OGH 6. 10. 2000, 1 Ob 12/00x
Auszug aus dem Rechtssatz
 
Durch den Beitrittsvertrag trat Österreich unter den in der Beitrittsakte umschriebenen Bedingungen ua in die "Erste Säule" der EU, das Gemeinschaftsrecht ein. Diese vom Völkerrecht und von den
Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verschiedene, autonome und unabhängige Rechtsordnung wirkt auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlicher Weise in die Rechtssysteme der Mitgliedsstaaten
ein. Für den Rechtsanwender vergrößerte sich dadurch der im Einzelfall zu berücksichtigende Normenkomplex; er ist außerdem mit einer Fülle neuer (gemeinschaftsrechtlicher) Fragestellungen
konfrontiert, zB der Auslegung des Gemeinschaftsrechts im Zusammenhang mit seiner Anwendbarkeit (unmittelbaren Geltung - Wirkung) und seinem Anwendungsvorrang (Kohlegger/Knoflach, Gemeinschaftsrechtliche Auslegungs- und Umsetzungsprobleme am Beispiel von Fusions- sowie Spaltungs-RL und EU-GesRÄG in RdW 1996, 97). Die Niederlassungsfreiheit (Art 43 ex Art 52 EG-V) zählt zum Primärrecht. Nach der Rspr des EuGH obliegt grundsätzlich den nationalen Gerichten die Beurteilung, ob ein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert ist, um die außervertragliche Haftung eines Mitgliedsstaats gegenüber einem einzelnen zu begründen (Urteil vom 1. Juni 1999, Rs C-302/97, Konle gegen Republik Österreich, Slg 1999 I-3099 mwN in Rn 58). Ein Amtshaftungsanspruch kann demnach auch dann entstehen, wenn ein Organ des Rechtsträgers in Österreich unmittelbar anzuwendendes Gemeinschaftsrecht vorwerfbar nicht oder nicht richtig  nwendet (vgl dazu Kucsko-Stadlmayer, Der Vorrang des EU-Rechts vor österreichischem Recht in ecolex 1995, 338 ff, 344). Die zum Schadenersatz führende Vorwerfbarkeit kann dabei auch in der Nichtbeachtung der stRspr des EuGH liegen. Diese Frage der Amtshaftung ist dabei unabhängig davon zu beurteilen, ob österr. Gesetzgebungsorgane ihrer Umsetzungspflicht in Ansehung von Gemeinschaftsrecht nachgekommen sind oder nicht.