieder in Ausübung ihres Amtes unabhängig und weisungsfrei stellt (§101 Abs1, vormals: §80 Abs1 BundesvergabeG). Der Verfassungsgesetzgeber hat sich deutlich
erkennbar darauf beschränkt in den beiden von den Vefassungsbestimmungen erfaßten Fragen eine Ausnahme von den ansonsten bestehenden verfassungsrechtlichen Bindungen vorzusehen.
 
Bei der Festsetzung der Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung der derzeit geltenden Bestimmung der Z1 des §11 Abs1 BundesvergabeG 1997 (31.12.2000) hat der Verfassungsgerichtshof den Umstand berücksichtigt, daß das BundesvergabeG in einem sehr wichtigen Punkt, nämlich der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Kontrollmöglichkeit von Vergaben des Bundes, betroffen wird und alternative Lösungsmöglichkeiten umfassende Vorbereitungsarbeiten erfordern, weil das Rechtsschutzsystem völlig umgestaltet werden müßte.