VfSlg 9886/1983 (Gliedstaatsverträge)
 
Aus den Entscheidungsgründen
 
III. 1. b) (...) Zu klären ist vielmehr, auf welche Weise die von einer Ländervereinbarung intendierten Rechtswirkungen über die Bindung der Vertragspartner hinaus verfassungskonform zu aktualisieren sind, wie sohin die sich aus der Ländervereinbarung für die Länder als Vertragspartner ergebenden Verpflichtungen erforderlichenfalls so umgewandelt (transformiert) werden, dass damit Dritte (hier: Sozialhilfeträger) angesprochen werden, dass also damit andere Rechtsträger (künftig:  Normunterworfene) in gleicher Weise gebunden werden wie durch sonstige, von Landesorganen zu setzende, an den einzelnen gerichtete Normen.
 
c) Über die Eingliederung von Staatsverträgen, die zwischen der Republik Österreich und anderen Völkerrechtssubjekten abgeschlossen werden, in das österreichische Rechtssystem enthält das B-VG ausdrückliche Regelungen (s. insbesondere Art 49, 50, 65 und 140a); Staatsverträge entfalten mit ihrer Kundmachung "innerstaatliche" Rechtswirkungen, also Wirkungen für den Rechtsunterworfenen, wobei die Kundmachung (im Bundesgesetzblatt) ein Teil des Rechtssetzungsaktes ist. Staatsverträge sind - neben Gesetzen und Verordnungen - eine Rechtsquelle eigener Art.
 
Im Gegensatz dazu enthält die Bundesverfassung derartige Regeln für Vereinbarungen nach Art 15a B-VG nicht: Die Bundesverfassung sieht die Transformation von Ländervereinbarungen nicht vor. Sie kann daher nicht Grundlage für eine landesgesetzliche Bestimmung sein, die eine solche Transformation (explizit oder implizit) verfügt.
 
Insbesondere kann dem Wortlaut des Art 15a B-VG ein den Art 49 und 50 B-VG gleichartiger Inhalt nicht entnommen werden. Dagegen sprechen vor allem die Erl. zur RV, betreffend die nachmalige B-VG-Nov. BGBl. Nr. 444/1974 (182 BlgNR, XIII. GP, S 19). Es heißt dort zu Art 15a B-VG, dass diese Vereinbarungen
 
"nicht unmittelbar verpflichtend für den Rechtsunterworfenen (seien). Der Inhalt solcher Vereinbarungen wird vielmehr in Gesetzgebungsakte oder - soweit dafür gesetzliche Grundlagen bestehen, da diese durch eine Vereinbarung nicht ersetzt werden können - in Verwaltungsakte
umgesetzt werden müssen."
 
Zwar steht den Ländern gemäß Art 99 B-VG die Verfassungsautonomie zu; die Länder können in der Landesverfassung Fragen der Aufbau- und der Ablauforganisation des Landes gestalten; sie dürfen hiebei detaillieren, was im B-VG in den Grundzügen vorgezeichnet ist und in ihren Verfassungen darüber hinaus alle vom B-VG nicht angesprochenen Belange regeln. Nicht aber darf die Landesverfassung gegen Grundsätze verstoßen, die im B-VG festgelegt sind.
 
Einer dieser Grundsätze ist die Beschränkung auf die von der Bundesverfassung ausdrücklich vorgesehenen oder aber vorausgesetzten Typen genereller Rechtsnormen. Ländervereinbarungen sind nun – wie ausgeführt - in der Bundesverfassung nicht ausdrücklich als Rechtsquellentyp eigener Art vorgesehen. Sie wurden von ihr auch nicht historisch vorgefunden.
 
Vor allem aber spricht gegen die Annahme, dass das Land im Rahmen seiner Verfassungsautonomie Ländervereinbarungen im Wege der generellen Transformation (Adoption - vgl. Öhlinger, Verträge im
Bundesstaat, Wien 1978, S 42, Anm. 149) in internes Landesrecht (so wie der Bund - auf die in den Art 49 und 50 B-VG vorgesehene Art - Staatsverträge in innerstaatliches Recht) umgießen darf, die nach Art 138a Abs2 B-VG sehr beschränkte Möglichkeit, die Entscheidung des VfGH über eine Ländervereinbarung herbeizuführen (s. hiezu VfGH 9. Dezember 1982 V37/80, S 10, letzter Absatz; vgl. auch Öhlinger, aaO, S 55 ff.).
 
Auch die Geschlossenheit des Rechtsschutzsystems bei generellen Rechtsnormen ist ein Grundsatz der Bundesverfassung, der durchbrochen würde, wenn Ländervereinbarungen als Rechtsquelle eigener Art eingesetzt würden. Die Normunterworfenen hätten - träfe diese Annahme zu - keine Möglichkeit, die Ländervereinbarung auf ihre Rechtmäßigkeit durch den VfGH überprüfen zu lassen, obgleich diesfalls die Ländervereinbarung die Normunterworfenen unmittelbar berechtigte und verpflichtete. Eine solche Möglichkeit für den Normunterworfenen aufgrund des Art 138a B-VG ist ausgeschlossen; sie kann aber auch nicht durch eine erweiternde (nämlich analoge) Auslegung der dem VfGH sonst noch Zuständigkeiten zuweisenden Bestimmungen (etwa der Art 139 bis 140a B-VG) begründet werden.
 
Daraus folgt, dass - entgegen von Meinungen, die in diesem Gesetzesprüfungsverfahren geäußert wurden (s. oben I.4.b) und entgegen dem Ergebnis, dem Öhlinger (aaO insbesondere S 39 ff., 61,
70 ff.) zuneigt - der Landesverfassungsgesetzgeber nicht berufen ist, eine Ländervereinbarung als eigenen, der Erzeugung von generellen - Normunterworfene bindenden - landesrechtlichen Normen dienenden Rechtsquellentypus vorzusehen. Die Frage der Erzeugungsregeln für lediglich Organe des Landes ansprechende Normen kann hier unerörtert bleiben (s. hiezu Öhlinger, aaO, S 58).