Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs

vom 29. September 2005

 

I. Verfahren Vf. 3-VII-05

 

Popularklage

1. des Herrn M. D. in M.,

2. des Herrn K. G. in M.,

3. des Herrn Prof. Dr. E. S. in L.,

4. des V. e.V. in M.,

 

auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit

des Gesetzes zur Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht (Gerichtsauflösungsgesetz – BayObLG­AuflG) vom 25. Oktober 2004 (GVBl S. 400),

 

II.  Verfahren Vf. 7-VIII-05

 

Meinungsverschiedenheiten zwischen

 

der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag

und

dem Bayerischen Landtag

 

über die Frage, ob das Gesetz zur Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht (Gerichtsauflösungsgesetz – BayObLGAuflG) vom 25. Oktober 2004 (GVBl S. 400) Art. 118 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 101, Art. 3 Abs. 1 Satz 2 und Art. 86 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Freistaates Bayern verletzt und deshalb nichtig ist

 

 

 

 

 

Leitsätze:

 

 

 

1.     1.     Gegenstand einer verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle können nur das angegriffene Gesetz selbst und das diesem unmittelbar zugrunde liegende Gesetzgebungsverfahren sein. Vorgänge, die im Vorfeld des parlamentarischen Verfahrens liegen, können die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes grundsätzlich nicht begründen.

 

2.     2.     Die Abgeordneten des Bayerischen Landtags sind nur ihrem Gewissen verantwortlich und an Aufträge nicht gebunden. Eine verbindliche Festlegung der Abgeordneten der Regierungsfraktion im Sinn einer „Vorfestlegung“ durch eine Richtlinienentscheidung des Ministerpräsidenten besteht somit rechtlich nicht. Welche Motive dem Stimmverhalten der Abgeordneten, die dem Gerichtsauflösungsgesetz zugestimmt haben, zugrunde lagen, entzieht sich der Beurteilung durch den Verfassungsgerichtshof.

 

3.     3.     Die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht verletzt nicht den rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Gerichtsauflösungsgesetz ist als Bestandteil eines Gesamtkonzepts zu sehen, das allgemein auf Einsparungen abzielt. Es kann nicht festgestellt werden, dass das angegriffene Gesetz – im Rahmen eines solchen Gesamtkonzepts – zur Erreichung der angestrebten Ziele schlechthin ungeeignet, nicht erforderlich oder nicht verhältnismäßig im engeren Sinn ist.

 

4.     4.     Der Staat ist verfassungsrechtlich verpflichtet, für eine funktionsfähige Rechtspflege zu sorgen. Die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung wird durch das Gerichtsauflösungsgesetz nicht verletzt. Das Gesetz trägt mit der Übertragung der Rechtsprechungsaufgaben des Bayerischen Obersten Landesgerichts auf die Oberlandesgerichte dafür Sorge, dass diese Aufgaben auch weiterhin in sachgerechter Weise erfüllt werden.

 

5.     5.     Dem Gesetzgeber steht bei Organisationsakten regelmäßig ein weiter Ermessens- und Gestaltungsspielraum zu; mit Blick auf das Willkürverbot genügt es, dass sich für seine Entscheidung ein sachlich vertretbarer Grund von einigem Gewicht anführen lässt. Bei Maßnahmen der Gerichtsorganisation hat der Gesetzgeber die Stellung der Rechtsprechung als dritter Gewalt zu achten. Werden diese Stellung der rechtsprechenden Gewalt und die allgemeine Justizgewährungspflicht beachtet, so müssen die Gründe für eine gerichtsorganisatorische Regelung nicht spezifisch darauf bezogen sein, die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung zu optimieren. Vielmehr können im Rahmen eines Gesamtkonzepts auch rechtsprechungsexterne Gründe eine Gerichtsorganisationsregelung rechtfertigen.

 

6.     6.     Die Einsparung von Haushaltsmitteln in nicht vernachlässigbarem Umfang ist generell ein sachlich vertretbarer Grund von einigem Gewicht, der gesetzliche Regelungen, auch auf dem Gebiet der Gerichtsorganisation, rechtfertigen kann. Dabei kommt es nicht darauf an, ob im Gesamtsystem des politischen Konzepts Maßnahmen enthalten sind, die – isoliert betrachtet – keinen signifikanten Beitrag zur Zielerreichung liefern. Einzelmaßnahmen sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller Sparmaßnahmen zu sehen.

 

7.     7.     Der Gewaltenteilungsgrundsatz wird durch die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht verfassungswidrig berührt. In die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt, vor allem in deren Kernbereich, nämlich die konkrete Ausübung der Rechtsprechung durch den einzelnen unabhängigen Richter, wird durch das Gerichtsauflösungsgesetz nicht eingegriffen. Es kann nicht festgestellt werden, dass „die dritte Gewalt“ insgesamt durch eine Organisationsregelung wie das Gerichtsauflösungsgesetz in ihrem Kernbereich tangiert wird oder dass ihre maßgeblichen Kompetenzen ausgehöhlt werden.

 

8.     8.     Dem einzelnen Bürger wird durch das Gerichtsauflösungsgesetz der bestehende Rechtsschutz nicht entzogen; lediglich die Aufgabe der Gewährung dieses Rechtsschutzes wird vom Bayerischen Obersten Landesgericht auf die Oberlandesgerichte verlagert. Für den Bürger besteht weiterhin wirkungsvoller gerichtlicher Rechtsschutz in dem Umfang, wie ihn der Staat von Verfassungs wegen zur Verfügung zu stellen hat.

 

 

 

 

Entscheidung:

 

Die Anträge werden abgewiesen.

 

 

Gründe:

 

Gegenstand der Verfahren ist die Frage, ob die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht mit der Bayerischen Verfassung zu vereinbaren ist.

 

 

I.

 

Durch § 1 des Gesetzes zur Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht (Gerichtsauflösungsgesetz – BayObLGAuflG – vom 25. Oktober 2004, GVBl S. 400) wurde Art. 1 des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte im Freistaat Bayern aufgehoben. Damit wird dem Bayerischen Obersten Landesgericht sowie der Staatsanwaltschaft bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht die organisationsrechtliche Grundlage entzogen; das Gericht wird unter Überleitungsbestimmungen bis zum 1. Juli 2006 aufgelöst (zu Geschichte, Stellung, Aufgaben und Zuständigkeiten des Bayerischen Obersten Landesgerichts s. Herbst, Hrsg., Das Bayerische Oberste Landesgericht: Geschichte und Gegenwart, München 1993; zur Staatsanwaltschaft s. Biebl/Helgerth, Die Staatsanwaltschaft bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht, 4. Aufl. 2004). Die Aufgaben des Gerichts gehen nach Maßgabe des Gesetzes auf die Oberlandesgerichte über; dabei sind die Entscheidung über die weiteren Beschwerden in Grundbuchsachen und in den anderen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit bei dem Oberlandesgericht München konzentriert (Art. 11 a AGGVG) und die Entscheidung über die Rechtsbeschwerden aufgrund des Wirtschaftsstrafgesetzes, des Gesetzes über die Ordnungswidrigkeiten sowie weiterer entsprechender Vorschriften beim Oberlandesgericht Bamberg (Art. 11 b AGGVG).

 

Dem Gerichtsauflösungsgesetz lag folgender Verfahrensablauf zugrunde (vgl. hierzu auch Huff/Sprau, Die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht – Eine Chronik mit Kommentar, NJW-Sonderheft BayObLG, 2005, 5; Biebl/Helgerth, a. a. O., S. 267 ff.):

 

Die „Abschaffung“ des Bayerischen Obersten Landesgerichts wurde am 6. No­vember 2003 in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vor dem Bayerischen Landtag angekündigt (LT-Plenarprotokoll 15/5 vom 6.11.2003 S. 53). Der Entwurf der Regierungserklärung war am 4. November 2003 als Richtlinie der künftigen Regierungspolitik dem Ministerrat vorgestellt worden.

 

In der Folgezeit entwickelte das Bayerische Staatsministerium der Justiz – auch in Zusammenarbeit mit dem das Vorhaben ablehnenden Präsidenten des Bayerischen Obersten Landesgerichts – ein Konzept zum Vollzug der Auflösung des Gerichts.

 

Am 16. Dezember 2003 billigte der Ministerrat die von der Staatsministerin der Justiz vorgelegten Eckpunkte für die Auflösung des Gerichts. Dazu gehörte u. a. der Zeitplan für die stufenweise Auflösung.

 

Auf der Grundlage dieser Eckpunkte erarbeitete das Staatsministerium der Justiz den Entwurf für das Auflösungsgesetz. Der Gesetzentwurf wurde am 9. März 2004 den Präsidenten des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Oberlandesgerichte sowie den Generalstaatsanwälten bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht und bei den Oberlandesgerichten sowie den übrigen Staatsministerien und der Staatskanzlei zum Zwecke der Praxisanhörung und der Ressortanhörung zugeleitet. Nach Überarbeitung von Detailfragen des Gesetzentwurfs aufgrund der Stellungnahmen aus den Ressorts und der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis wurde der Gesetzentwurf im Rahmen der so genannten Verbandsanhörung mit Schreiben des Staatsministeriums der Justiz vom 7. April 2004 dem Präsidialrat der ordentlichen Gerichtsbarkeit bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht, dem Hauptstaatsanwaltsrat bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht, dem Bayerischen Beamtenbund, dem Bayerischen Richterverein, dem Bayerischen Obersten Rechnungshof, der Landesanwaltschaft Bayern, den Rechtsanwaltskammern in München, Nürnberg und Bamberg, der Landesnotarkammer Bayern, den Berufsvertretungen der Heilberufe, Architekten und Ingenieure, den Industrie- und Handelskammern sowie den Handwerkskammern in Bayern, der Neuen Richtervereinigung, dem Verband der Rechtspfleger, der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), der Bayerischen Justizgewerkschaft, dem Justizwachtmeisterverband, dem Hauptpersonalrat beim Bayerischen Staatsministerium der Justiz und dem Hauptrichterrat beim Bayerischen Obersten Landesgericht zugeleitet. Außerdem wurde der Gesetzentwurf dem Bayerischen Landtag zum Zweck der Unterrichtung über Vorhaben der Landesgesetzgebung nach dem Parlamentsinformationsgesetz übermittelt.

 

Aufgrund der Äußerungen der Verbände wurde der Gesetzentwurf in Teilbereichen erneut überarbeitet. Sodann legte die Staatsministerin der Justiz den Gesetzentwurf mit Schreiben vom 11. Mai 2004 dem Ministerrat zur Beschlussfassung vor. In der Ministerratsvorlage wurde die meist ablehnende Haltung der angehörten Verbände dargestellt.

 

Nach Billigung des Gesetzentwurfs durch den Ministerrat am 17. Mai 2004 legte der Ministerpräsident den Gesetzentwurf am gleichen Tag dem Landtag vor (LT-Drs. 15/1061 vom 17.5.2004). Im Gesetzentwurf war hinsichtlich der Gründe für die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht im Vorblatt ausgeführt:

 

„A) Problem

 

Das in einer langen Tradition stehende Bayerische Oberste Landesgericht

und die Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht haben sich große Verdienste

um die Rechtspflege im Freistaat Bayern und in Deutschland erworben. Angesichts der äußerst schwierigen Haushaltslage, die durch knappe Finanzmittel der öffentlichen Hand und stetig sinkende Steuereinnahmen gekennzeichnet ist, muss der Staat alle vertretbaren Möglichkeiten zur Einsparung von Haushaltsmitteln ergreifen. Im Rahmen der notwendigen Strukturreform müssen Einrichtungen, die nicht zwingend erforderlich sind, aufgelöst werden. Zu diesen zählt das Bayerische Oberste Landesgericht. Bayern ist das einzige Land, das ein Oberstes Landesgericht errichtet hat. Die bisherigen Aufgaben des Bayerischen Obersten Landesgerichts sollen künftig durch die drei bayerischen Oberlandesgerichte wahrgenommen werden, die ebenfalls mit hervorragend qualifizierten Richterinnen und Richtern und sonstigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt sind. Entsprechendes gilt für die Staatsanwaltschaft beim Bayerischen Obersten Landesgericht, deren Aufgaben durch die Staatsanwaltschaften bei den drei Oberlandesgerichten übernommen werden sollen. Durch die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht werden Haushaltsmittel in beträchtlicher Höhe eingespart.

 

 

C) Alternativen

 

Keine

 

D) Kosten

 

Mit der Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und seiner

Staatsanwaltschaft werden Personalkosten sowie – in geringerem Umfang – Kosten für den sächlichen Verwaltungsaufwand eingespart werden. Die dauerhaften Einsparungen werden jährlich ca. 1,48 Mio. EUR (Personaldurchschnittskosten und Sachkosten) betragen.

 

 

In der Begründung des Gesetzentwurfs war unter anderem ausgeführt:

 

„Begründung:

 

A) Allgemeines

 

Das Bayerische Oberste Landesgericht steht in einer langen Tradition

und hat sich um die Rechtsprechung im Freistaat Bayern und in Deutschland verdient gemacht. Durch die Gewährleistung einer einheitlichen Anwendung von Bundesrecht (Zivil- und Strafrecht) in Bayern hat sich das Bayerische Oberste Landesgericht einen herausragenden Ruf in Rechtspraxis und Rechtswissenschaft erworben und einen in ganz Deutschland anerkannten Beitrag zur Rechtsentwicklung und zur Rechtssicherheit geleistet. Gleichzeitig hat es auch über lange Zeit die Besonderheit und Eigenständigkeit des Freistaats Bayern dokumentiert, zumal Bayern das einzige Land ist, das ein Oberstes Landesgericht errichtet hat. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass durch diese eigene bayerische Gerichtsinstitution bayerisches Landesrecht eigenständig und letztverbindlich ausgelegt wurde. Die großen Verdienste, die sich das Bayerische Oberste Landesgericht um die Rechtspflege in Bayern und in Deutsch­­land erworben hat, verdienen höchste Anerkennung. Gleiches gilt für die Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht.

 

Unbeschadet dessen ist der bayerische Gesetzgeber aufgrund der äußerst schwierigen Lage der öffentlichen Haushalte gezwungen, alle vertretbaren Möglichkeiten zur Einsparung von Haushaltsmitteln zu ergreifen. Dabei lassen sich Einschnitte in allen Bereichen und auch Eingriffe in historisch gewachsene Strukturen nicht vermeiden. Im Hinblick auf die anerkannte Qualifikation bayerischer Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte können – unbeschadet der Konzentration einzelner Verfahren – die bisher dem Bayerischen Obersten Landesgericht zugewiesenen Rechtsprechungsaufgaben auch durch die drei bayerischen Oberlandesgerichte und die von der Staatsanwaltschaft beim Bayerischen Obersten Landesgericht wahrgenommenen staatsanwaltschaftlichen Aufgaben auch durch die Staatsanwaltschaften bei den Oberlandesgerichten München, Nürnberg und Bamberg wahrgenommen werden. Auch diese Behörden sind mit hervorragend qualifizierten Richterinnen und Richtern bzw. Staatsanwältinnen und Staatsanwälten und sonstigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt. Ihre Arbeit findet ebenfalls über Bayern hinaus Beachtung. Die Reduzierung gerichtlicher Strukturen erfolgt deshalb mit der Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und seiner Staatsanwaltschaft dort, wo es ohne wesentliche Qualitätseinbußen für die Bürgerinnen und Bürger möglich ist. Hierdurch lassen sich Einsparungen von haushaltsmäßigen Ausgaben erzielen. Mit dem Gesetz wird die Auflösung beider Institutionen rechtlich umgesetzt.

 

Die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts erfolgt stufenweise…

 

Das Bayerische Oberste Landesgericht ist ein Rechtsmittelgericht mit bayernweiter Zuständigkeit. Es entscheidet in zahlreichen Verfahren an Stelle der Oberlandesgerichte. Diese Konzentration von Verfahren bei einem Gericht kann und muss bei Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht in allen Verfahren aufrechterhalten werden. Im Interesse einer bürgernahen Justiz sollen für bestimmte Verfahren künftig auch die Oberlandesgerichte Nürnberg und Bamberg zuständig sein. Hierdurch wird ein Beitrag zur Regionalisierung und Dezentralisierung von Behörden in Bayern geleistet. Durch die vorgesehene Regionalisierung von bisherigen Zuständigkeiten des Bayerischen Obersten Landesgerichts und die gleichzeitige Konzentration der Rechtsbeschwerden im Bereich der Ordnungswidrigkeitenverfahren beim Oberlandesgericht Bamberg werden beim Oberlandesgericht Bamberg voraussichtlich zwei Senate und beim Oberlandesgericht Nürnberg voraussichtlich ein Senat zusätzlich entstehen, während die übrigen Ressourcen auf das Oberlandesgericht München übergehen

werden.“

 

Der Landtag hatte sich bereits vor Zuleitung des vom Ministerrat beschlossenen Gesetzentwurfs fraktionsintern mit der Materie befasst. Die Frage der Gerichtsauflösung war auch Thema einer von der SPD-Land­tagsfraktion beantragten und vom Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen am 6. Mai 2004 veranstalteten Anhörung.

 

Bei der Ersten Lesung des Gesetzentwurfs in der Plenarsitzung am 17. Juni 2004 legte die Staatsministerin der Justiz die Gründe für das Vorhaben dar (LT-Plenar­protokoll 15/18 vom 17.6.2004 S. 1196 ff.). Der Gesetzentwurf wurde anschließend federführend im Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen sowie mitberatend in den Ausschüssen für Staatshaushalt und Finanzfragen, für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit, für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie sowie für Fragen des öffentlichen Dienstes behandelt. Die Endberatung war am 14. Oktober 2004 im Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen. Dabei empfahl der Ausschuss noch einige Änderungen am Gesetzestext.

 

Nach der Zweiten Lesung am 20. Oktober 2004 (LT-Plenarprotokoll 15/26 vom 20.10.2004 S. 1695 ff.) wurde das Gesetz in namentlicher Abstimmung mit 94 Stimmen bei 59 Gegenstimmen und 3 Enthaltungen beschlossen. Das Gesetz wurde am 25. Oktober 2004 vom Ministerpräsidenten ausgefertigt und in der Ausgabe vom 30. Oktober 2004 im Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht.

 

 

II.

 

A. Verfahren Vf. 3-VII-05 (Popularklage)

 

Die Antragsteller rügen, das Gerichtsauflösungsgesetz verletze als Ganzes die Art. 101 BV i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV), Art. 118 Abs. 1 BV und Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV.

 

1. a) Art. 101 BV sei in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip als Anspruch auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz zu sehen. Die im Allgemeinen weite Gestaltungsmacht des Landesgesetzgebers unterliege im Bereich der dritten Gewalt wegen dieses Anspruchs strengeren Anforderungen. Diesen könne er grundsätzlich dadurch genügen, dass er für eine Gerichtsorganisation sorge, die eine sachdienliche Förderung und zügige Erledigung der Verfahren erwarten lasse. Eine vom Gesetzgeber über diesen Mindeststandard hinaus entwickelte Gerichtsorganisation könne jedoch nicht aus rechtsprechungsexternen Gründen auf den rechtsstaatlichen Mindeststandard zurückgeführt werden. Das würde zu einer Negierung der rechtsstaatlich postulierten Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der Rechtsprechung führen und die Gewaltenteilung überspielen. Die Organisation der Rechtsprechung stehe als dritte Gewalt nicht nur der zweiten, sondern auch der ersten Gewalt unabhängig gegenüber. Der Gesetzgeber dürfe deshalb in die Organisation der Rechtsprechung nur eingreifen, wenn dies der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege wegen geschehe. Ein Eingriff aus anderen – rechtsprechungsexternen – Gründen komme nur in Betracht, wenn er verhältnismäßig sei.

 

b) Hieran gemessen werde das Grundrecht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz durch die Abschaffung des Obersten Landesgerichts verfassungswidrig eingeschränkt.

 

Das Bayerische Oberste Landesgericht habe seine besondere Bedeutung unter anderem aus der Zuständigkeit für Revisionen in Zivilsachen aus dem Bereich des Landesrechts erhalten, in denen es anstelle des Bundesgerichtshofs tätig geworden sei. Dabei habe es vor allem im Amtshaftungs- und Enteignungsrecht besondere Leistungen für die Rechtspflege in Bayern erbracht. Weiter ergebe sich die besondere Bedeutung des Gerichts aus den vielfältigen Aufgaben und Zuständigkeiten, die es an Stelle der Oberlandesgerichte als zentrales oberstes Gericht des Landes zu erfüllen gehabt habe. Besonders hinzuweisen sei hier auf die Zuständigkeiten in Strafsachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, einschließlich der Wohnungseigentums- und Grundbuchsachen. Dies seien Verfahren, die von einem letztinstanzlichen Gericht besondere Grundrechtssensibilität verlangten und bei denen die Einheitlichkeit der Gesetzesauslegung und -anwen­dung innerhalb Bayerns ein besonderes rechtsstaatliches Anliegen sei. Bayern habe nicht nur die Rechtsbeschwerden in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und die Revisionen gegen Berufungsurteile der Landgerichte in Strafsachen dem Obersten Landesgericht übertragen, sondern darüber hinaus auch bis in die jüngste Zeit von fast allen weiteren bundesrechtlichen Ermächtigungen ähnlicher Art Gebrauch gemacht. Dadurch sei die unverzichtbare einheitliche Rechtsanwendung garantiert und ein besonderes Qualitätsniveau erreicht worden. Aufgrund des hier konzentrierten richterlichen Sachverstands und des aufgebauten Fundus richterlicher Erfahrung seien die Rechtssachen so sachgemäß und zügig zum Abschluss gebracht worden, wie es bei drei Oberlandesgerichten unterschiedlicher Größe nicht möglich gewesen sei. Das Bayerische Oberste Landesgericht habe sich auf den genannten Gebieten zu einem in ganz Deutschland anerkannten und führenden Kompetenzzentrum entwickelt, wie die Rechtsprechungsnachweise der Kommentare und die sonstige Fachliteratur zeigten. Die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts sei in diesen Bereichen führend und richtungsweisend für den ganzen deutschen Rechtsraum.

 

Mit der Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts seien die Vorzüge dieser Zuständigkeitsordnung entfallen. Die Konzentration der Strafrechtspflege in der Revisionsinstanz entfalle. Die isolierte Konzentration der Rechtsbeschwerden im Ordnungswidrigkeitenverfahren beim Oberlandesgericht Bamberg schaffe die Möglichkeit von Diskrepanzen in der Auslegung von Straf- und Bußgeldtatbeständen. Ähnlich sei es mit den Verfahrensänderungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Zwar gebe es auch bei den Oberlandesgerichten besonders tüchtige und erfahrene Richter. Sie müssten dort aber vor allem für die wichtigste Aufgabe der Oberlandesgerichte, nämlich für die großen und schwierigen Zivilprozesse eingesetzt werden.

 

c) Das Gesetz stütze sich auf rechtsprechungsexterne Gründe, die einen Rückbau der Rechtspflege nicht rechtfertigen könnten.

 

Die in erster Linie zur Gesetzesbegründung angeführte Konsolidierung der Staatsfinanzen stelle ein hohes Gemeinschaftsanliegen dar. Der Rückbau der Rechtspflege, auch die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts mit seiner 380-jährigen Tradition, sei nicht von vornherein ungeeignet, diesem Ziel zu dienen. An der Eignung fehle es allerdings, wenn mit der Auflösung des Gerichts Nachteile verbunden wären, die den Entlastungseffekt finanziell wieder wettmachten. Eine Rückführung der Qualität der Rechtsprechung auf den Mindeststandard bringe auch zusätzliche Kosten mit sich.

 

Selbst wenn die Aufhebung des Gerichts die erwartete Entlastung von jährlich 1,47 Mio. Euro bringe, so handle es sich dabei nur um 0,8 Promille des derzeitigen Justizhaushaltes. Dieser geringe Einsparungseffekt sei auch auf weniger einschneidende Weise erzielbar. Zu denken sei hier auch an eine kostensparende Vereinfachung der Organisation des Bayerischen Obersten Landesgerichts oder den Abbau von Rechtsmitteln.

 

Schließlich erscheine die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vor dem Hintergrund der tatsächlichen Verhältnisse unangemessen und im engeren Sinn unverhältnismäßig. Eine Lage, in der die Aufhebung eines obersten Landesgerichts aus finanziellen Gründen, gewissermaßen als „Notoperation“ gerechtfertigt sein könnte, sei für Bayern nicht gegeben. Es stehe hinsichtlich seiner Verschuldung im Vergleich mit anderen Ländern sehr günstig da. Jedenfalls sei die Lage Bayerns heute wohl kaum bedrängter als im Jahre 1948, in dem das Bayerische Oberste Landesgericht wieder errichtet worden sei.

 

2. Das Gerichtsauflösungsgesetz verletze das Willkürverbot.

 

a) Eine verfassungswidrige „evidente Willkür" liege vor, wenn ein Organisationsakt auf offensichtlich sachfremden oder sachwidrigen Erwägungen beruhe oder wenn das Gebot einer sachgerechten Abwägung verletzt werde, z. B. wenn eine solche überhaupt nicht stattgefunden habe. Der Gesetzgeber müsse nach der besten Lösung suchen, Alternativen prüfen und sich für die so gefundene Lösung entscheiden. Diese gesetzgeberische Aufgabe sei vergleichbar dem „Grundrechtsschutz durch Verfahren“. Das Gesetzgebungsverfahren müsse sich durch Transparenz auszeichnen, die Beteiligung der parlamentarischen Opposition gewährleisten und den Betroffenen Gelegenheit bieten, ihre Auffassungen darzulegen. Ähnlich wie bei Eingriffen in den Bestand von Kommunen hätten gesetzgeberische Eingriffe in die Rechtsprechung einen besonderen Legitimationsbedarf. Bei der Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts wäre damit die Anhörung der betroffenen Gerichte, der Anwaltschaft, der Notare und der betroffenen Bevölkerungs- und Wirtschaftskreise erforderlich gewesen. Ihre Äußerungen hätten im Parlament sorgfältig und nachvollziehbar gewürdigt und gegeneinander abgewogen werden müssen.

 

b) Für die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts fehle es an einer solchen sachgerechten Abwägung.

 

aa) Es fehle schon an einem Gesetzgebungsverfahren, dessen Ablauf den dargelegten verfahrensmäßigen Voraussetzungen entspreche. Zu den Einzelheiten dieses Ablaufs werde auf die Darstellung von Huff/Sprau, Die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht, NJW-Sonderheft BayObLG, 2005, 5/7 ff. und bei Biebl/Helgerth, Die Staatsanwaltschaft bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht, 4. Aufl. 2004, S. 267 ff., Bezug genommen. Die Abschaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichts sei in der Regierungserklärung vom 6. November 2003 ohne Begründung und ohne vorherige Erörterung mit den Betroffenen als Teil einer Verwaltungsreform angekündigt worden. Im weiteren Verlauf seien unter Hinweis auf die Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten und einen entsprechenden Kabinettsbeschluss Alternativen nicht geprüft und nicht erörtert worden. Eine korrekte Meinungsbildung sei durch Ausschaltung der Betroffenen, des Justizministeriums, durch eine Vorfestlegung der Regierungsfraktion und durch die Vermeidung einer ergebnisoffenen Sachdiskussion im eigentlichen Gesetzgebungsverfahren behindert worden.

 

Im Gesetzgebungsverfahren habe offensichtlich jedes Bemühen um Klärung relevanter Tatsachen, um eine sachliche Abwägung und um Prüfung schonenderer Alternativen gefehlt.

 

bb) Die vorgetragenen Gründe für die Auflösung des Obersten Landesgerichts seien inhaltlich zum Teil evident sachwidrig und willkürlich.

 

Das Oberste Landesgericht sei kein Teil der Verwaltung. Es sei angesichts der von den Verfassungsgerichten immer wieder hervorgehobenen Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der dritten Gewalt nicht erlaubt, rechtsprechende Gewalt in eine Verwaltungsreform einzubeziehen.

 

Aus zahlreichen Äußerungen ergebe sich, dass es für die maßgebenden Entscheidungsträger entscheidend gewesen sei, ein Signal unbeugsamen Sparwillens zu setzen, der auch vor hochbewährten und allseits unangefochtenen Insti­tutionen nicht Halt mache. Es sei also nicht um Sachargumente und nicht um eine Verbesserung der Rechtspflege gegangen, sondern um eine politische Demon­stration, mit der Widerstand gegen einschneidende Sparmaßnahmen überwunden werden sollte. Damit sei das rechtsstaatsbezogene Ausgleichs- und Abwägungsgebot in grober Weise missachtet worden und eine bewährte, seit Jahrzehnten niemals ernsthaft infrage gestellte Institution für sachfremde Zwecke instrumentalisiert worden. Es sei somit nicht nur gegen das Verfassungsgebot sachgerechter Abwägung, sondern auch gegen das Willkürverbot verstoßen worden.

 

Es sei verfehlt, die Auflösung des Obersten Landesgerichts als Beitrag zur Regionalisierung darzustellen. Mit dieser Begründung werde das Anliegen des Rechtsstaatsprinzips, durch Rechtsmittelzüge eine möglichst einheitliche Auslegung und Anwendung des Rechts zu gewährleisten, verkannt. Jedenfalls werde dem Rechtsstaat ein grob unverhältnismäßiges Opfer angesonnen. Auf der anderen Seite fehle jede Abwägung der regionalpolitischen und gesamtstaatlichen Vorteile, die sich aus dem Alternativvorschlag einer Verlegung des Obersten Landesgerichts nach Nürnberg für die gesamte Region Franken ergeben könnten. Eine Erörterung, Abwägung und Bewertung dieser sich aufdrängenden Überlegungen habe im Gesetzgebungsverfahren nicht stattgefunden. Von einer sachgerechten Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte könne nicht die Rede sein.

 

3. Das Gerichtsauflösungsgesetz führe zu einer verfassungswidrigen Einschränkung des Rechts auf den gesetzlichen Richter.

 

Dieses Grundrecht verbürge die Rechtsgewährung durch einen unabhängigen Richter und dass der Gesetzgeber für den Bestand von Gerichten Sorge trägt, die den Anforderungen des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung entsprechen. Das müssten Gerichte sein, die der Gesetzgeber aufgrund sachgerechter Abwägungen errichtet habe, die dem Recht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz genügten und deren Gestaltung nicht von sachfremden Gesichtspunkten bestimmt sei. Aus dem Recht auf den gesetzlichen Richter erhalte der zunächst nur in der Sphäre des objektiven Rechts liegende gesetzliche Organisationsakt der Abschaffung eines Gerichts einen grundrechtlichen Gehalt. Wenn es um die Abwägung von rechtstaatlichen Belangen mit anderen Belangen des Gemeinwohls gehe, müsse von Verfassungs wegen darauf abgestellt werden, dass der Gesetzgeber seine Gestaltungsentscheidungen auf transparente Verfahren stütze, in denen alle politischen Kräfte und vor allem auch alle sachlich Betroffenen zu Wort und Erwägung gelangten, mithin auch die Ansichten sachkundiger Institutionen und Personen einflössen und die zu Gebote stehenden sonstigen Erkenntnisgrundlagen genutzt würden. Daran fehle es beim Auflösungsgesetz.

 

B. Verfahren Vf. 7-VIII-05 (Meinungsverschiedenheiten)

 

Die Antragstellerin trägt vor, das Auflösungsgesetz verstoße gegen das allgemeine Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV), das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV), das Recht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 101 BV), den Gemeinwohlauftrag (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV) und gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV).

 

1. Die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts sei ein Bruch mit einer jahrhundertealten Tradition und Rechtskultur und die Abkehr vom Selbstverständnis und Selbstbewusstsein bayerischer Staatlichkeit. Zwar habe der Gesetzgeber bei Organisationsentscheidungen grundsätzlich einen weiten Ermessensspielraum. Auch derartige Entscheidungen könnten jedoch verfassungsgerichtlich beanstandet werden, wenn sie eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlerhaft seien oder wenn sie durch keine sachliche Erwägung zu rechtfertigen seien oder wenn sie der Wertordnung der Bayerischen Verfassung widersprächen. Bei Gerichtsorganisationsentscheidungen sei es Aufgabe der Staatsregierung und des Gesetzgebers, die Unabhängigkeit und gleichberechtigte Stellung der rechtsprechenden Gewalt zu wahren. Bei Gerichtsorganisationsmaßnahmen habe der Gesetzgeber die besondere Stellung der Justiz im Staatsgefüge zu beachten und jeden Eingriff in die Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu vermeiden; außerdem dürfe er die effektive Gewährleistung von Rechtsschutz nicht schmälern. Die Gründe, die für die gesetzgeberische Lösung sprächen, müssten umso schwerwiegender sein, je mehr in die Funktionswahrnehmung eines oberen Landesgerichts eingegriffen werde. Außerdem müsse einer gesetzgeberischen Entscheidung, durch die ein oberstes Gericht aufgelöst werde, ein transparentes Verfahren mit Abwägung aller Vor- und Nachteile und der Prüfung möglicher Alternativen vorausgehen. Diese Grundsätze würden auch für die Auflösung der Staatsanwaltschaft gelten.

 

2. Nach diesen Grundsätzen sei das Auflösungsgesetz evident willkürlich.

 

a) Für die Auflösung des Obersten Landesgerichts gebe es keine sachlich einleuchtenden, besonders schwerwiegenden Gründe. Die insoweit angeführten Gründe (Einsparungen, Strukturreform, Beitrag zur Regionalisierung und zu einer bürgernahen Justiz, Signalwirkung bezüglich des Sparwillens) könnten das Auflösungsgesetz nicht rechtfertigen.

 

Es könnten keine Haushaltsmittel in einer derartigen Höhe eingespart werden, dass die Haushaltslage entspannt werde. Selbst wenn man das genannte Einsparvolumen (ab 2006: 630.000 € jährlich; langfristig knapp 1,5 Mio. € jährlich) zugrunde lege, wären die Einsparungen marginal; sie würden weniger als 0,1 % des Justizhaushalts darstellen, der seinerseits nur 4,7 % der Gesamtausgaben des Freistaates Bayern ausmache.

 

Es treffe zwar zu, dass das Bayerische Oberste Landesgericht und die Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht im Blick auf andere Bundesländer nicht „zwingend erforderlich“ seien. Die Frage, was in diesem Sinn „zwingend erforderlich“ sei, sei jedoch keinem objektiven Maßstab zugänglich; sie müsse vielmehr nach politischer Opportunität beantwortet werden. Politische Opportunität könne zwar bei anderen Einrichtungen als Legitimation für eine Auflösung ausreichen, nicht aber bei der Auflösung des Obersten Landesgerichts, da hierbei die besondere Stellung der Rechtsprechung im Rahmen der Gewaltenteilung und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der unabhängigen Justiz zu beachten seien.

 

Welchen Beitrag die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts zu der im Rahmen der Begründung nur umrisshaft angedeuteten Strukturreform der Justiz leisten solle, sei nicht erkennbar. Dieses Gericht und die dazugehörige Staatsanwaltschaft seien im Gegenteil ein Garant dafür, dass durch zügige Gerichtsverfahren mehr Rechtssicherheit geschaffen und ein „Justizkollaps“ vermieden werde. Durch die Auflösung des Gerichts entfalle kein Rechtzug; das Bayerische Oberste Landesgericht bündle überwiegend bundesgesetzlich vorgegebene Rechtsmittel, die auch nach der Auflösung bearbeitet werden müssten.

 

Die Verlagerung von insgesamt drei der bisherigen Senate des Bayerischen Obersten Landesgerichts nach Bamberg und Nürnberg erziele weder einen nennenswerten Beitrag zur Entlastung der Landeshauptstadt noch einen nennenswerten strukturpolitischen Effekt in Nürnberg und Bamberg. Das Argument, mit der Gerichtsauflösung werde ein Beitrag zur Regionalisierung geleistet, könne damit nicht als rechtfertigender Grund für die Gerichtsauflösung angesehen werden. Gleiches gelte für das Argument, durch die Auflösung werde mehr Bürgernähe geschaffen.

 

Das Argument, mit der Auflösung des Gerichts solle das wichtige Signal verbunden sein, dass nicht nur am unteren Ende gespart werde, sei offensichtlich sachwidrig, da eine solche Begründung das Gericht und die Staatsanwaltschaft zum Objekt für die politische Durchsetzungsfähigkeit der Staatsregierung degradiere.

 

Insgesamt sprächen keine schwerwiegenden Gründe für die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht; der damit verbundene Eingriff in die Gerichtsorganisation sei evident sachwidrig und verstoße gegen das allgemeine Willkürverbot.

 

b) Die gesetzgeberische Entscheidung sei willkürlich, weil sie nicht das Ergebnis einer sorgfältigen Abwägung in einem transparenten Verfahren gewesen sei. Eine der Bedeutung und Tragweite der Entscheidung angemessene Abwägung und offene Diskussion der Vorteile der Maßnahme (ggf. marginaler Sparbeitrag) mit den damit verbundenen Nachteilen (Verringerung der Effektivität der Rechtsgewährung, Aufgabe der landeseinheitlichen Rechtsprechung) sowie mit sonstigen, rechtsprechungsexternen Nachteilen (Ansehensverlust der bayerischen Justiz, Bruch mit einer jahrhundertealten Tradition und Rechtskultur, negative Auswirkungen auf den „Justizstandort Bayern“) habe erkennbar nicht stattgefunden.

 

c) Ebenso wenig habe es eine detaillierte Überprüfung von Alternativen gegeben. Entgegen der Behauptung im Vorblatt des Gesetzentwurfs habe es andere Mittel und Wege zur Linderung der „äußerst schwierigen Haushaltslage“ gegeben, z. B. – wie vom Präsidenten des Bayerischen Obersten Landesgerichts vorgeschlagen – die organisatorische Anbindung des Gerichts an das Oberlandesgericht Nürnberg mit Personalunion des Präsidenten, oder eine Verringerung der Zahl der Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht oder eine Absenkung von deren Besoldung. Wenn es nur um Einsparung des zusätzlichen Verwaltungsapparats gegangen wäre, hätte es daher nahe gelegen, den Vorschlag einer organisatorischen Zusammenlegung mit einem anderen Oberlandesgericht näher zu prüfen, was jedoch nicht geschehen sei. Eine der Sache angemessene Prüfung von Alternativvorschlägen habe demnach nicht stattgefunden, auch nicht während des Gesetzgebungsverfahrens.

 

3. Das Gerichtsauflösungsgesetz verstoße gegen das Rechtsstaatsprinzip, da es einen schwerwiegenden Eingriff in das Gefüge der bayerischen Rechtsordnung darstelle und das Übermaßverbot verletze.

 

Die Auflösung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft sei ein schwerwiegender Eingriff und müsse deshalb dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Die gesetzgeberische Maßnahme sei jedoch – wie oben dargelegt – nicht geeignet, die damit verfolgten Ziele, besonders die Einsparung beträchtlicher Haushaltsmittel, zu erreichen. Auf jeden Fall fehle es an der Erforderlichkeit des Mittels. Die Gerichtsauflösung sei schon deshalb nicht erforderlich, weil das Gericht keine Mittel in „beträchtlicher Höhe“ binde; außerdem könnten die erhofften Einsparungen auch durch andere gerichtsorganisatorische oder besoldungsrechtliche Maßnahmen unter Fortbestand des Bayerischen Obersten Landesgerichts erzielt werden. Auch für die anderen zur Begründung herangezogenen Ziele (Strukturreform, Regionalisierung, Bürgernähe) sei die Auflösung des Gerichts nicht erforderlich. Außerdem gebe es weniger belastende Mittel zur Erreichung der angestrebten Zwecke, da die erhofften Einsparungen im Justizhaushalt an anderer Stelle oder durch organisatorische Maßnahmen innerhalb des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht erreicht werden könnten. Das Gleiche gelte für die Strukturreform und die angestrebte Regionalisierung.

 

4. Die Gerichtsauflösung beeinträchtige das Recht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz.

 

Die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts führe dazu, dass – wegen des Wegfalls der Konzentration in einigen Rechtsgebieten und der Erschwerung der Spezialisierung – gerichtlicher Rechtsschutz nicht mehr in der bislang bekannten Schnelligkeit und Qualität erlangt werden könne. Das betreffe besonders die Verfahren, die bisher beim Bayerischen Obersten Landesgericht konzentriert gewesen seien und nun von den drei bayerischen Oberlandesgerichten jeweils parallel für ihren Bezirk erledigt würden. Eine Vertiefung in Spezialmaterien mit geringen Fallzahlen sei den an den Oberlandesgerichten tätigen Richtern nicht im gleichen Umfang möglich, wie dies am Bayerischen Obersten Landesgericht Standard gewesen sei. Insofern beeinträchtige die Abschaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichts die Erlangung eines wirkungsvollen gerichtlichen Rechts­schutzes. Trotz hochqualifizierter Richter an den drei Oberlandesgerichten und einer Konzentration einzelner Rechtsmaterien bei den Oberlandesgerichten München und Bamberg sei es nicht möglich, an diesen Gerichten den vom Bayerischen Obersten Landesgericht gewohnten Standard aufrechtzuerhalten. Die während der Gesetzesberatung vorgebrachte Behauptung, die hochkarätige Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts werde fortgeführt werden, werde dadurch widerlegt, dass das Bayerische Oberste Landesgericht wegen seiner Stellung und der Aufgabenteilung mit den drei Oberlandesgerichten sowie wegen der strengen Kriterien bei der Richterauswahl besondere Maßstäbe und Arbeitsbedingungen habe entwickeln können und sich durch eine besondere, bundesweit beachtete Qualität der Rechtsprechung ausgezeichnet habe. Dies alles könnte bei Übertragung der Aufgaben des Bayerischen Obersten Landesgerichts auf die drei Oberlandesgerichte nicht aufrechterhalten werden. Zwar seien auch die Oberlandesgerichte mit hochqualifizierten Richtern besetzt, doch fehle es zu einer über die üblichen oberlandesgerichtlichen Standards hinausreichenden Rechtsprechung an der nicht mehr im bisherigen Umfang möglichen Spezialisierung und den besonderen Arbeitsbedingungen beim Bayerischen Obersten Landesgericht. Rechtsprechungsinterne Notwendigkeiten für den Eingriff in das Recht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz durch Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts seien nicht dargetan und auch nicht ersichtlich.

 

5. Da das Gerichtsauflösungsgesetz das Willkürverbot, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und das Prinzip der Gemeinwohlbindung verletze, werde gleichzeitig das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV verletzt.

 

6. Der Gemeinwohlauftrag (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV) werde verletzt.

 

Die Gemeinwohlklausel verlange eine auf qualifizierten gesetzgeberischen Erwägungen beruhende Gerichtsorganisation, die eine möglichst effektive Rechtsprechung gewährleiste. Beim Gerichtsauflösungsgesetz fehle es jedoch an qualifizierten gesetzgeberischen Erwägungen. Das Ziel der Gewährleistung einer möglichst effektiven Rechtsprechung werde durch die Auflösung eines bundesweit anerkannten Kompetenzzentrums ohne adäquaten Ersatz erheblich beeinträchtigt und widerspreche damit dem Gemeinwohlauftrag.

 

 

III.

 

1. Der Bayerische Landtag beantragt, die Anträge abzuweisen.

 

Bei aller Anerkennung der langen und ehrwürdigen Rechtsprechungstradition des Bayerischen Obersten Landesgerichts gebe es keine aus vorverfassungsrechtlichen Wurzeln herzuleitende Ewigkeitsgarantie für einzelne Gerichte; es gebe auch sonst keinen Grundsatz, dass der Gesetzgeber ein einmal errichtetes Gericht nur noch besser stellen, aber niemals wieder auflösen dürfe. Eine landeseinheitliche Rechtsauslegung komme nur in den Bereichen zum Tragen, für die das Bayerische Oberste Landesgericht bislang zuständig gewesen sei. Das bayerische Landesrecht spiele hier kaum noch eine Rolle; von den drei Spezialmaterien, die bisher beim Bayerischen Obersten Landesgericht konzentriert gewesen seien, seien auch künftig zwei Materien bei den Oberlandesgerichten konzentriert, so dass insoweit eine landeseinheitliche Auslegung gewährleistet sei. Eine komplette landeseinheitliche Auslegung wäre nur erreichbar, wenn man das Bayerische Oberste Landesgericht und die drei Oberlandesgerichte zu einem einzigen Gericht zusammenlege, was allerdings ein noch größerer Eingriff in die Gerichtsorganisation wäre.

 

Die Regierungserklärung des Ministerpräsidenten habe nicht dazu geführt, dass beim Entscheidungsprozess im Bayerischen Landtag oder innerhalb der CSU-Fraktion die Abwägung ausgefallen sei; dies belege schon die Tatsache, dass allein in der Fraktion der betreffende Punkt mehrfach auf der Tagesordnung gestanden habe. Zusätzlich sei beim Fachausschuss eine Expertenanhörung durchgeführt worden; der Gesetzentwurf sei außerdem bei den Ausschuss- und Arbeitskreisberatungen ausführlich beraten worden. Allein im CSU-Arbeitskreis für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen hätten zwei zusätzliche Anhörungen zum Thema stattgefunden. Dieser umfangreiche Diskussionsprozess widerspreche dem Vorbringen, es sei keine Gelegenheit gegeben worden, die Aufhebung des Bayerischen Obersten Landesgerichts ergebnisoffen zu diskutieren. Ebenso sei die Behauptung unzutreffend, das angegriffene Gesetz beruhe auf einer verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügenden Abwägung. Eine Verfassungsklage sei nicht der geeignete Weg, dem Gesetzgeber vorzuschreiben, was man selbst für das inhaltlich richtige Ergebnis eines Abwägungsprozesses halte.

 

Es sei nicht dargetan, wieso der gerichtliche Rechtsschutz nach der Aufhebung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Bayern weniger wirkungsvoll sei. Auch in anderen Bundesländern würden die betreffenden Aufgaben von den Oberlandesgerichten erledigt, ohne dass dort jemals ein verfassungswidriger Zustand behauptet worden sei. Die Unabhängigkeit der dritten Gewalt bedeute nicht, dass der Gesetzgeber in die Organisation der Rechtsprechung nur dann eingreifen dürfe, wenn dies der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege wegen oder zu ihrer weiteren Förderung geschehe. Es gebe kein verfassungsrechtliches Verschlechterungsverbot für die Ausstattung der dritten Gewalt, wenn in allen anderen staatlichen Bereichen die Funktionsfähigkeit wegen zusammenbrechender Staatseinnahmen nur noch mit Notmaßnahmen und tiefen Einschnitten gewährleistet werden könne. Die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung werde durch die angegriffene gesetzgeberische Maßnahme nicht unverhältnismäßig verschlechtert.

 

Dass die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in FGG-Sachen unbestritten führend und richtungsweisend für den gesamten deutschen Rechtsraum gewesen sei, sei keine verfassungsrechtlich fassbare Kategorie.

 

Bei der Güterabwägung sei es spekulativ anzunehmen, mit der Gerichtsauflösung seien Nachteile für Staat, Bürger und Wirtschaft verbunden, die den Entlastungseffekt finanziell wieder wettmachen würden. Es sei nicht ersichtlich, dass die Rechtsprechungsqualität – wie immer man diese überhaupt feststellen könne – beim Bayerischen Obersten Landesgericht zwangsläufig höher sei als bei den Oberlandesgerichten. Hinsichtlich des prognostizierten Einsparvolumens gehe der Vergleich mit dem gesamten Justizhaushalt ins Leere; jede Einsparmaßnahme falle, gemessen am gesamten Haushalt, vergleichsweise gering aus. Damit könnte man für sich genommen die Überflüssigkeit einer jeden einzelnen Einsparmaßnahme begründen. Einsparanstrengungen in allen Bereichen würden insgesamt zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt führen. Dazu gehöre auch die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, die funktional lediglich dazu führe, dass die bisher von diesem Gericht erledigten Aufgaben, wie in anderen Bundesländern auch, von den Oberlandesgerichten wahrgenommen werden. Bei der Abwägung habe der Gesetzgeber das Ziel der Haushaltskonsolidierung als vorrangig angesehen.

 

Der Gesetzgeber habe das Willkürverbot nicht verletzt. Das Parlament habe auch hier nach den besten Lösungen gesucht, Alternativen geprüft und sich für die so gefundene Lösung entschieden. Der Maßstab, der bei Gemeindeauflösungen anzuwenden sei, komme für die Auflösung eines Gerichts mangels Vergleichbarkeit der beiden Tatbestände von vornherein nicht in Betracht.

 

Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass im Rahmen des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens von einer „sachgerechten Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte nicht die Rede sein kann“. Die Abgeordneten des Bayerischen Landtags hätten – nicht zuletzt aufgrund der Tätigkeit des Vereins der Freunde des Bayerischen Obersten Landesgerichts – von all den einschlägigen Argumenten sehr breit Kenntnis genommen. Man könne aus der Tatsache, dass diesen Argumenten letztlich nicht Folge geleistet worden sei, nicht herleiten, der Gesetzgeber habe diese nicht abgewogen.

 

Hinsichtlich der Frage der Regionalisierung und Dezentralisierung bedeute die Verlagerung von zwei Senaten an das Oberlandesgericht Bamberg eine erhebliche Stärkung und Aufwertung dieses Gerichts. Es sei falsch, dass über den Vorschlag einer Verlagerung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nach Nürnberg nicht gesprochen worden sei. Dieses Thema sei im Arbeitskreis und in der Fraktion der CSU erörtert und in seinen Vor- und Nachteilen abgewogen worden.

 

2. Die Bayerische Staatsregierung hält die Anträge für unbegründet.

 

Das Gerichtsauflösungsgesetz sei mit der Bayerischen Verfassung vereinbar. Das Gesetz sei ordnungsgemäß zustande gekommen. Die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts verstoße nicht gegen das Willkürverbot. Das Rechtsstaatsprinzip und der Grundsatz des gesetzlichen Richters seien nicht verletzt.

 

a) Ein Verstoß gegen Geschäftsordnungsrecht bei der Endberatung des Gesetzentwurfs im Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen sei nicht ersichtlich. Zwar habe die Ausschussminderheit, wie in der Popularklage erwähnt, in der Sitzung am 14. Oktober 2005 mit ihrem Vertagungsantrag keinen Erfolg gehabt. Ein Vertagungsanspruch habe ihr indessen nach der Geschäftsordnung nicht zugestanden.

 

b) Der Gleichheitssatz sei nicht verletzt.

 

Das allgemeine Willkürverbot binde den Gesetzgeber auch bei Organisationsakten. Insoweit stehe dem Gesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum zu. Es genüge, dass sich für die Entscheidung des Gesetzgebers ein sachlich vertretbarer Grund von einigem Gewicht anführen lasse.

 

Die vom Verfassungsgerichtshof angenommene Einschränkung dieses weiten Ermessensspielraums bei Maßnahmen der Gerichtsorganisation (vgl. VerfGH 48, 17/23) sei nicht so zu verstehen, dass die Auflösung eines Gerichts ausgeschlossen sei. Solle die Auflösung eines Gerichts in der Weise erfolgen, dass seine Aufgaben und Zuständigkeiten auf andere Gerichte übertragen würden, so sei zu prüfen, ob und inwieweit diese Gerichte zur Wahrnehmung der neuen Funktionen in der Lage seien.

 

Die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts sei aus den im Vorblatt wie in der Begründung des Gesetzentwurfs dargelegten schwerwiegenden und zwingenden Sachgründen geboten gewesen.

 

aa) Die schwierige Lage der öffentlichen Haushalte sei allgemein bekannt. Ebenso sei die Notwendigkeit, alle vertretbaren Maßnahmen zur Einsparung von Haushaltsmitteln zu ergreifen, unbestritten.

 

Das Ziel, jährlich ca. 1,48 Mio. € einzusparen, sei ein sachlich vertretbarer Grund von erheblichem Gewicht. Dem stehe nicht entgegen, dass es sich bei dem Einspareffekt um lediglich 0,8 Promille des Justizhaushalts handle. Die zwingend erforderliche nachhaltige Konsolidierung der Staatsfinanzen sei nur erreichbar durch eine Summierung von Sparmaßnahmen in allen Bereichen. Daher erhielten die Einzelbeträge ihr Gewicht aus einer Gesamtbetrachtung aller Sparmaßnahmen. Das könne nicht durch einen Verweis auf andere, nicht näher konkretisierte Einsparmöglichkeiten relativiert werden. Andernfalls wäre der Gesetzgeber bei notwendigen Einsparungen weitgehend handlungsunfähig, da Ausgabenkürzungen an anderer Stelle theoretisch immer denkbar seien.

 

bb) Das Bayerische Oberste Landesgericht sei nicht aus Gründen der Regionalisierung aufgelöst worden. Daher könne dahinstehen, ob das Ziel der Regionalisierung von solchem Gewicht sei, dass es die Auflösung des Gerichts rechtfertigen könnte. Allerdings sei durch die Übertragung der bisherigen Aufgaben des Bayerischen Obersten Landesgerichts auf die bayerischen Oberlandesgerichte diesem allgemeinen politischen Ziel Rechnung getragen worden. Dies komme nicht nur den Rechtsuchenden in den Oberlandesgerichtsbezirken Nürnberg und Bamberg zugute, sondern verbessere insgesamt die Struktur in diesen Landesteilen.

 

cc) Das Bayerische Oberste Landesgericht sei nicht mit dem Ziel aufgelöst worden, um ein politisches Signal zu setzen oder ein Zeichen der Entschlossenheit und des Reformwillens zu geben. Zwar dokumentiere diese Maßnahme als Folgewirkung auch den Reformwillen der Staatsregierung. Diese Folgewirkungen einzukalkulieren und auf sie hinzuweisen, gehöre zur alltäglichen Praxis im politischen Leben. Eine Entscheidung sei nicht deshalb willkürlich, weil für sie neben den unmittelbaren Sachgründen auch darüber hinausgehende politische Erwägungen sprächen.

 

c) Im Vergleich zum Einspareffekt hielten sich die Nachteile in Grenzen, die mit der Auflösung des Gerichts verbunden seien.

 

Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege im bisherigen Zuständigkeitsbereich des Bayerischen Obersten Landesgerichts werde nicht beeinträchtigt. Die betreffenden Rechtsprechungsaufgaben könnten auch durch die bayerischen Oberlandesgerichte wahrgenommen werden. Auch diese Gerichte seien mit hervorragend qualifizierten Kräften besetzt. Auch in den übrigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland seien für die bisher dem Bayerischen Obersten Landesgericht zugewiesenen Rechtsprechungsaufgaben die Oberlandesgerichte zuständig.

 

Unabhängig von der Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts blieben die Vorzüge einer Zuständigkeitskonzentration erhalten. Die Zuständigkeiten, die durch die Gerichtliche Zuständigkeitsverordnung Justiz bei dem Bayerischen
Obersten Landesgericht konzentriert gewesen seien, seien dem Oberlandesgericht München übertragen worden. Dies ermögliche es diesem Gericht, auf den entsprechenden Gebieten ein ähnliches Qualitätsniveau zu erreichen, wie dies dem Bayerischen Obersten Landesgericht möglich gewesen sei. Gleiches gelte für das Oberlandesgericht Bamberg in Bußgeldsachen. Zwar sei es nicht ausgeschlos­sen, dass auf längere Sicht den FGG-Senaten und den Bußgeldsenaten bei der Besetzung mit besonders befähigten Richtern keine Vorzugsstellung eingeräumt werde. Eine solche Entwicklung würde aber auf das Ganze gesehen der Rechtspflege nicht schaden.

 

d) Der Landtag habe gegen das Willkürverbot nicht etwa dadurch verstoßen, dass er die Auflösungsentscheidung ohne vorherige Anhörung des Bayerischen Obersten Landesgerichts getroffen habe.

 

aa) Die für das Anhörungsrecht von Kommunen entwickelten Grundsätze ließen sich auf Gerichtsorganisationsakte nicht anwenden. Die Gerichte hätten mithin gegenüber der gesetzgebenden Gewalt keine eigene Rechtsstellung, der der Gesetzgeber durch die Gewährung von Gehör Rechnung tragen müsste. Im Übrigen sei der Präsident des Bayerischen Obersten Landesgerichts im Gesetzgebungsverfahren angehört worden.

 

bb) Eine Anhörung anderer Stellen sei ebenfalls nicht geboten gewesen. Das Gesetzgebungsverfahren werde nicht, wie das gerichtliche Verfahren, vom Recht der Betroffenen auf Gehör beherrscht. Es werde geprägt vom Rede- und Antragsrecht des einzelnen Abgeordneten und vom Anhörungsrecht der Staatsregierung. Hinzu kämen die Minderheitenrechte der parlamentarischen Opposition. Durch diese Rechte und Befugnisse sei gewährleistet, dass die unterschiedlichen Standpunkte und Auffassungen in die Entscheidungsfindung einflössen.

 

e) Das Willkürverbot gestatte es dem Verfassungsgerichtshof nicht, parlamentarische Entscheidungsvorgänge dahingehend zu überprüfen, ob eine – nach den Vorstellungen der Antragsteller – sachgerechte Abwägung stattgefunden habe. Abgeordnete seien nur ihrem Gewissen verantwortlich und an Aufträge nicht gebunden. Das freie Mandat ermögliche es ihnen, den Staatswillen rechtsverbindlich autonom im Parlament zu bilden. Zur Autonomie gehöre es, dass die Abgeordneten das Recht hätten, selbst darüber zu entscheiden, welche Informationen sie für eine Beschlussfassung benötigten und zur Kenntnis nehmen wollten. Es sei allein Sache des Abgeordneten, darüber zu befinden, welchen Beratungsaufwand ein Gegenstand erfordere und ob und in welchem Umfang er eine Diskussion darüber führen wolle.

 

Das gelte auch für die jeweilige Landtagsmehrheit. Ob die Mehrheit bei der Entscheidung über die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts einer ergebnisoffenen Sachdiskussion gegenüber aufgeschlossen gewesen sei oder ob sie sie habe vermeiden wollen, entziehe sich der Beurteilung durch den Verfassungsgerichtshof. Gleiches gelte für die Frage, ob die Entscheidungsgrundlagen ausreichend gewesen seien. Die in der Popularklage erhobenen Vorwürfe, die Gesetzesvorlage habe bestimmte Informationen nicht enthalten, bei den Ausschussberatungen habe die Ausschussmehrheit notwendige Unterlagen nicht beigezogen und die Ausschussmehrheit habe sich nicht intensiv genug mit der Problematik befasst, seien für das Normenkontrollverfahren nicht von Belang. Ebenso seien für die Entscheidungsfindung des Gerichts die fraktionsinternen Meinungsbildungsprozesse nicht von Bedeutung. Es werde aber darauf hingewiesen, dass der Ministerpräsident im Gegensatz zum Vortrag der Antragsteller die Maßnahme mit der CSU-Landtagsfraktion ausgiebig diskutiert habe.

 

f) Das Auflösungsgesetz verstoße auch nicht deshalb gegen das Willkürverbot, weil dem Gesetzesbeschluss eine Richtlinienentscheidung des Ministerpräsidenten vorausgegangen sei.

 

Dem Ministerpräsidenten komme eine Richtlinienkompetenz zu. Es sei unzweifelhaft zulässig, eine grundlegende Verwaltungsreform, wie in der Regierungserklärung von 6. November 2003 geschehen, zum Gegenstand einer Richtlinienentscheidung zu machen. Dabei könnten auch Einzelvorhaben, wie die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts, als Richtlinienentscheidung vorgegeben werden. Da die Staatsministerin der Justiz die Richtlinienentscheidung von Anfang an voll mitgetragen habe, stelle sich die Frage nicht, ob ihr ein angemessener, dem Grundsatz der selbstständigen Ressortleitung Rechnung tragender Entscheidungsspielraum verblieben sei.

 

Im Übrigen hätten sich für den Landtag aus der Richtlinienentscheidung keinerlei rechtliche Bindungen ergeben.

 

g) Ebenso sei es ohne Belang, dass der Gesetzentwurf weder die von den Antragstellern geforderte Kosten-Nutzen-Rechnung enthalten noch sich mit den Entscheidungsalternativen auseinandergesetzt habe. Eine Gesetzesvorlage der Staatsregierung sei lediglich die Aufforderung an den Landtag, ein vorgeschlagenes Gesetz zu behandeln und zu beschließen. Für die Staatsregierung gebe es im Gesetzgebungsverfahren kein Neutralitätsgebot. Dem Sachlichkeitsgebot habe die Staatsregierung mit ihrer Vorlage Genüge getan.

 

3. Das Auflösungsgesetz verstoße nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip.

 

a) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei nicht verletzt.

 

Ziel sei die Einsparung von Haushaltsmitteln. Die Auflösung des Gerichts sei hierzu geeignet. Sie sei auch erforderlich. Die Möglichkeit, bei anderen Staatsausgaben entsprechende Einsparungen vorzunehmen, stehe dem nicht entgegen. Die einzelnen Einsparmaßnahmen müssten im Rahmen des Gesamtkonzepts beurteilt werden. Schonendere Alternativen zur völligen Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts mit vergleichbarer Einsparwirkung hätten nicht bestanden. Im Gesetzgebungsverfahren seien – auch auf Anregung des Präsidenten des Bayerischen Obersten Landesgerichts – verschiedene andere Lösungsmöglichkeiten geprüft worden. Die Prüfungen hätten ergeben, dass sich bei einer Teilauflösung des Gerichts oder bei seiner Verlegung bei weitem nicht der Einspareffekt hätte erzielen lassen, der bei der völligen Auflösung erreichbar sei.

 

b) Die Gewährleistung eines wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutzes werde durch die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht berührt.

 

Durch die Verlagerung der Zuständigkeiten des Bayerischen Obersten Landesgerichts auf die bayerischen Oberlandesgerichte ändere sich an der Art und Weise der Durchführung der gerichtlichen Verfahren nichts. Aufgrund ihrer sachlichen und personellen Ausstattung seien die Oberlandesgerichte in der Lage, die Verfahren in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise zügig zu erledigen.

 

Aus dem grundgesetzlichen Justizgewährungsanspruch ergebe sich nicht, dass über die dem Bayerischen Obersten Landesgericht bisher zugewiesenen Gegen­stände ein eigenes Gericht entscheiden müsse. Der Rechtsuchende habe keinen Anspruch auf eine bestimmte Justizorganisation. Ebenso wenig könne er verlangen, dass bestimmte Rechtsangelegenheiten vor Richtern in herausgehobener Position verhandelt würden. Derartige Ansprüche könnten auch aus der Bayerischen Verfassung nicht hergeleitet werden.

 

4. Der Grundsatz des gesetzlichen Richters sei nicht verletzt.

 

Der Gesetzgeber habe nach Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV auch Sorge zu tragen, dass nur Gerichte bestünden, die den Anforderungen des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung entsprächen. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergebe, habe der Gesetzgeber diese Pflicht nicht verletzt.

 

 

IV.

 

Die Anträge sind unbegründet. Das Gerichtsauflösungsgesetz verstößt nicht gegen die Bayerische Verfassung.

 

A. Nach ständiger Rechtsprechung prüft der Verfassungsgerichtshof in Normenkontrollverfahren nicht, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder beste Lösung gewählt hat (vgl. VerfGH vom 14.11.2003 = VerfGH 56, 148/169 m. w. N.).

 

B. Gegenstand der vorliegenden verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle können nur das Gerichtsauflösungsgesetz selbst und das diesem unmittelbar zugrunde liegende Gesetzgebungsverfahren sein. Vorgänge, die im Vorfeld des parlamentarischen Verfahrens liegen, können die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes grundsätzlich nicht begründen.

 

1. Die Ankündigung des Ministerpräsidenten in der Regierungserklärung vom 6. No­vember 2003 (LT-Plenarprotokoll 15/5 vom 6.11.2003, S. 53), das Bayerische Oberste Landesgericht solle „abgeschafft“ werden, ist Ausübung seiner Richtlinienkompetenz gemäß Art. 47 Abs. 2, Art. 51 Abs. 1 BV. Derartige Richtlinienentscheidungen gehören nicht zum Gesetzgebungsverfahren und sind schon aus diesem Grund nicht Gegenstand einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle im Rahmen von Normenkontrollverfahren. Sie sind an die Regierung und die Verwaltung gerichtet und haben die allgemeinen politischen Ziele und die leitenden Grundsätze zu ihrer Erreichung zum Inhalt; in diesem Rahmen können auch besonders bedeutsame Einzelprobleme enthalten sein (vgl. Meder, Die Verfassung des Freistaates Bayern, 4. Aufl. 1992, RdNr. 3 zu Art. 47).

 

Verfahrensgegenstand ist ausschließlich das Gerichtsauflösungsgesetz selbst. Deshalb kommt es für die Entscheidung nicht darauf an, dass in der Formulierung der Regierungserklärung die Gerichtsauflösung in einer die rechtsprechende Gewalt nicht hinreichend beachtenden Weise in einen Zusammenhang mit einer allgemeinen Strukturreform der Verwaltung gestellt wurde. Diese mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz nicht vereinbare Zuordnung kann allerdings nicht zur Verfassungswidrigkeit des später vom Parlament beschlossenen Gesetzes führen.

 

Dass die Umsetzung dieser Richtlinienentscheidung im Hinblick auf Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV eines formellen Gesetzes bedurfte (vgl. VerfGH vom 13.12.1973 = VerfGH 26, 144/153; VerfGH vom 23.4.1974 = VerfGH 27, 68/71; Meder, RdNr. 5 zu Art. 86) und dass damit die abschließende Entscheidungskompetenz beim Bayerischen Landtag lag, wurde durch die Richtlinienentscheidung nicht in Frage gestellt. Auch nach dieser Ankündigung oblag es gemäß Art. 13 Abs. 2 Satz 2 BV ausschließlich der verfassungsrechtlich gewährleisteten freien und ungebundenen Entscheidung des Parlaments, ob es der vom Ministerpräsidenten beabsichtigten Politik folgen und die damit verbundenen Einzelentscheidungen wie die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts beschließen wollte. Es ist dem parlamentarisch-demokratischen Regierungssystem, bei dem der Ministerpräsident vom Landtag gewählt wird (Art. 44 Abs. 1 BV) und Richtlinienkompetenz besitzt, geradezu immanent, dass – neben anderen politischen Kräften wie vor allem dem Landtag und den politischen Parteien – der Ministerpräsident Ziele der Politik formuliert in der Erwartung, diese Ziele werde die Mehrheit des Landtags, die ihn gewählt hat und die Regierung während der Legislaturperiode trägt, auch mittragen. Letztlich ist es eine Frage des politischen Verhältnisses zwischen der Exekutive, verkörpert durch den seine Richtlinienkompetenz ausübenden Ministerpräsidenten, und der Legislative, ob die angestrebten Politikziele vom Parlament unterstützt werden. Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzgeberischen Maßnahme kann nicht damit begründet werden, dass sie ein von der Spitze der Exekutive formuliertes Ziel umsetzt (vgl. BVerfG vom 12.5.1992 = BVerfGE 86, 90/113 f.).

 

2. Nach Art. 51 Abs. 1 BV hat jeder Staatsminister seinen Geschäftsbereich nach den vom Ministerpräsidenten bestimmten Richtlinien der Politik selbstständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtag zu führen. Jeder Staatsminister ist in seiner Amtsführung durch diese Richtlinien gebunden und muss auch dem Landtag gegenüber dafür einstehen, dass diese Richtlinien in seinem Geschäftsbereich umgesetzt werden (vgl. Gollwitzer, Ressortprinzip und Leitungsfunktion der Staatsregierung, in Festschrift für Karl Bengl, 1984, S. 203/215 f.). Zudem ist der Ressortminister an die von der Koordinierungsfunktion getragenen Beschlüsse der Staatsregierung gebunden (vgl. Kruis, Die Geschäftsbereiche und ihre Abgrenzung nach bayerischem Verfassungsrecht, in Verfassung und Verfassungsrechtsprechung, Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, 1972, S. 133/141; Meder, RdNr. 1 zu Art. 51). Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die zuständige Staatsministerin der Justiz entsprechend der Richtlinienentscheidung des Ministerpräsidenten, die auch vom Kabinett getragen wurde, die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht betrieb. Im Übrigen hat die zuständige Staatsministerin das Vorhaben der Gerichtsauflösung persönlich mitgetragen, so dass auch keine hinreichenden Ansatzpunkte für eine Verletzung des Prinzips der selbstständigen und eigenverantwortlichen Ressortleitung im Sinn des Art. 51 Abs. 1 BV bestehen.

 

3. Die Abgeordneten des Bayerischen Landtags sind nach Art. 13 Abs. 2 Satz 2 BV nur ihrem Gewissen verantwortlich und an Aufträge nicht gebunden. Das freie Mandat ermöglicht ihnen, den Staatswillen rechtsverbindlich autonom im Parlament zu bilden (vgl. Stern, Staatsrecht, 2. Aufl. 1984, Bd. I, S. 1069 ff.). Ebenso ist das Parlament als Ganzes in seiner Entscheidung frei; insbesondere ist es nicht an Richtlinienentscheidungen des Ministerpräsidenten gebunden. Eine rechtsverbindliche Festlegung der Abgeordneten der Regierungsfraktion im Sinn einer „Vorfestlegung“ durch die Richtlinienentscheidung des Ministerpräsidenten konnte somit rechtlich nicht bestehen (vgl. BVerfG vom 12.5.1992 = BVerfGE 86, 90/113).  Dass eine eigenständige Meinungsbildung in der Landtagsfraktion der CSU wegen der Vorfestlegung durch die Erklärung des Ministerpräsidenten von vornherein nicht habe stattfinden können, ist jedenfalls rechtlich nicht zutreffend. Welche Motive dem Stimmverhalten der Abgeordneten, die dem Gerichtsauflösungsgesetz zugestimmt haben, zugrunde lagen, ob sie sich – ungeachtet der Rechtslage – doch in irgendeiner Form gebunden fühlten, entzieht sich der Beurteilung durch den Verfassungsgerichtshof.

 

Damit kann – auch ohne Einsichtnahme in die einschlägigen Akten der Bayerischen Staatskanzlei und des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, deren Beiziehung die Antragsteller in der mündlichen Verhandlung angeregt haben – festgestellt werden, dass die hier in Frage kommenden Vorgänge verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.

 

C. Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) ist nicht verletzt.

 

1. Das dem Gerichtsauflösungsgesetz zugrunde liegende Gesetzgebungsverfahren leidet nicht unter verfassungsrechtlichen Mängeln.

 

a) Eine Verfassungswidrigkeit des Gerichtsauflösungsgesetzes kann nicht mit den von den Antragstellern geltend gemachten Mängeln des Gesetzentwurfs der Staatsregierung begründet werden. Die Angabe im Vorblatt des Entwurfs, es gebe keine Alternativen, bekundet lediglich die dementsprechende Einschätzung der Staatsregierung. Diese Auffassung konnte jedoch nicht den Gang des Gesetzgebungsverfahrens präjudizieren. Wie das weitere Gesetzgebungsverfahren zeigt, wurden auch – unbeschadet des Vorblattes des Gesetzentwurfs – Alternativen in die Überlegungen des Gesetzgebers einbezogen. Vergleichbares gilt für den Vorwurf, im Gesetzentwurf werde keine Kosten-Nutzen-Rechnung angestellt. Auch insoweit begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn die Gesetzesinitiative die Sicht der Staatsregierung darstellt, hier also das erwartete Einsparungsvolumen erläutert. Die abschließende Entscheidung über Vor- und Nachteile des Gesetzes einschließlich seiner Kosten und seines Nutzens oblag ausschließlich der Entscheidung und Verantwortung des Landtags.

 

b) Nicht gefolgt werden kann der Auffassung der Antragsteller, es fehle an einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren, weil die Betroffenen (Gerichte und Staatsanwaltschaften, Anwaltschaft, Notariat, Verbände, Justizministerium, weitere Ministerien) ausgeschaltet und dadurch in ihrer Meinungsbildung behindert worden seien.

 

aa) Ein verfassungsrechtlicher Anspruch der betroffenen Praxis darauf, schon bei den Vorüberlegungen für ein Gesetzgebungsvorhaben bei den politischen Überlegungen und Diskussionen argumentativ mitwirken zu können, besteht nicht. Die Betroffenen haben in aller Regel Gelegenheit, im Zeitraum zwischen der politischen Ankündigung eines Vorhabens und der Erarbeitung des erforderlichen Gesetzentwurfs sowie während des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens ihre Argumente geltend zu machen.

 

bb) Im hier allein maßgeblichen und allein der Prüfung des Verfassungsgerichtshofs unterliegenden Gesetzgebungsverfahren ist eine „Ausschaltung“ der Meinungsbildung der Betroffenen und sonstiger Beteiligter nicht festzustellen.

 

Der Ministerpräsident hatte in der Regierungserklärung am 6. November 2003 sein politisches Vorhaben dargestellt. In der Folgezeit entwickelte das Staatsministerium der Justiz – auch unter Beteiligung des Präsidenten des Bayerischen Obersten Landesgerichts, der das Vorhaben ablehnte – ein Handlungskonzept. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde am 9. März 2004 in die Praxis- und Ressortanhörung gegeben. Die dabei eingeräumte Frist zur Stellungnahme von drei Wochen ist auch unter Berücksichtigung der Aktenlaufzeiten jedenfalls deshalb nicht unangemessen kurz, weil das Ziel des Vorhabens bereits seit November 2003 bekannt war. Nach Überarbeitung des Gesetzentwurfs in Detailfragen aufgrund der Stellungnahmen aus der gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis wurde eine so genannte Verbandsanhörung (unter anderem Anhörung des Präsidialrats, des Hauptrichterrats, des Hauptstaatsanwaltsrats, des Bayerischen Beamtenbunds, des Bayerischen Richtervereins, der Rechtsanwaltskammern und der Landesnotarkammer) durchgeführt und der Gesetzentwurf anhand der Ergebnisse dieser Anhörung erneut in Teilbereichen überarbeitet. Nach Beschlussfassung im Ministerrat, dem – wie die Staatsregierung vorträgt – die meist ablehnende Haltung der angehörten Verbände in der Ministerratsvorlage dargelegt worden war, wurde der Gesetzentwurf zum Gerichtsauflösungsgesetz am 17. Mai 2004 dem Bayerischen Landtag vorgelegt, der über die Vorlage im üblichen parlamentarischen Verfahren beriet. Die Frage der Gerichtsauflösung wurde bereits vor diesem Zeitpunkt bei einer von der SPD-Landtagsfraktion beantragten und vom Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen am 6. Mai 2004 durchgeführten Anhörung mit mehreren Experten ausführlich erörtert. Sowohl im Vorfeld als auch im eigentlichen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren hatten die Betroffenen somit Gelegenheit, ihre Meinung zu bilden und zu artikulieren.

 

c) Die Antragsteller tragen vor, das Gerichtsauflösungsgesetz verstoße gegen eine aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gewaltenteilungsgrundsatz abzuleitende prozedurale Pflicht des Gesetzgebers, „Grundrechtsschutz durch Verfahren“ zu gewährleisten. Es verletze die Pflicht des Gesetzgebers, zunächst alle betroffenen Kreise anzuhören, nach der besten Lösung zu suchen, Alternativen zu prüfen und die gesetzgeberische Entscheidung nur aufgrund einer sorgfältigen, nachvollziehbaren und abwägenden Würdigung aller Äußerungen zu treffen – gegebenenfalls auch erst nach Durchführung einer parlamentarischen Enquete. Dieses Vorbringen kann – unbeschadet der Frage, ob im vorliegenden Zusammenhang ein „Grundrechtsschutz durch Verfahren“ anzuerkennen ist – eine Verfassungswidrigkeit des Gerichtsauflösungsgesetzes nicht begründen.

 

aa) Es liegt keiner der Fälle vor, in denen für den Gesetzgeber und das von ihm anzuwendende Verfahren ausnahmsweise besondere Anforderungen bezüglich der Intensität und Tiefe der parlamentarischen Beratung bestehen.

 

Beim Gerichtsauflösungsgesetz handelt es sich nicht um eine Planungsentscheidung, die der Gesetzgeber aufgrund besonderer Umstände an Stelle der grundsätzlich zuständigen Exekutivbehörde trifft. Die Pflichten, die den Gesetzgeber in einem solchen Fall hinsichtlich der Sachverhaltsermittlung, Anhörung der individuell Betroffenen und einer umfassenden und nachvollziehbaren Abwägung der sachlichen Belange und Interessen treffen (vgl. BVerfG vom 17.7.1996 = BVerfGE 95, 1/22 f.), bestehen beim Gerichtsauflösungsgesetz nicht, weil es sich hierbei um eine originäre Entscheidung des Gesetzgebers und nicht um eine Planung der Exekutive handelt.

 

Ebenso wenig sind die Grundsätze einschlägig, die von der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung für Bestandsänderungen im kommunalen Bereich entwickelt worden sind. Danach sind Bestands- und Gebietsänderungen von Gemeinden nur aus Gründen des öffentlichen Wohls und nach Anhörung der betroffenen Gebietskörperschaften zulässig (vgl. VerfGH vom 18.12.1987 = VerfGH 40, 154/
161 f.; BVerfG vom 12.5.1992 = BVerfGE 86, 90/107 ff.; Kruis, NJW-Sonder­heft BayObLG, 2005, 12/13 f.). Diese Anforderungen an den Gesetzgeber ergeben sich aus der besonderen institutionellen Garantie der Selbstverwaltung der Gemeinden in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV und Art. 28 Abs. 2 GG. Eine vergleichbare Selbstverwaltung besteht für einzelne Gerichte jedoch nicht; sie sind Teil der staatlichen Gerichtsorganisation und haben – im Gegensatz zu den Gemeinden als ursprüngliche Gebietskörperschaften – keine vergleichbar herausgehobene Rechtsstellung. Es bestand damit für den Gesetzgeber keine Verpflichtung, seinem Verfahren und seiner Entscheidung die für Gebietsänderungen von Gemeinden maßgebenden Regeln zugrunde zu legen.

 

bb) Die von den Antragstellern behaupteten Defizite bei der für die Überprüfung in Normenkontrollverfahren allein maßgeblichen parlamentarischen Behandlung des Gerichtsauflösungsgesetzes können nicht festgestellt werden.

 

Vor der Befassung des Bayerischen Landtags hatte das Bayerische Staatsministerium der Justiz eine Praxisanhörung durchgeführt, bei der auch der Präsident des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Generalstaatsanwalt bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht zu der beabsichtigten Auflösung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft Stellung nehmen konnten. Deshalb kann nicht geltend gemacht werden, die gesetzgeberische Entscheidung sei ergangen, ohne dass sich das betroffene Gericht und die betroffene Staatsanwaltschaft vorher hätten äußern können.

 

Im parlamentarischen Raum sind der Gesetzesentscheidung vorangegangen ein Bericht der Staatsministerin der Justiz vom 4. März 2004 zur Zukunft des Bayerischen Obersten Landesgerichts vor dem Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen und am 6. Mai 2004 vor demselben Ausschuss eine Anhörung gemäß § 173 GeschOLT zum Thema „Zukunft des Bayerischen Obersten Landesgerichts“, bei der 13 Experten angehört wurden. In ihrem Bericht vom 4. März 2004 legte die Staatsministerin der Justiz die Gründe für die Auflösung des Gerichts dar und erklärte, dass sie keine Alternativen für die Auflösung sehe. Eine Teilauflösung oder die vom Präsidenten des Bayerischen Obersten Landesgerichts in die Diskussion gebrachte Verlagerung des Gerichts nach Nürnberg würden nicht den Einsparungseffekt erzielen, welchen die Auflösung erziele, sondern lediglich annähernd 50 %. Auch würden diese Alternativen längerfristig nicht die inhaltlich gewünschten Wirkungen erzielen. Durch die Aufteilung des Gerichts auf mehrere Standorte würden im Gegenteil  Mehrkosten vor allem für Baumaßnahmen entstehen.

 

Vor allem bei der Anhörung nach § 173 GeschOLT am 6. Mai 2004 wurden die bei einer Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts entstehenden Fragen und Probleme von den angehörten Experten umfassend dargelegt und erörtert sowie durch schriftliche Stellungnahmen vertieft (vgl. Wortprotokoll vom 6.5.2004 und dessen Anlagen 1 bis 4). Bezüglich möglicher Alternativen wurde vom Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz ausgeführt, dass diese geprüft worden seien, dass durch diese aber nicht die gleichen Einsparungen hätten erzielt werden können wie bei der Auflösung des Gerichts (vgl. Wortprotokoll vom 6.5.2004, S. 14, 29, 30). Diese Anhörung fand zwar vor dem eigentlichen Gesetzgebungsverfahren statt; sie war aber bei den Beratungen in den Ausschüssen bekannt, wie die Bezugnahmen einzelner Abgeordneter auf diese Anhörung in den Ausschussprotokollen belegen (vgl. Abgeordneter Schindler, Protokoll über die Sitzung des Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen vom 14.10.2004, S. 29 und S. 37; Abgeordnete Dr. Kronawitter, Protokoll über die Sitzung des Wirtschaftsausschusses vom 14.10.2004, S. 20; Abgeordneter Volkmann, Protokoll über die Sitzung des Ausschusses für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit vom 29.9.2004, S. 18). Außerdem wurde auch in der Ersten Lesung am 17. Juni 2004 und in der Zweiten Lesung des Gesetzentwurfs am 20. Oktober 2004 auf diese Anhörung Bezug genommen (vgl. Abgeordnete Stahl, LT-Plenarprotokoll 15/18 vom 17.6.2004, S. 1202; Abgeordneter Dr. Weiß, LT-Plenar­protokoll 15/26 vom 20.10.2004, S. 1695; Abgeordneter Volkmann, LT-Plenarprotokoll 15/26 vom 20.10.2004, S. 1702).

 

Das Gesetz selbst wurde im üblichen parlamentarischen Ablauf beraten und beschlossen (Gesetzentwurf der Staatsregierung vom 17.5.2004, LT-Drs. 15/1061; Erste Lesung am 17.6.2004, LT-Plenar­protokoll 15/18, S. 1196 ff.; Ausschussberatungen; Zweite Lesung und Schlussabstimmung am 20.10.2004, LT-Plenar­protokoll 15/26, S. 1695 ff.). Bereits bei der Ersten Lesung des Gesetzentwurfs am 17. Juni 2004 wurden Für und Wider des Gerichtsauflösungsgesetzes im Plenum des Landtags erörtert; dabei kamen auch mögliche Alternativen zur Sprache (vgl. Abgeordneter Schindler, LT-Plenarprotokoll 15/18 vom 17.6.2004, S. 1201 zur Personalunion mit dem Präsidenten eines Oberlandesgerichts oder Verlegung des Gerichts; Abgeordnete Stahl, LT-Plenarprotokoll 15/18 vom 17.6.2004, S. 1203 zur Möglichkeit der Gehaltsabsenkung oder der Verlagerung des Gerichts nach Nürnberg). In den Ausschussberatungen wurden – wie die Protokolle der Sitzungen zeigen – die einschlägigen Fragen beraten und diskutiert. Dabei wurde, ebenso wie im Plenum des Landtags, mehrfach die Frage möglicher Alternativen zum Gerichts­auflösungsgesetz aufgeworfen; die betreffenden Vorschläge waren im Parlament und dessen Ausschüssen somit bekannt und Erörterungsgegenstand (vgl. Ministerialdirigent Klotz, Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, Wortprotokoll zur Anhörung vom 6.5.2004, S. 14; schriftliche Stellungnahme des Präsidenten des Bayerischen Obersten Landesgerichts Gummer, Wortprotokoll zur Anhörung vom 6.5.2004, Anlage 1, S. 40 f.; schriftliche Stellungnahme des Ehrenpräsidenten der RAK München Dr. Ernst, Wortprotokoll zur Anhörung vom 6.5.2004, Anlage 4, S. 60 f.; Abgeordneter Schindler, LT-Plenarprotokoll 15/18 vom 17.6.2004, S. 1201; Abgeordnete Stahl, LT-Plenarprotokoll 15/18 vom 17.6.2004, S. 1203; Abgeordneter Schindler, Protokoll über die Sitzung des Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen vom 14.10.2004, S. 34 f.; Abgeordneter Mütze, Protokoll über die Sitzung des Haushaltsausschusses vom 12.10.2004, S. 2).

 

Ferner wurden im September 2004 zur Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht mehrere Schriftliche Anfragen an die Staatsregierung gestellt und vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz im Oktober 2004 beantwortet (vgl. LT-Drs. 15/1739; 15/1755; 15/1756; 15/1757, 15/1774; 15/1784, 15/1920). Auch in diesem Rahmen wurden Fragen zu den Alternativen zur Gerichtsauflösung und deren Einsparungspotential aufgeworfen.

 

Der Vorsitzende des federführenden Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen ging bei der Ausschussberatung am 14. Oktober 2004 allerdings davon aus, dass die Antworten des Justizministeriums den Ausschussmitgliedern noch nicht bekannt sein dürften. Dies wurde –  ebenso wie die Tatsache, dass dem Ausschuss zum Zeitpunkt seiner Beratung die Protokolle über die Beratungen der mitberatenden Ausschüsse, mit Ausnahme des Protokolls über die Sitzung des Ausschusses für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit, noch nicht vorlagen – zum Gegenstand der Beratung gemacht und führte zu einem Antrag auf Vertagung, der abgelehnt wurde. Die Sitzung wurde anschließend für kurze Zeit unterbrochen, um die Schriftlichen Anfragen und die hierzu abgegebenen Antworten der Staatsregierung – soweit möglich – noch verteilen zu können (vgl. Protokoll über die Sitzung des Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen vom 14.10.2004, S. 29 ff.). Aus diesem Vorgang folgt jedoch nicht, dass die abschließende Gesetzesentscheidung des Parlaments verfassungswidrig ist. Nach der Verfassung obliegt es der autonomen, verfassungsgerichtlich grundsätzlich nicht überprüfbaren Entscheidung der Abgeordneten, welche Informationen und welchen Beratungs- und Diskussionsaufwand sie für ihre Entscheidung als ausreichend erachten. Im Übrigen ist nicht erkennbar geworden, inwiefern  durch den dargestellten Verlauf der Ausschussberatung ein gravierender, die gesetzgeberische Entscheidungsfindung in signifikanter Weise beeinflussender Mangel an bisher nicht bekannten Informationen und Entscheidungsgrundlagen entstanden sein soll.

 

Eine Würdigung der gesamten Abläufe ergibt, dass sich das Parlament mit den Problemen und den Vor- und Nachteilen, die eine Auflösung des Bayerischen
Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht mit sich bringen würde, sowie mit den möglichen Alternativen befasst hat. Es lag im autonomen, nicht überprüfbaren Entscheidungsbereich des einzelnen Abgeordneten, die wägende Entscheidung zu treffen, ob er die Nachteile der Gerichtsauflösung angesichts der Vorteile in Kauf zu nehmen und zu verantworten gewillt war. Dieser Abwägungsprozess muss nicht im Einzelnen dokumentiert und begründet werden (vgl. Trute in v. Münch/Kunig, GG, 5. Aufl. 2001, RdNrn. 86 ff. zu Art. 38). Aus der Tatsache, dass die Parlamentsmehrheit den Argumenten gegen die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht sowie den insoweit vorgeschlagenen Alternativen nicht gefolgt ist, kann nicht hergeleitet werden, dass eine Abwägung der Vor- und Nachteile nicht stattgefunden habe. Die Verfassung geht davon aus, dass der Abgeordnete im Bewusstsein, Vertreter des ganzen Volkes zu sein, seine Aufgaben verantwortungsbewusst und sachbezogen wahrnimmt; die Motive, aus denen der Abgeordnete seine Entscheidung trifft, sind nicht nachprüfbar. Aus diesen Gründen kann das Vorbringen der Antrag­steller, die Mehrheit des Landtags habe nicht ausführlich genug und nicht ergebnisoffen beraten, Alternativen nicht erörtert, Vor- und Nachteile sowie Kosten und Nutzen nicht hinreichend gegeneinander abgewogen und sie habe ihre Entscheidung auf der Grundlage einer politisch vorgegebenen Richtlinie getroffen, nicht dazu führen, das parlamentarische Verfahren beim Gerichtsauflösungsgesetz insoweit verfassungsgerichtlich zu beanstanden.

 

Das Gesetzgebungsvorhaben war zudem in der Öffentlichkeit bekannt und wurde dort diskutiert (s. hierzu z.B. die von Huff/Sprau, NJW-Sonderheft BayObLG 2005, 5/7 ff. geschilderten Reaktionen und Aktivitäten; ferner die an die Ausschüsse des Bayerischen Landtags gerichteten Eingaben zur Auflösung des Bayerischen Ober­sten Landesgerichts; s. weiter die Tätigkeit des am 15.12.2003 gegründeten Vereins der „Freunde des Bayerischen Obersten Landesgerichts e.V.“; vgl. Der Staatsbürger, Beilage der Bayerischen Staatszeitung, Mai 2004 zum Fragenkreis der Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht; vgl. Anzeige in der Süddeutschen Zeitung vom 9./10.
10.2004 „Rettet Bayerns Rechtskultur“; vgl. Kruis, NJW 2004, 640 ff.). Insgesamt kann deshalb nicht von mangelnder Transparenz oder fehlender Öffentlichkeit des Verfahrens gesprochen werden.

 

Es bedarf damit auch keiner Entscheidung, ob die hierzu von der Antragstellerseite zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG vom 25.3.1992 = BVerfGE 85, 386/403 f.; BVerfG vom 8.4.1997 = BVerfGE 95, 267/307 f.) ohne weiteres auf die hier angegriffene, primär organisationsrechtliche Regelung anzuwenden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat – bei Grundrechtseingriffen in speziellen Situationen – in den genannten Entscheidungen aus dem Gesetzesvorbehalt die Anforderung abgeleitet, entsprechende Regelungen müssten aus einem Verfahren hervorgehen, das sich durch Transparenz auszeichne, die Beteiligung der parlamentarischen Opposition gewährleiste und den Betroffenen und dem Publikum Gelegenheit biete, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten. Im vorliegenden Fall können die Konsequenzen dieser Rechtsprechung auf sich beruhen, weil  das zu überprüfende Gesetzgebungsverfahren im üblichen Rahmen, unter Beteiligung der Opposition, in Öffentlichkeit und Transparenz sowie unter Erörterung der Probleme der Regelung durchgeführt worden ist.

 

2. Die angegriffene Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht verletzt nicht den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

 

a) Dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kommt in erster Linie eine die individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion zu (vgl. BVerfG vom 22.5.1990 = BVerfGE 81, 310/338). Jedoch können sich aus diesem Prinzip grundsätzlich auch Schranken für organisatorische Maßnahmen ergeben, wobei allerdings im Blick zu behalten ist, dass es sich bei solchen Maßnahmen in aller Regel nicht um unmittelbare Eingriffe in die Rechte Einzelner handelt, so dass dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hier von vornherein ein geringeres Gewicht zukommt (vgl. VerfGH vom 14.2.1995 = VerfGH 48, 17/27). Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besagt vor allem, dass das zur Erreichung eines bestimmten Zwecks eingesetzte Mittel hierzu geeignet und erforderlich sein muss (vgl. VerfGH vom 13.12.1973 = VerfGH 26, 144/160; VerfGH vom 14.2.1995 = VerfGH 48, 17/27).

 

b) Ziel des Gesetzgebers war es nach der Begründung des Gesetzentwurfs, die im parlamentarischen Verfahren keine grundlegende Änderung erfahren hat, durch das Gerichtsauflösungsgesetz Haushaltsmittel einzusparen und daneben auch regional- und strukturpolitische Verbesserungen zu erreichen. Die Maßnahme sollte Teil einer durch die schwierige Haushaltslage veranlassten Strukturreform sein (LT-Drs. 15/1061 Vorblatt und S. 10). Die Maßnahme des Gerichtsauflösungsgesetzes kann deshalb nicht isoliert betrachtet werden; sie ist vielmehr als Bestandteil eines umfassenden Gesamtkonzepts zu sehen, das allgemein auf Einsparungen und Auflösung nicht zwingend erforderlicher staatlicher Einrichtungen abzielt. Es kann nicht festgestellt werden, dass das angegriffene Gesetz – im Rahmen eines solchen Gesamtkonzepts – zur Erreichung der angestrebten Ziele schlechthin ungeeignet ist; es wird jedenfalls zu einer gewissen, auch dauerhaften Einsparung führen. Auch bei der Frage, ob der Gesetzgeber die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht für „erforderlich“ im Sinn des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes halten durfte, ist diese Maßnahme nicht isoliert zu betrachten; sie muss als Teil einer umfassenden, vom Gesetzgeber für notwendig erachteten Strukturreform gesehen werden.

 

Überdies steht dem Gesetzgeber aufgrund seines Rechts und seiner Pflicht zur Prioritätensetzung ein weiter Spielraum zu bei der Beurteilung der „Erforderlichkeit“ einer Maßnahme, die als Regelung der Gerichtsorganisation nicht unmittelbar auf einen Eingriff in Individualrechte ausgerichtet ist (vgl. BVerfG vom 9.3.1994 = BVerfGE 90, 145/172 f.).  Die Erforderlichkeit einer Einsparungsmaßnahme im Rahmen eines Gesamtkonzepts kann vor allem nicht mit dem Vorbringen in Zweifel gezogen werden, es stünden an anderer Stelle mindestens gleich ergiebige Einsparungsquellen oder schonendere Alternativen zur Verfügung. Dies stünde nicht im Einklang mit der Prärogative des Parlaments zur Gesamtbeurteilung der wirtschaftlich-finanziellen Lage, seinem Recht zur Prioritätensetzung und zu seiner Verpflichtung, möglichst allen Aufgaben in gleicher Weise gerecht zu werden.

 

Ebenso wie bei der Frage der Geeignetheit könnte die Beurteilung des Gesetzgebers, eine organisatorische Maßnahme sei zur Erreichung seiner Ziele erforderlich, deshalb nur dann verfassungsgerichtlich beanstandet werden, wenn diese Beurteilung evident fehlerhaft wäre.

 

Gleiches gilt für die Frage, ob eine Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn gegeben ist, ob also die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt ist. Auch insoweit hat der Gesetzgeber – da es um eine organisatorische Regelung und nicht um eine primär auf Eingriffe in die Grundrechte des Bürgers gerichtete Regelung geht – eine weite Abwägungs- und Entscheidungsprärogative. Bei der Überprüfung des betreffenden Vorgangs hat der Verfassungsgerichtshof deshalb Zurückhaltung zu üben, um nicht in den vom Grundsatz der Gewaltenteilung dem Parlament vorbehaltenen originären Entscheidungsraum einzudringen. Bei dieser Beschränkung des Prüfungsumfangs und der Prüfungstiefe ist eine zu beanstandende gesetzgeberische Fehleinschätzung nicht erkennbar; es kann damit nicht festgestellt werden, dass die angegriffene gesetzgeberische Entscheidung nicht geeignet, nicht erforderlich oder nicht verhältnismäßig im engeren Sinn ist und damit gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt (vgl. auch VerfGH vom 14.2.1995 = VerfGH 48, 17/23 und 28).

 

3. Das Gerichtsauflösungsgesetz verletzt nicht die staatliche Justizgewährungspflicht.

 

a) Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) umfasst eine Justizgewährungspflicht. Der Staat ist verfassungsrechtlich verpflichtet, für eine funktionsfähige Rechtspflege zu sorgen. Er hat die Gerichte einzurichten und ordnungsgemäß zu besetzen, die nach den einschlägigen Gesetzen vorgeschrieben sind. Der Staat muss dafür sorgen, dass Gerichte zur Verfügung stehen, die in richterlicher Unabhängigkeit alle auf sie zukommenden Aufgaben in der richtigen Besetzung und mit der gebotenen Sorgfalt bewältigen können. Dazu gehört die erforderliche Ausstattung mit personellen und sächlichen Mitteln (vgl. VerfGH vom 8.8.1985 = VerfGH 38, 96/99 f. und 102).

 

b) Die so zu verstehende Justizgewährungspflicht wird durch das Gerichtsauflösungsgesetz nicht verletzt; die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung als solcher  wird nicht eingeschränkt. Das Gesetz stellt mit der Übertragung der Rechtsprechungsaufgaben des Bayerischen Obersten Landesgerichts auf die Oberlandesgerichte Bamberg, München und Nürnberg sicher, dass diese Aufgaben auch weiterhin von ordnungsgemäß besetzten Gerichten in sachgerechter Weise erfüllt werden. Dass die Zuständigkeit für Revisionen in Zivilsachen aus dem Bereich des Landesrechts auf den Bundesgerichtshof übergeht, beeinträchtigt ersichtlich nicht die Justizgewährungspflicht in Gestalt der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung. Selbst wenn – wie die Antragsteller vortragen – diese Verfahren beim Bundesgerichtshof langsamer bearbeitet werden sollten als dies beim Bayerischen Obersten Landesgericht der Fall war, würde dies nicht dazu führen, eine Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung insgesamt anzunehmen; die betreffenden Revisionssachen werden nach Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht anders behandelt als Revisionen in Zivilsachen, in denen für die Entscheidung Bundesrecht in Betracht kommt.

 

Die Justizgewährungspflicht in Form der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung wird nicht durch eine Qualitätseinbuße beeinträchtigt, die nach Auffassung der Antragsteller mit der Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und dem Übergang seiner Rechtsprechungsaufgaben auf die Oberlandesgerichte verbunden ist. Die Antragsteller weisen darauf hin, dass die Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts unstrittig ein besonderes Qualitätsniveau erreicht hat, das bundesweit hohe Wertschätzung erfährt. Jedoch sind auch die Oberlandesgerichte Bamberg, München und Nürnberg dazu qualifiziert, die staatliche Justizgewährungspflicht zu erfüllen und die vom Bayerischen Obersten Landesgericht auf die Oberlandesgerichte übergegangenen Rechtsprechungsaufgaben sachgemäß zu erledigen.

 

Auch wenn man dessen ungeachtet Qualitätsminderungen in Rechnung stellt, etwa weil die beim Bayerischen Obersten Landesgericht vorhandenen guten Arbeitsbedingungen und die Praxis, besonders qualifizierte Richter an dieses Gericht zu berufen, bei den drei bayerischen Oberlandesgerichten nicht in gleichem Umfang wiederholbar wären, würde das die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege in Bayern nicht in verfassungswidriger Weise beeinträchtigen. Die in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV enthaltene Justizgewährungspflicht garantiert lediglich, dass in Bayern funktionsfähige, unabhängige Gerichte bestehen, besagt aber nichts über eine – ohnedies überwiegend vom Bundesrecht strukturierte – Organisationshöhe und
-qualität dieser Gerichte. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass in den Ländern, die kein Oberstes Landesgericht errichtet haben, eine Beeinträchtigung der Justizgewährung oder der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege als solcher nicht erkennbar geworden ist.

 

D. Das Willkürverbot (Art. 118 Abs. 1 BV) ist nicht verletzt.

 

1. Das dem Gleichheitssatz zuzuordnende Willkürverbot ist eine allgemeine Schranke für staatliches Handeln; es wirkt auch gegenüber dem Gesetzgeber. Es bleibt grundsätzlich dem Ermessen des Gesetzgebers überlassen zu entscheiden, in welcher Weise den allgemeinen Gedanken der Angemessenheit, Billigkeit und Zweckmäßigkeit Rechnung zu tragen ist. Nur wenn die äußersten Grenzen dieses Ermessens überschritten sind, wenn für die getroffene Regelung jeder sachlich einleuchtende Grund fehlt, ist der Gleichheitssatz verletzt (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 14.2.1995 = VerfGH 48, 17/22 f.). Dabei kommt es – wie der Verfassungsgerichtshof entschieden hat – darauf an, ob aus objektiver Sicht sachgerechte Gründe für die betreffende Regelung bestehen; es führt dagegen grundsätzlich nicht zur Verfassungswidrigkeit einer Norm, wenn es der Normgeber versäumt hat, tatsächliche Ermittlungen und fachliche Abwägungen vorzunehmen, oder wenn er die für den Erlass der Norm maßgebenden Gründe nicht ausreichend dargelegt hat (vgl. VerfGH vom 12.10.1994 = VerfGH 47, 207/225 f.).

 

Diese Grundsätze gelten auch bei Organisationsakten. Dem Gesetzgeber steht bei derartigen Entscheidungen regelmäßig ein weiter Ermessens- und Gestaltungsspielraum zu. Es genügt, dass sich für seine Entscheidung ein sachlich vertretbarer Grund von einigem Gewicht anführen lässt; dabei muss es sich jedoch nicht um einen „zwingenden“ Grund handeln. Über Wertungen, fachbezogene Einschätzungen, Zielvorstellungen, Abwägungen oder Prognosen des Gesetzgebers kann sich der Verfassungsgerichtshof nur dann hinwegsetzen, wenn sie offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sind.

 

Es ist dabei klar zu trennen zwischen den politischen Überlegungen, die für oder gegen eine Sachentscheidung sprechen und die vom Verfassungsgerichtshof grundsätzlich nicht überprüft werden können, und den rechtlichen Kriterien, anhand derer eine Entscheidung  des Gesetzgebers verfassungsgerichtlich zu überprüfen ist. Ein großer Teil der gegen das Auflösungsgesetz vorgebrachten Gesichtspunkte betrifft Kriterien, die im Bereich einer politischen Wertung und Entscheidung des Gesetzgebers liegen. Dazu gehören z.B. die Fragen, ob es angemessen ist, die Unterbrechung einer bis in das Jahr 1625 zurückreichenden historischen Tradition, die Abkehr von einem bestimmten staatlichen Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, den Verzicht auf den guten Ruf und das hohe Ansehen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in der Rechtsprechung der Bundesrepublik und den Verlust einer besonderen Rechtskultur in Kauf zu nehmen für eine beschränkte finanzielle Einsparung, oder ob angesichts all dieser Gesichtspunkte und anderer fachlicher Überlegungen eine andere Lösung die bessere wäre. All dies sind Faktoren, die der Gesetzgeber im Rahmen seiner Befugnis zur Gestaltung und Prioritätensetzung politisch zu bewerten, zu entscheiden und zu verantworten hat. Eine gesetzgeberische Entscheidung kann der Verfassungsgerichtshof aus diesen Gründen daher nur dann revidieren, wenn sie durch keine sachliche Erwägung zu rechtfertigen wäre oder der Wertordnung der Bayerischen Verfassung widerspräche (vgl. VerfGH vom 14. Februar 1995 = VerfGH 48, 17/23).

 

Bei Maßnahmen der Gerichtsorganisation hat der Gesetzgeber allerdings die Stellung der Rechtsprechung als dritter Gewalt zu achten. Der Verfassungsgerichtshof hat hierzu entschieden (vgl. VerfGH vom 14.2.1995 = VerfGH 48, 17/23):

 

„Der Verfassungsgerichtshof hat in der Entscheidung VerfGH 28, 88/95 offengelassen, inwieweit aus dem Begriff „oberes Landesgericht“ bei gerichtsorganisatorischen Akten der Ermessensspielraum des Gesetzgebers Einschränkungen erfahren kann. Eine Einschränkung dieses Ermessensspielraums ergibt sich unter dem Gesichtspunkt der ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Funktionen als oberes Landesgericht. Bei Maßnahmen der Gerichtsorganisation hat der Gesetzgeber nämlich zu bedenken, dass diese die Wirkungsmöglichkeiten der Rechtsprechung unmittelbar berühren und damit mittelbar in die von der Verfassung sorgfältig gehütete sachliche Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt eingreifen (vgl. BVerfGE 2, 307/319). Ob und in welchem Ausmaß dies der Fall ist, hat der Gesetzgeber zu prüfen und in seine Überlegungen bezüglich der Vor- und Nachteile der von ihm erstrebten Regelung nach pflichtgemäßem Ermessen einzubeziehen (vgl. VerfGH 26, 144/159). Dabei müssen die Gründe, die für die gesetzgeberische Regelung sprechen, um so schwerwiegender sein, je mehr durch die Regelung in die Funktionswahrnehmung eines oberen Landesgericht eingegriffen wird.“

 

 

Bei der zitierten Entscheidung vom 14. Februar 1995 ging es um die Frage, inwieweit es mit der Verfassung vereinbar ist, die tatsächliche Funktionswahrnehmung eines oberen Landesgerichts durch die Verlagerung von Senaten, also durch eine Aufsplitterung der örtlichen Einheit des Gerichts, zu berühren. Der Verfassungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit dem Willkürverbot hervorgehoben, dass die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Funktionen eines oberen Landesgerichts, seine Wirkungsmöglichkeit im Bereich der Rechtsprechung, gesichert bleiben muss; in diesem Zusammenhang sind die Vor- und Nachteile in die Abwägung des Gesetzgebers einzubeziehen.

 

Für die Gewährleistung der Funktionen der Rechtsprechung allgemein sowie für die Belange des rechtsuchenden Bürgers kommt es maßgeblich darauf an, dass die durch Bundes- und Landesgesetze übertragenen Rechtsprechungsaufgaben der jeweiligen Ebene, etwa – wie hier – auf der Ebene eines oberen Landesgerichts, tatsächlich erfüllt werden. Deshalb führt die Auflösung eines Gerichts jedenfalls dann nicht zu einer Beeinträchtigung der allgemeinen Funktionswahrnehmung der rechtsprechenden Gewalt als solcher, wenn die Rechtsprechungsfunktionen der betreffenden Ebene von einem anderen oder mehreren anderen Gerichten übernommen werden.

 

Durch den vom Gesetzgeber zu beachtenden Grundsatz, dass die durch Grundgesetz, Bundesrecht, Bayerische Verfassung und Landesrecht vorgesehene sachgerechte und wirksame Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte gewährleistet bleiben muss, wird der verfassungsrechtlichen Stellung der Rechtsprechung als dritter Gewalt Rechnung getragen. Werden diese Stellung der rechtsprechenden Gewalt und die allgemeine Justizgewährungspflicht beachtet, so müssen die Gründe für eine gerichtsorganisatorische Regelung nicht spezifisch darauf bezogen sein, die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung zu optimieren. Vielmehr können auch rechtsprechungsexterne Gründe eine Gerichtsorganisationsregelung rechtfertigen. Eine andere Auffassung würde die Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers unangemessen einengen; es ist dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen grundsätzlich zugestanden, eine Regelung auch aus nicht sachwidrigen Gründen zu treffen, die aus anderen Gebieten als der konkreten Regelungsmaterie herrühren. Regelungen der Gerichtsorganisation können deshalb – wenn der rechtsstaatliche Justizgewährungsanspruch hinreichend beachtet wird –  im Rahmen eines übergreifenden Gesamtkonzepts auch mit sachgerechten Überlegungen finanzieller, regionalpolitischer, strukturpolitischer oder sonstiger Art begründet werden (vgl. dazu, dass finanzielle Erwägungen sachgerecht sein können und den Vorwurf entkräften, eine gesetzliche Regelung sei willkürlich, BVerfG vom 24.7.1953 = BVerfGE 3, 4/11; anders bei differenzierender Behandlung verschiedener Personengruppen im Beamtenrecht, vgl. insoweit BVerfG vom 1.6.1975 = BVerfGE 19, 76/84 f.; BVerfG vom 31.1.1996 = BVerfGE 93, 386/402). Demgemäß hat der Verfassungsgerichtshof die Verlagerung von drei Senaten des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nach Ansbach, die im Wesentlichen mit strukturpolitischen Gründen im Rahmen eines übergreifenden Gesamtkonzepts gerechtfertigt wurde, im damals streitgegenständlichen Umfang (Beschränkung auf die Verlagerung von drei Senaten) noch für verfassungsgemäß erachtet (vgl. VerfGH vom 14.2.1995 = VerfGH 48, 17 ff.). Auch die Wiederbesetzungssperre für freigewordene Richterstellen, die mit der Notwendigkeit zum Sparen begründet und als Mittel der Politik zur Schulden- und Ausgabenbegrenzung angesehen wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht beanstandet (vgl. VerfGH vom 8.8.1985 = VerfGH 38, 96 ff.).

 

2. Nach diesen Grundsätzen ist das Gerichtsauflösungsgesetz unter dem Blickwinkel des Art. 118 Abs. 1 BV nicht zu beanstanden.

 

a) Im Gesetzentwurf der Staatsregierung wird zur Begründung des Gerichtsauflösungsgesetzes darauf verwiesen, dass der Staat „angesichts der äußerst schwierigen Haushaltslage, die durch knappe Finanzmittel der öffentlichen Hand und stetig sinkende Steuereinnahmen gekennzeichnet ist“, alle vertretbaren Möglichkeiten zur Einsparung von Haushaltsmitteln ergreifen müsse. Im Rahmen der notwendigen Strukturreform müssten Einrichtungen, die nicht zwingend erforderlich seien, aufgelöst werden. Durch diese Auflösung würden Haushaltsmittel in „beträchtlicher Höhe“ eingespart werden; außerdem wird darauf hingewiesen, dass durch die Verlagerung von Aufgaben auf die Oberlandesgerichte Bamberg und Nürnberg ein Beitrag zur Regionalisierung und Dezentralisierung von Behörden in Bayern geleistet werde. Ferner wird – im Zusammenhang mit der Erörterung der künftigen Verteilung von Revisionen in Strafsachen – von einem Zuwachs an Bürgerfreundlichkeit durch eine regionale Verteilung auf alle bayerischen Oberlandesgerichte ausgegangen (vgl. Gesetzentwurf der Staatsregierung, LT-Drs. 15/1061, Vorblatt und S. 10,11 und 12).

 

b) Das Parlament hat im Rahmen des Budgetbewilligungsrechts die vorhandenen Finanzmittel so zu verteilen, dass der Staat möglichst all seinen verfassungsrechtlichen Verpflichtungen und Aufgaben entsprechend ihrer Bedeutung für den gesamten Staat und den einzelnen Bürger nach Maßgabe der vorhandenen Mittel gerecht werden kann. Die Ausübung des Budgetrechts des Parlaments wird maßgeblich von der verantwortungsbewussten Bewertung der Gesamtsituation des Staates, der Prioritätensetzung aufgrund dieser Einschätzung sowie dem insoweit ständig zu beachtenden Vorbehalt des Möglichen geprägt (vgl. VerfGH vom 8.8.1985 = VerfGH 38, 96/99; VerfGH vom 17.11.1994 = VerfGH 47, 276/305).

 

Im Rahmen einer solchen Gesamtbewertung kann es je nach Einzelfall ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers sein, die Kosten auch des Justizbereichs zu begrenzen. Der Staat muss zwar wegen der verfassungsrechtlichen Justizgewährungspflicht auf jeden Fall dafür sorgen, dass genügend Richter, Staatsanwälte, Beamte, Angestellte und Arbeiter sowie ausreichende sächliche Mittel vorhanden sind, damit die Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt durch unabhängige Gerichte sachgerecht erfüllt werden kann. Dies setzt nicht zwingend den Bestand eines obersten Landesgerichts voraus, dessen Errichtung bundesrechtlich in das Ermessen der betroffenen Länder gestellt ist (§ 8 Abs. 1 EGGVG). Der Landesgesetzgeber hat insoweit – innerhalb der Grenzen der bundesrechtlichen Vorgaben sowie der Pflicht zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Gerichte – einen Gestaltungs- und Bewertungsspielraum, der auch Einsparungsmaßnahmen umfassen kann (vgl. VerfGH vom 8.8.1985 = VerfGH 38, 96/99 zur Verfassungsmäßigkeit von Wiederbesetzungssperren für Richterstellen).

 

c) Der Gesetzgeber hat mit dem Gerichtsauflösungsgesetz diesen ihm verfassungs­rechtlich gewährten Gestaltungs- und Bewertungsspielraum nicht verlassen.

 

aa) Der generelle Ausgangspunkt der gesetzgeberischen Überlegungen, dass eine schwierige Haushaltslage auch eine Organisationsänderung der Rechtspflege rechtfertigen könne, ist in seinem Kern verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsteller bestreiten allerdings, dass sich Einsparungen in einer Höhe von 1,48 Mio. € jährlich ergeben werden, und weisen darauf hin, dass es sich insoweit allenfalls um eine Schätzung handeln könne, bei der Unsicherheiten bestünden (z.B. wegen Aufrundungen, Nichtberücksichtigung von höheren Pensionsbelastungen usw.); ferner bezweifeln sie, dass sich der Freistaat Bayern in einer äußersten Haushaltsnotlage befinde, die gewissermaßen als „Notoperation“ die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht rechtfertige; die Lage sei schwerlich bedrängter als zum Zeitpunkt der Wiedererrichtung des Gerichts im Jahr 1948.

 

Bei der Bewertung der finanziellen Situation des Staates steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zu. Dessen Einschätzungen könnte der Verfassungsgerichtshof nur dann beanstanden, wenn sie evident fehlerhaft und eindeutig widerlegbar wären (vgl. VerfGH vom 30.6.1998 = VerfGH 51, 94/103; VerfGH vom 4.6.2003 = VerfGH 56, 99/109). Eine evidente Fehlbeurteilung des Gesetzgebers kann hier nicht angenommen werden. Die generellen Faktoren, die die vom Gesetzgeber angenommene schwierige Haushaltslage verursachen, vor allem hohe Arbeitslosigkeit, sinkende Steuereinnahmen und schwaches Wirtschaftswachstum, sind allgemein bekannt und beeinflussen auch die Lage im Freistaat Bayern negativ, auch wenn dessen Situation – wie die Antragsteller vortragen – hinsichtlich der Verschuldungshöhe im Vergleich zu anderen Ländern günstiger sein mag. Überdies ist den Art. 78 bis 82 BV generell der Grundsatz des sparsamen Finanzgebarens zu entnehmen (vgl. Meder, RdNr. 3 zu Art. 78; vgl. auch Art. 7 BayHO). Auf die von den Antragstellern aufgeworfenen Fragen, welchen Grad die Haushaltsnotlage derzeit erreicht habe oder ob die Lage 1948 (Wiedererrichtung des Bayerischen Obersten Landesgerichts) nicht noch schlechter gewesen sei, kommt es mithin nicht entscheidend an. Wenn der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Auflösung eines Gerichts wie des Bayerischen Obersten Landesgerichts und dessen Staatsanwaltschaft langfristig zu nicht völlig zu vernachlässigenden Einsparungen führen wird, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, selbst wenn insoweit weniger als die in der Gesetzesbegründung angegebenen 1,48 Mio. € jährlich erreicht werden sollten.

 

bb) Für den Gesetzgeber ausschlaggebend und maßgebend im Sinn eines sachlichen, die gesetzgeberische Maßnahme rechtfertigenden Grundes ist, dass – in der in der Begründung des Gesetzentwurfs näher dargelegten Höhe – Haushaltsmittel  eingespart werden. Die Antragsteller bringen – neben dem Bestreiten der Höhe dieses Einsparvolumens – dazu weiter vor, dass das angestrebte Einsparvolumen nur 0,8 Promille des Justizhaushalts ausmache, also nur sehr wenig eingespart werde und dass dieser marginale Einsparungseffekt auch auf andere, weniger einschneidende Weise erzielbar sei, etwa durch Kürzungen anderer Ansätze des Justizhaushalts oder anderer Ministerien.

 

Durch diese Argumente wird die in dem Einspareffekt liegende sachliche und hinreichende Rechtfertigung des Gerichtsauflösungsgesetzes nicht widerlegt. Die Einsparung von Haushaltsmitteln in nicht vernachlässigbarem Umfang ist generell ein sachlich vertretbarer Grund von einigem Gewicht, der gesetzliche Regelungen, auch auf dem Gebiet der Gerichtsorganisation, rechtfertigen kann. Dass durch die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht Haushaltsmittel eingespart werden können, ist – selbst wenn sie nicht in der vom Gesetzgeber zugrunde gelegten vollen Höhe erzielt werden sollten – nicht in Zweifel zu ziehen. Es ist auch nicht erforderlich, verfassungsgerichtlich darüber zu entscheiden, ob eine Einsparung von bis zu 1,48 Mio. € jährlich ab 2019 in Relation zum gesamten Staatshaushalt „beträchtlich“ ist. Eine gesetzgeberische Einzelmaßnahme muss im Gesamtsystem des betreffenden politischen Konzepts gesehen werden (vgl. VerfGH vom 13.12.1973 = VerfGH 26, 144/157 f.; VerfGH vom 14.2.1995 = VerfGH 48, 17/ 25). Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht eine Teilmaßnahme eines umfassenden Einsparungs- und Neustrukturierungsvorhabens darstellt und weitere Einsparungsmaßnahmen, wie in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vom 6. November 2003 (LT-Plenar­proto­koll 15/5 vom 6.11.2003, S. 48 ff.) dargelegt, folgen, so dass sich aus der Summierung aller Maßnahmen eine spürbare Entlastung des Staatshaushalts ergeben werde.

 

Diese Einschätzung des Gesetzgebers ist nicht evident unrichtig und nicht von vornherein widerlegbar. Bei der genannten Betrachtungsweise kommt es nicht darauf an, ob im Gesamtsystem des politischen Konzepts Maßnahmen enthalten sind, die – isoliert betrachtet – keinen signifikanten Beitrag zur Zielerreichung liefern (vgl. VerfGH vom 8.8.1985 = VerfGH 38, 96/107). Wenn aus einem Gesamtvorhaben zur Einsparung von Haushaltsmitteln einzelne Maßnahmen lediglich wegen ihres vergleichsweise geringen Beitrags herausgelöst würden, würde der Erfolg eines Gesamtkonzepts in Frage gestellt, der gerade auf der Summierung vieler Einzelvorhaben beruht. Einzelmaßnahmen sind stets in einer Gesamtbetrachtung aller Sparmaßnahmen zu sehen.

 

Auf ähnlicher Ebene liegt das Argument, die betreffenden Einsparungen hätten an anderer Stelle, darunter auch im Bereich der Justiz selbst, ebenso gut erzielt werden können. Bei der Vielzahl staatlicher Institutionen und Tätigkeiten ist es zwar grundsätzlich richtig, dass (theoretisch) in unterschiedlichen Bereichen eingespart werden könnte. Das Argument berücksichtigt aber nicht ausreichend, dass es nach der Verfassung die Aufgabe des Parlaments in Ausübung seines Budgetrechts ist, im Rahmen des Möglichen die vorhandenen Finanzmittel so zu verteilen, dass möglichst alle verfassungsrechtlichen Aufgaben und Verpflichtungen des Staates erfüllt werden. Dazu bedarf es der verantwortungsbewussten Einschätzung der Gesamtsituation durch das Parlament und dessen Entscheidung, wo jeweils das Schwergewicht des finanziellen Engagements liegen soll und in welcher Abstufung andere Bereiche demgegenüber zurücktreten müssen (vgl. VerfGH vom 8.8.1985 = VerfGH 38, 96/99; VerfGH vom 17.11.1994 = VerfGH 47, 276/305). Wenn dem Gesetzgeber bei jeder konkreten Einsparungsmaßnahme entgegen gehalten werden könnte, die betreffende Einsparung sei an anderer Stelle zu erzielen, wäre er faktisch handlungsunfähig. Würde der Verfassungsgerichtshof dem Gesetzgeber vorschreiben, die für notwendig angesehenen Einsparungen bei anderen Behörden und Aufgabenbereichen oder durch anderweitige Organisationsentscheidungen vorzunehmen, würde er sich an die Stelle des Gesetzgebers setzen und in dessen Recht zur Prioritätensetzung eingreifen. Das kommt dem Verfassungsgerichtshof nicht zu.

 

cc) Aus vergleichbaren Gründen scheitert der Einwand der Antragsteller, das Gerichtsauflösungsgesetz bringe zusätzliche Kosten für die Bürger, Wirtschaftszweige und die Rechtsprechung der Instanzgerichte mit sich, die den Einsparungseffekt zunichte machten; diese Kosten könnten zwar nicht errechnet, aber bei einer Kosten-Nutzen-Analyse geschätzt werden. Der Gesetzgeber ist beim Gerichtsauflösungsgesetz von der Prognose ausgegangen, die Rechtsprechungsaufgaben des Bayerischen Obersten Landesgerichts und die Aufgaben der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht könnten in Zukunft in sachgerechter Weise – und damit ohne die von den Antragstellern für möglich gehaltenen Kosten der Aufgabenverteilung – von den Oberlandesgerichten und den dortigen Staatsanwaltschaften erledigt werden. Prognosen des Gesetzgebers über die sachliche Eignung und die Auswirkungen einer gesetzlichen Regelung könnte der Verfassungsgerichtshof nur dann beanstanden, wenn sie im Ansatz oder in der Methode offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar wären; auch hier kann der Verfassungsgerichtshof nicht eine eigene Prognose an die Stelle der Prognose des Gesetzgeber setzen (vgl. VerfGH vom 12.1.1998 = VerfGH 51, 1/15; VerfGH vom 30.7.1999 = VerfGH 52, 66/73).

 

Die Voraussetzungen für eine Beanstandung der gesetzgeberischen Erwartungen liegen hier nicht vor. Der Gesetzgeber ist ersichtlich davon ausgegangen, bei einer Gegenüberstellung der Vorteile der Gerichtsauflösung mit den etwaigen Kosten für Bürger, Wirtschaftskreise und die Rechtsprechung selbst, also bei einer Kosten-Nutzen-Analyse, würden sich keine derartigen Nachteile ergeben, dass die gesetzgeberische Maßnahme in Frage gestellt werde. Als Grundlage der prognostischen Annahme des Gesetzgebers diente die Feststellung, dass auch die drei bayerischen Oberlandesgerichte und die Staatsanwaltschaften bei diesen Gerichten mit hervorragend qualifizierten Richtern, Staatsanwälten und Mitarbeitern besetzt sind und dass in den übrigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland die Erfüllung der betreffenden Aufgaben durch die Oberlandesgerichte nicht zu offenkundigen, schweren Problemen geführt hat. Diese Einschätzung des Gesetzgebers ist nicht offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar.

 

dd) Dem Gerichtsauflösungsgesetz liegen keine Überlegungen zugrunde, die – wie die Antragsteller meinen – evident sachwidrig sind.

 

Gesichtspunkte wie „Regionalisierung“ und „Dezentralisierung“ sind auch im Rahmen einer Gerichtsauflösung nicht evident sachwidrig, sondern können im Rahmen eines Gesamtkonzepts zu würdigende sachgerechte Gründe sein. Das Gerichtsauflösungsgesetz wird vom Gesetzgeber primär dadurch sachlich gerechtfertigt, dass Haushaltmittel eingespart werden. Dass neben diesem sachlichen Grund, der ausdrücklich Gegenstand des Gesetzgebungsverfahrens war, zusätzlich der Gedanke eine Rolle gespielt haben mag, ein politisches Zeichen mit Symbolcharakter zu setzen, führt nicht zur Verfassungswidrigkeit der im Übrigen vom Gesetzgeber mit sachlichen Erwägungen gerechtfertigten Regelung. Damit kommt es auch nicht darauf an, dass etwa die von der zuständigen Ressortministerin in der Sachdiskussion erwähnten weiteren Überlegungen die Gerichtsauflösung nach der Auffassung der Antragstellerin im Meinungsverschiedenheitenverfahren nicht rechtfertigen können.

 

d) Die Nachteile, die das Gerichtsauflösungsgesetz dadurch mit sich bringt, dass ein hoch angesehenes Gericht mit langer Tradition aufgelöst und seine Funktionen auf andere Stellen der Rechtsprechung verteilt werden, lassen die Regelung nicht als  evident sachwidrig erscheinen.

 

Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass seine Maßnahme keine Nachteile mit sich bringt, die ihre Vorteile aufwiegen oder übersteigen, kann vom Verfassungsgerichtshof nur eingeschränkt überprüft werden; der Verfassungsgerichtshof kann gerade in solchen Fällen nicht seine Einschätzung oder Bewertung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen. Die Wertung des Gesetzgebers, das Gerichtsauflösungsgesetz führe nicht zu Nachteilen, die die angestrebten Vorteile aufwiegen würden, ist nicht offenkundig fehlerhaft oder widerlegbar. Sie beruht auf den Annahmen, dass die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht auf Dauer zu einer jährlichen Einsparung von etwa 1,48 Mio. € führt und dass dessen Rechtsprechungsaufgaben von den ebenfalls hoch qualifizierten Oberlandesgerichten Bamberg, München und Nürnberg weitergeführt werden können. Die Nachteile, die durch die Verlagerung der Aufgaben auf drei Oberlandesgerichte entstehen, besonders dem damit verbundenen gewissen Verlust an Einheitlichkeit der Rechtsauslegung in bestimmten Spezialmaterien, hat der Gesetzgeber gesehen und ihnen dadurch entgegengewirkt, dass die Zuständigkeit zur Entscheidung über die weitere Beschwerde in Grundbuchsachen und in anderen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit einschließlich der Kostensachen, die der Kostenordnung unterliegen, beim Oberlandesgericht München und dass die Entscheidung über die Rechtsbeschwerden aufgrund des Wirtschaftsstrafgesetzes und des Ordnungswidrigkeitengesetzes beim Oberlandesgericht Bamberg konzentriert sind. Unter diesen Umständen ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber zu dem Ergebnis gelangt ist, die Vorteile der Gerichtsauflösung würden deren Nachteile aufwiegen.

 

Auch wenn man nicht ausschließt, dass die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht und die Verlagerung von deren Aufgaben auf die Oberlandesgerichte auf Dauer gewisse Qualitätseinbußen bei der Rechtsprechung mit sich bringt, besonders hinsichtlich der einheitlichen Rechtsauslegung und -anwendung, so führt dies nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gerichtsauflösungsgesetzes. Eine Qualitätseinbuße dieser Art kann wegen der dann veränderten Rahmenbedingungen, besonders wegen des Wegfalls der speziellen Arbeitsvoraussetzungen beim Bayerischen Obersten Landesgericht und der Kriterien für die Auswahl der dort tätigen Richter sowie wegen spezieller Sachzwänge und anderer Prioritätensetzung durch die Präsidien bei den Oberlandesgerichten, möglicherweise nicht zu vermeiden sein. Wie dargelegt ist es jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber zu der Einschätzung gelangt ist, seine Maßnahme beeinträchtige nicht die Erfüllung seiner allgemeinen Justizgewährungspflicht und die generelle Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung bezüglich der Aufgaben, die bisher dem Bayerischen Obersten Landesgericht und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht oblagen. Wenn die von der Verfassung gebotenen unabdingbaren Voraussetzungen, nämlich die Erfüllung der allgemeinen Justizgewährungspflicht und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung eingehalten werden, dann sind auch gewisse Qualitätsminderungen in der Rechtsprechung verfassungsrechtlich hinnehmbar (vgl. VerfGH vom 8.8.1985 = VerfGH 38, 96/100). Dazu zählen etwa auch Folgen von Wiederbesetzungssperren, Stellenminderungen, Verkürzungen von Instanzenzügen, Entscheidungsverlagerungen von Kollegialgremien auf Einzelrichter, Verringerung der Anforderungen an Entscheidungsbegründungen oder ähnlichen Maßnahmen in Justizreform- oder -moder­ni­sierungsgesetzen. Diese sind bisher – soweit ersichtlich – verfassungsrechtlich nicht grundlegend in Zweifel gezogen worden.

 

E. Der Gemeinwohlauftrag (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV) ist nicht verletzt.

 

Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV bestimmt, dass der Staat dem Gemeinwohl zu dienen hat und nicht den Interessen einzelner Personen oder Gruppen. Diesem Verständnis des Gemeinwohlgrundsatzes widerspricht das Gerichtsauflösungsgesetz nicht. Der Inhalt des Gemeinwohlbegriffs wird in der parlamentarischen Demokratie letztlich durch den Gesetzgeber geformt; insofern ist er metajuristischer, politischer Provenienz (vgl. Schweiger in Schweiger/Nawiasky/Knöpfle, Die Verfassung des Freistaates Bayern, RdNr. 19 zu Art. 3). Es ist zunächst Sache des Gesetzgebers, im Rahmen seiner verfassungsrechtlich vorgegebenen Gestaltungsbefugnis die Gerichtsorganisation im Dienst des Gemeinwohls festzulegen. Soweit er hierbei sachliche Erwägungen anstellt, die nicht eindeutig widerlegbar oder offensichtlich fehlerhaft sind, muss sie auch der Verfassungsgerichtshof anerkennen und darf sich nicht über sie hinwegsetzen (vgl. VerfGH vom 13.12.1973 = VerfGH 26, 144/161; Meder, RdNr. 23 zu Art. 3). Die Wertungen und Erwägungen des Gesetzgebers zur Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht sind indes nicht offenkundig verfehlt und verstoßen deshalb nicht gegen den Gemeinwohlauftrag nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BV.

 

F. Der Gewaltenteilungsgrundsatz (Art. 5 BV) wird durch die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht nicht verfassungswidrig berührt.

 

Kern des Gewaltenteilungsgrundsatzes ist, dass sich die Organe der Legislative, Exekutive und Judikative gegenseitig kontrollieren und begrenzen. Die in der Verfassung vorgenommene Verteilung der Gewichte zwischen den drei Gewalten muss aufrechterhalten bleiben; keine Gewalt darf ein in der Verfassung nicht vorgesehenes Übergewicht über die andere Gewalt erhalten und keine Gewalt darf der für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden. Im Übrigen wird die Einzelausgestaltung der Gewaltenteilung durch die allgemeinen Organisationsstrukturen der Verfassung geprägt, besonders durch die Entscheidung für das im Wesentlichen von politischen Parteien gestaltete parlamentarische Regierungssystem (vgl. Herzog in Maunz/Dürig, GG, RdNrn. 28 ff. zu Art. 20, V. Abschnitt). Nach Art. 5 Abs. 3 BV ist die rechtsprechende Gewalt gegen Einwirkungen der beiden anderen Gewalten stärker abgeschirmt als diese es sind (Meder, RdNrn. 1 und 6 zu Art. 5).

 

In die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der rechtsprechenden Gewalt, vor allem in deren Kernbereich, nämlich die konkrete Ausübung der Rechtsprechung durch den einzelnen unabhängigen Richter (vgl. Schweiger, a. a. O., RdNr. 8 zu Art. 5), wird durch das Gerichtsauflösungsgesetz nicht eingegriffen. Das Gesetz regelt einen Teil der Gerichtsorganisation in Bayern neu, nimmt der rechtsprechenden Gewalt als solcher aber keine ihrer – weitgehend durch Bundesrecht vorgegebenen – Zuständigkeiten, die zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben unabdingbar sind. Vor allem beeinträchtigt sie nicht die Unabhängigkeit des einzelnen Richters bei der Entscheidung über die konkrete Angelegenheit. Die Rechtsprechungsaufgaben, die bisher dem Bayerischen Obersten Landesgericht oblagen, werden vielmehr auch weiterhin von sachlich und persönlich unabhängigen Richtern (Art. 85, 87 BV) im Rahmen ihrer durch die Gesetze bestimmten Zuständigkeiten wahrgenommen.

 

Es ist nicht erkennbar, dass sich durch das Gerichtsauflösungsgesetz das Gleichgewicht der Gewalten verschoben hätte, oder dass eine einzige Gewalt allein oder zwei Gewalten im Zusammenwirken ein Übergewicht über die dritte, die rechtsprechende Gewalt, erhalten hätten. Im herkömmlichen System der Gewaltenteilung kommt es dem Gesetzgeber zu, Regelungen über die Gerichtsorganisation zu treffen. Ebenso entspricht es dem von der Bayerischen Verfassung vorgezeichneten System der Gewaltenteilung, dass der Ministerpräsident in Ausübung seiner Richtlinienkompetenz (Art. 47 Abs. 2 BV) politische Vorstellungen zu einem Teil seiner Politik erklärt, die Staatsregierung von ihrem Recht zur Gesetzesinitiative (Art. 71 BV) Gebrauch macht und das Parlament das Gesetz in dem von der Verfassung vorgesehen Verfahren beschließt (Art. 72 Abs. 1 BV). Dass im Zuge der neuzeitlichen Verfassungsentwicklung die Trennungslinien zwischen den Gewalten weniger zwischen Legislative und Exekutive verlaufen, sondern sich zur Trennung zwischen Parlamentsmehrheit und Parlamentsminderheit verschoben haben, die Gewaltenteilung zwischen Exekutive (Staatsregierung) und Parlamentsmehrheit mithin weniger ausgeprägt ist (vgl. Herzog, a. a. O., RdNrn. 28 ff. zu Art. 20, V. Abschnitt), führt – da dies in der Verfassung selbst durch die Statuierung des stark von den politischen Parteien bestimmten parlamentarischen Regierungssystems angelegt ist – nicht zu einem verfassungswidrigen Übergewicht der Exekutive/Legislative. Ebenso wenig kann von einem unzulässigen Übergewicht der Judikative gesprochen werden, weil diese in Gestalt der Verfassungsgerichtsbarkeit die Akte aller Staatsgewalten aufzuheben vermag. Es kann deshalb nicht argumentiert werden, das Gerichtsauflösungsgesetz verstoße gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz, weil hier zwei Staatsgewalten (Exekutive und Legislative) zusammengewirkt hätten, um die dritte Gewalt einzuschränken. Ein Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz käme nur dann in Betracht, wenn an den Kernbereich der Rechte einer Staatsgewalt – wie etwa bei der dritten Gewalt die Unabhängigkeit der Richter – gerührt oder maßgebliche, Identität verleihende Zuständigkeiten und Aufgaben ausgehöhlt würden. Es kann hier jedoch nicht festgestellt werden, dass „die dritte Gewalt“ insgesamt durch eine Organisationsregelung, wie sie das Gerichtsauflösungsgesetz trifft und wie sie in den übrigen Ländern besteht, in ihrem Kernbereich tangiert wird oder dass ihre maßgeblichen Kompetenzen ausgehöhlt werden.

 

Aus der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs von Nordrhein-West­falen vom 9. Februar 1999 (NJW 1999, 1243 ff.) zur Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer organisatorischen Zusammenlegung von Justiz- und Innenministerium können insoweit keine zusätzlichen Gesichtspunkte abgeleitet werden, da diese Entscheidung tragend darauf beruhte, dass der betreffende, von der Exekutive erlassene Organisationsakt durch ein parlamentarisches Gesetz hätte ergehen müssen.

 

G. Die Antragsteller machen geltend, die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht verstoße gegen ein Grundrecht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz nach Art. 101 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts enthält Art. 19 Abs. 4 GG ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfG vom 30.4.1997 = BVerfGE 96, 27/39 f.; BVerfG vom 5.12.2001 = NJW 2002, 2456); in zivilrechtlichen Streitigkeiten ist über die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie die Effektivität des Rechtsschutzes ebenfalls gewährleistet (vgl. BVerfG vom 2.3.1993 = BVerfGE 88, 118/123 ff.). Die Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie durch die Prozessordnungen gesichert; sie treffen Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte auch tatsächlich durchsetzen kann und die Folgen privatrechtlicher Verpflichtungen oder staatlicher Eingriffe im Regelfall nicht ohne fachgerichtliche Prüfung zu tragen hat (vgl. BVerfG vom 14.5.1996 = BVerfGE 94,166/213). Dabei ist ein Instanzenzug nicht gefordert (BVerfG vom 30.4.1997 = BVerfGE 96, 27/39).

 

Die Effektivität des Rechtsschutzes in diesem Sinn wird durch das Gerichtsauflösungsgesetz nicht berührt. Es geht hier nicht darum, ob durch eine ordnungsgemäße und verfassungskonforme Handhabung einer Prozessordnung in einem einzelnen Verfahren und einem konkreten Fall die Effektivität des Rechtsschutzes gewährleistet worden ist. Die Rüge der Antragsteller, das Gerichtsauflösungsgesetz verstoße gegen das Recht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz, zielt vielmehr darauf ab, ob durch die angegriffene gesetzgeberische Maßnahme die rechtlichen Bedingungen, unter denen ein effektiver Rechtsschutz stattfinden kann, allgemein in verfassungsmäßiger Weise bestimmt worden sind. Diese Frage ist bereits bei der Erörterung, ob das Gerichtsauflösungsgesetz gegen die im Rechtsstaatsprinzip angelegte Justizgewährungspflicht verstößt, beantwortet worden; hierauf wird Bezug genommen.

 

Ergänzend ist auszuführen, dass dem einzelnen Bürger durch das Gerichtsauflösungsgesetz der bestehende Rechtsschutz nicht genommen worden ist, sondern nur vom Bayerischen Obersten Landesgericht auf die Oberlandesgerichte Bamberg, München und Nürnberg verlagert wurde. Auch wenn man dabei unterstellt, dass es dadurch zu Qualitätseinbußen kommen kann oder dass Angelegenheiten nicht mehr so zügig erledigt werden können wie bisher, ändert dies nichts daran, dass auch weiterhin für den Bürger wirkungsvoller gerichtlicher Rechtsschutz in dem Umfang besteht, wie ihn der Staat von Verfassungs wegen zur Verfügung zu stellen hat. Ein individueller Grundrechtsanspruch darauf, dass ein Gericht in einer bestimmten, herausgehobenen Organisationshöhe besteht, ist aus dem von den Antragstellern geltend gemachten Recht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz nicht herzuleiten.

 

H. Das Gerichtsauflösungsgesetz verletzt nicht das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV).

 

Nach Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV muss der für den Einzelfall zuständige Richter durch Rechtsvorschriften und darauf beruhende Geschäftsverteilungspläne von vornherein so eindeutig wie möglich bestimmt und feststellbar sein (vgl. VerfGH vom 13.1.1975 = VerfGH 28, 1/7; VerfGH vom 2.8.1990 = VerfGH 43, 107/131).

 

Vom Gesetzgeber fordert diese Verfassungsbestimmung den Erlass allgemeiner Normen, aus denen sich (mit Ergänzungen durch Geschäftsverteilungspläne) der gesetzliche Richter im Einzelfall möglichst deutlich ergibt (vgl. Meder, RdNr. 5 zu Art. 86).

 

Diesen Anforderungen wird durch das Gerichtsauflösungsgesetz Rechnung getragen. Das Gesetz trifft die durch die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts notwendig werdenden Zuständigkeitsregelungen; es betraut in vorherbestimmter und -be­stimmbarer Weise die Richter der Oberlandesgerichte Bamberg, München und Nürnberg mit den Aufgaben, für die bisher die Richter des Bayerischen Obersten Landesgerichts zuständig waren. Anhand dieser gesetzlichen Regelungen zusammen mit den jeweiligen Geschäftsverteilungsplänen ist der gesetzliche Richter zu bestimmen.

 

Die Antragsteller tragen vor, den gesetzlichen Richter im Sinn des Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV könne es nur an Gerichten geben, die hinsichtlich ihrer Errichtung den in der Popularklage sowie im Meinungsverschiedenheitenverfahren aufgestellten Anforderungen an das zugrunde liegende Organisationsgesetz genügten; derartige Gerichte bestünden also nur dann, wenn sie aufgrund ordnungsgemäßer Abwägung und sachgerechter, willkürfreier Erwägungen errichtet worden seien, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Gemeinwohlauftrag entsprächen und wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutz vermitteln könnten. Auch wenn man in diese Argumentation die Auflösung eines Gerichts einbezieht und nicht etwa nur auf die – den genannten Anforderungen zweifelsfrei genügende – Errichtung und Tätigkeit der Oberlandesgerichte Bamberg, München und Nürnberg abstellt, kann dieses Vorbringen einen Verstoß gegen Art. 86 Abs. 1 Satz 2 BV schon deshalb nicht begründen, weil die Auflösung des Bayerischen Obersten Landesgerichts und der Staatsanwaltschaft bei diesem Gericht unter keinem der von den Antragstellern vorgebrachten Gesichtspunkten verfassungsrechtlich unzulässig ist.

 

 

V.

 

Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).