Sommerakademie der Grünen Bildungswerkstatt

 

Teilnahmebericht

 

 

 

Von 2. bis 5. September 2004 fand die Sommerakademie der Grünen Bildungswerkstatt zum Thema „Projekt Österreich – In welcher Verfassung ist die Republik“ in Altmünster statt. Seitens des Büros des Österreich-Konvents nahmen an den beiden ersten Tagen Mag. Birgit Caesar und Dr. Gerald Grabensteiner teil. Die Referate lassen sich wie folgt zusammenfassen:

 

Geschichte und Besonderheit der österreichischen Verfassung im Vergleich mit Europa

 

ao.Univ.Prof. Dr. Birgit Sauer, Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien

 

In der Einleitung zu ihrem Referat verglich ao.Univ.Prof. Dr. Sauer die österreichische Reformdebatte mit ähnlichen Bestrebungen in ganz Europa. Verfassungsreformen haben immer auch mit sozialem Wandel zu tun. Schlagworte wie Zersplitterung, mangelnde Verständlichkeit und der Ausbau von demokratiepolitischen Standards seien weitere Triebfedern für die Einberufung des Österreich-Konvents gewesen.

 

Im zweiten Teil ihres Referats ging ao.Univ.Prof. Dr. Sauer auf die Verfassung als Schnittstelle zwischen Politik und Recht ein. Verfassung sei weit mehr als die reine, geschriebene Verfassungsurkunde. Sie definierte als Kriterien für die „Verfasstheit“ eines Landes: Die politischen Usancen eines Landes, der Einfluss der Wirtschaft, sowie die reale Machtverteilung abseits der festgeschriebenen Balance zwischen den Institutionen. Verfassungen seien ein Ausdruck von herrschenden Machtverhältnissen in politischen Gemeinwesen.

 

Der dritte Teil ihrer Ausführungen befasste sich mit den Kennzeichen moderner, liberaler Verfassungen. Öffentlichkeit, Rechtssicherheit, Gewaltenteilung, Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger an Politik und die Garantie von Bürgerinnen- und Bürgerrechten seien zentrale Kategorien, an denen sich jede Verfassung messen muss.

 

Abschließend ging die Referentin auch auf den Reformbedarf unserer Verfassung ein: Hier konstatierte sie systemimmanente Unzulänglichkeiten: Die Verfassungen würden wenig für die Bürgerinnen und Bürger tun, insbesondere für ihre ökonomische Situation. Vom Konventsprozess zeigte sich die Referentin enttäuscht. Sie kritisierte die Zusammensetzung des Konvents und ortete einen Mangel an öffentlicher Diskussion, der sich um mehr bewegen müsse, als um die Frage, ob am Ende der Verfassungsreform eine Volksabstimmung nötig sei.

 

Beurteilung des Konventsprozesses aus grüner Sicht

 

Dr. Eva Glawischnig, Abgeordnete zum Nationalrat, Präsidiumsmitglied des Österreich-Konvents

 

Frau Dr. Glawischnig stellte fest, dass der Konvent mit 13 Frauen von insgesamt 71 Mit­gliedern ein männerlastiges Gremium sei, darüber hinaus sei er länder- und regierungslastig. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass der Konvent nicht durch Wahlen legitimiert sei.

 

Positiv wertete sie, dass der Konvent – im Vergleich zu früheren Verfassungsreformen, die in der entscheidenden Phase ausschließlich hinter verschlossenen (sozialpartnerschaftlichen) Türen stattgefunden hätten – im Prinzip öffentlich sei.

 

Das „neoliberale“ Konzept eines schlanken Staates (Stichwort: 3,5 Milliarden Euro Ein­sparungsvolumen) sei für sie als Grüne undenkbar; auch sei eine „schlanke Verfassung“ unmöglich.

 

Als Leitlinien für die grünen Positionen im Konvent sah sie neben den Grundwerten vor allem die Frage der Transparenz und den Ausbau von direktdemokratischen Elementen.

 

Ein weiteres Anliegen der Grünen sei ein Grundrechtskatalog inklusive sozialer Grundrechte, eine auch einklagbare, echte Gleichstellung, Rechte für Migranten und Migrantinnen, sowie gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. Beim Föderalismus müsse es ebenfalls Änderungen geben.

 

Abschließend äußerte sich Frau Dr. Glawischnig skeptisch, ob ausgerechnet jetzt der richtige Zeitpunkt für eine umfassende Verfassungsreform sei: Diese habe es meist nur dann gegeben, wenn massive Brüche im politischen Leben erfolgt seien.

 

Staatsziele und Grundrechte – Wofür soll der Staat zuständig sein und was soll er seinen Bürgern und Bürgerinnen garantieren?

 

Univ.Prof. Dr. Bernd-Christian Funk, Universität Wien, Mitglied des Österreich-Konvents

Univ.Prof. DDr. Christoph Grabenwarter, Universität Graz, Mitglied des Österreich-Konvents

 

Univ.Prof. Dr. Funk konstatierte eingangs zwei Bündel von Krisen, in der sich viele moderne Staaten derzeit befänden: Eine Krise des Obrigkeitsstaates und seiner angeschlossenen Gesellschaft und dadurch hervorgerufen eine Identitätskrise des Staates und seiner Verfassung. Diese zweite Krise werde durch Internationalisierung, Globalisierung und Supranationalisierung noch verschärft. Auch die verschwimmenden Grenzen des bis dato geklärten Verhältnisses von Staat zur nichtstaatlichen Sphäre führten dazu, dass manche der bisherigen Verfassungsmechanismen ihre Bedeutung verlieren.

 

Obwohl vordergründig meist diskutiert werde, welche Form der Verankerung grundrecht­licher Inhalte die bessere sei (Grundrechte oder Staatsziele), sei laut Univ.Prof. Dr. Funk trotzdem noch etwas anderes entscheidender: Die Frage, wofür der Staat überhaupt zuständig ist bzw. sein soll.

 

Auch die Möglichkeit einer Regelung über den Gleichheitsgrundsatz bestehe, die unter Umständen sogar eine stärkere Wirkung haben könne. Auch wenn es eine Entwicklung gebe, die Staatsziele zunehmend operabel erscheinen lässt, sei ihre Interpretation immer umstritten. Univ.Prof. Dr. Funk ortete vielmehr eine Tendenz in Richtung Leistungsziele, und machte dies am Beispiel der Weiterentwicklung der Versammlungsfreiheit konkret.

 

In Bezug auf die generelle weitere Entwicklung des Konvents sah Univ.Prof. Dr. Funk zwei mögliche Szenarien: Entweder es komme zu einer reinen Spielregelverfassung, die aber eigentlich für Österreich untypisch sei (die „Kelsen“-Verfassung sei nur deswegen so schlank, weil vieles nicht geregelt wurde). Eine zweite Möglichkeit könnte darin bestehen, dass die Politik zum determinierten Verfassungsvollzug wird. Univ.Prof. Dr. Funk ging davon aus, dass es wohl eine Mittellösung geben werde.

 

Univ.Prof. DDr. Christoph Grabenwarter plädierte für die Beibehaltung von Staatszielen, da es immer einen Restbereich gebe, wo subjektive Rechte nicht hinreichen. Inhaltlich sprach er sich für folgende Mindestanforderungen im Grundrechtsbereich aus: Eine „Aktualisierung“ der klassischen Grund- und Freiheitsrechte, Fundamentalgarantien wie etwa das Recht auf menschenwürdiges Dasein, Recht auf Asyl und auf Leben – letzteres im Sinne einer Beibe­haltung der Fristenregelung und eines Verbots der Sterbehilfe, aber mit dem Recht auf ein Sterben in Würde.

Einig waren sich die beiden Vortragenden, dass auch soziale Grundrechte in der neuen Verfassung verankert werden sollen, vor allem angesichts der aktuellen europäischen Verfassungsentwicklungen.

 

Bei den Gleichbehandlungsgeboten bzw. Diskriminierungsverboten wurden die Absicherung der Rechtsstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften, die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Rechte der Volksgruppen angesprochen.

 

Bezüglich der Meinungsfreiheit vertrat Univ.Prof. Dr. Funk die Position, dass fehlende Medienvielfalt heutzutage eine größere Bedrohung für die Pressefreiheit darstelle als Zensur.

 

Der österreichische Bundesstaat – das Subsidiaritätsprinzip, angewandt auf das Modell des österreichischen Föderalismus; welche politische Ebene soll über was entscheiden?

 

Ass.Prof. Dr. Verena Madner, Wirtschaftsuniversität Wien

Univ.Prof. Dr. Ewald Wiederin, Universität Salzburg, Mitglied des Österreich-Konvents

 

Nach einem pessimistischen Einstieg von Univ.Prof. Dr. Wiederin („Was können wir uns vom Subsidiaritätsprinzip erwarten? Wenig! Was können wir uns vom Ausschuss 5 erwarten? Wenig!“) legten die beiden Referenten ihren persönlichen Zugang zum Thema Föderalismus dar:

 

Ass.Prof. Dr. Madner meinte, das die allgemeine Forderung von abgerundeten Kompetenz­feldern breite Zustimmung fände – die Tücke liege im Detail, wie etwa bei der Implemen­tierung von EU-Richtlinien. Sie plädierte für eine Änderung hinsichtlich der Umsetzungs­verantwortung. Derzeit sei es nämlich so, dass bei einer nicht fristgerechten Umsetzung durch die Länder die Kompetenz erst dann auf den Bund übergeht, wenn ein entsprechendes EuGH-Urteil vorliegt. Ass.Prof. Dr. Madner sprach sich dafür aus, dass die Umsetzungsverantwor­tung überhaupt beim Bund liegen solle, bzw. dass dieser zumindest Grundsätze der Imple­mentierung für die Länder vorgeben solle.

 

Was die Arbeit im Ausschuss 5 betrifft, erläuterte Univ.Prof. Dr. Wiederin die ihm realistisch erscheinenden Optionen: Von einer reinen Kompetenzbereinigung über einen Konkurrenz­föderalismus, einem klares Bekenntnis zur Zentralisierung bis hin zu einer Verschränkung der Ebenen sei alles möglich. Er persönlich rechne am ehesten mit einem Mehrebenensystem.

 

15. September 2004

 

Mag. Birgit Caesar e.h.

Dr. Gerald Grabensteiner e.h.