Entwurf

 

 

eines

 

 

Grundrechtskataloges für eine neue österreichische Bundesverfassung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

von

 

 

Univ.Prof. DDr. Christoph Grabenwarter

 

 

 

 

 

 

 

Wien, am 16. Februar 2004 
A. Text des Grundrechtskataloges

 

Artikel 1 (Menschenwürde)

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller Staatsgewalten.

 

 

Artikel 2 (Recht auf Leben)

(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Tötung auf Verlangen ist gesetzlich zu verbieten.

 

(2) Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.

 

(3) Eine Tötung bildet keine Verletzung des Rechts auf Leben, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um

a)      jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen;

b)      jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;

c)      einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.

 

 

Artikel 3 (Folterverbot; Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung)

Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

 

Artikel 4 (Recht auf körperliche Unversehrtheit)

(1) Jede Person hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit.

 

(2) Dieses Recht darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

 

 

Artikel 5 (Schutz der persönlichen Freiheit)

(1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einer Person nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

1.      wenn auf Grund einer mit Strafe bedrohten Handlung auf Freiheitsentzug erkannt worden ist;

2.      wenn sie einer bestimmten, mit gerichtlicher oder finanzbehördlicher Strafe bedrohten Handlung verdächtig ist,

a)      zum Zwecke der Beendigung des Angriffes oder zur sofortigen Feststellung des Sachverhalts, sofern der Verdacht im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat oder dadurch entsteht, dass sie einen bestimmten Gegenstand innehat,

b)      um sie daran zu hindern, sich dem Verfahren zu entziehen oder Beweismittel zu beeinträchtigen, oder

c)      um sie bei einer mit beträchtlicher Strafe bedrohten Handlung an der Begehung einer gleichartigen Handlung oder an der Ausführung zu hindern;

3.      zum Zweck ihrer Vorführung vor die zuständige Behörde wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung, bei der sie auf frischer Tat betreten wird, sofern die Festnahme zur Sicherung der Strafverfolgung oder zur Verhinderung weiteren gleichartigen strafbaren Handelns erforderlich ist;

4.      um die Befolgung einer rechtmäßigen Gerichtsentscheidung oder die Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung zu erzwingen;

5.      wenn Grund zur Annahme besteht, dass sie eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten sei oder wegen psychischer Erkrankung sich oder andere gefährde;

6.      zum Zweck notwendiger Erziehungsmaßnahmen bei einer minderjährigen Person;

7.      wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

 

(2) Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist. Die persönliche Freiheit darf nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht. Jede festgenommene Person muss in möglichst kurzer Frist und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe ihrer Festnahme und über die gegen sie erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden. Sie ist unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person zu behandeln und darf nur solchen Beschränkungen unterworfen werden, die dem Zweck der Anhaltung angemessen oder zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung am Ort ihrer Anhaltung notwendig sind.

 

(3) Eine Festnahme aus den Gründen des Absatz 1 Z 2 lit. b und c ist nur in Vollziehung eines begründeten richterlichen Befehls, im Fall des Verdachtes einer mit finanzstrafbehördlicher Strafe bedrohten Handlung nur in Vollziehung einer begründeten Anordnung eines gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten zulässig. Bei Gefahr im Verzug sowie im Fall des Absatz 1 Z 2 lit. a darf eine Person auch ohne richterlichen Befehl oder entsprechende Anordnung festgenommen werden. Sie ist freizulassen, sobald sich ergibt, dass kein Grund zu ihrer weiteren Anhaltung vorhanden ist, sonst ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber vor Ablauf von 48 Stunden, dem zuständigen Gericht oder der zuständigen Finanzbehörde zu übergeben. Eine dem Gericht oder der Finanzbehörde übergebene Person ist ohne Verzug vom Richter oder dem gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten zur Sache und zu den Voraussetzungen der Anhaltung zu vernehmen. Eine aus dem Grund des Absatz 1 Z 3 festgenommene Person ist, wenn der Grund für die Festnahme nicht schon vorher wegfällt, unverzüglich der zuständigen Behörde zu übergeben und darf keineswegs länger als 24 Stunden angehalten werden. Jede festgenommene Person ist ehestens, womöglich bei ihrer Festnahme, in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe ihrer Festnahme und die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu unterrichten. Sie hat das Recht, dass auf ihr Verlangen ohne unnötigen Aufschub und nach ihrer Wahl ein Angehöriger und ein Rechtsbeistand von der Festnahme verständigt werden. Jede festgenommene Person hat Anspruch auf Beendigung des Verfahrens innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Freilassung während des Verfahrens. Die Freilassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden.

 

(4) Jede Person, die festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit ihre Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet. Im Fall einer Anhaltung von unbestimmter Dauer ist deren Notwendigkeit in angemessenen Abständen durch ein Gericht oder zu überprüfen.

 

(5) Jede Person, die rechtswidrig festgenommen oder angehalten wurde, hat Anspruch auf volle Genugtuung einschließlich des Ersatzes nicht vermögensrechtlichen Schadens.

 

 

Artikel 6 (Gleichheitssatz)

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

 

(2) Diskriminierungen sind insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung verboten.

 

(3) Frauen und Männer sind in allen Bereichen gleichberechtigt. Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten sind zulässig.

 

(4) Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Die Republik bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. Sie anerkennt und achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft.

 

(5) Die Republik anerkennt und achtet das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben.

 

 

Artikel 7 (Rechte der Volksgruppen)

Die Republik bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern. Die Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten nach Artikel 7 des Staatsvertrags betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, BGBl. Nr. 1955/152 , bleiben unberührt.

 

 

Artikel 8 (Recht auf Privatleben, Wohnung, Kommunikation, Datenschutz)

(1) Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Kommunikation.

 

(2) Diese Rechte dürfen nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

 

(3) Jede Person hat insbesondere das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlichen Grundlage verwendet werden. Jede Person hat, soweit sie betreffende personenbezogene Daten zur automationsunterstützten Verarbeitung oder zur Verarbeitung in manuell geführten Dateien bestimmt sind, nach Maßgabe gesetzlicher Bestimmungen das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Richtigstellung unrichtiger Daten sowie die Löschung unzulässiger Weise verarbeiteter Daten zu erwirken. Das Grundrecht auf Datenschutz mit Ausnahme des Rechtes auf Auskunft ist gegen Rechtsträger, die in Formen des Privatrechts eingerichtet sind, soweit sie nicht in Vollziehung der Gesetze tätig werden, auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen. In allen übrigen Fällen ist eine unabhängige Stelle zur Überwachung zuständig, soweit nicht Akte der Gesetzgebung oder der Gerichtsbarkeit betroffen sind.

 

(4) Die Durchsuchung einer Wohnung darf nur auf Grund einer mit Gründen versehenen richterlichen Verfügung vorgenommen werden. Ausnahmsweise kann eine Durchsuchung bei Gefahr im Verzug durch die zuständige Verwaltungsbehörde angeordnet und erforderlichenfalls auch durch Organe der Behörden auf eigenen Entschluss vorgenommen werden.

 

(5) Beschränkungen des Rechts auf Achtung der Kommunikation dürfen nur auf Grund einer richterlichen Verfügung, ausnahmsweise zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leben, Freiheit oder Gesundheit von Menschen auf Grund behördlicher Anweisung und erforderlichenfalls auch durch Organe der Behörden auf eigenen Entschluss vorgenommen werden. Ohne richterliche Verfügung ist die Beschlagnahme von Informationsträgern in den Fällen einer gesetzlichen Verhaftung oder Durchsuchung zulässig sowie zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leben, Freiheit oder Gesundheit von Menschen.

 

 

Artikel 9 (Religionsfreiheit)

(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder Weltanschauung sowie die Freiheit, ihre Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche zu bekennen und auszuüben.

 

(2) Die Gewissens- und Religionsfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.

 

(3) Wehrpflichtige können erklären, Zivildienst leisten zu wollen, weil sie die Wehrpflicht aus Gewissensgründen nicht erfüllen können.

 

(4) Die gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften genießen die Stellung einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Sie haben das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung, ordnen und verwalten ihre inneren Angelegenheiten selbständig, bleiben im Besitz und Genuss ihrer für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds, sind aber den allgemeinen Gesetzen unterworfen. Sie haben ferner das Recht, zur Deckung ihres Personal- und Sachaufwandes von ihren Angehörigen Beiträge einzuheben und über diese im Rahmen der Ordnung und Verwaltung der inneren Angelegenheiten frei zu verfügen.

 

 

Artikel 10 (Kommunikationsfreiheiten)

(1) Jede Person hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung, die Freiheit der Medien und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ein. Die Pluralität der Medien wird geachtet und geschützt. Zensur findet nicht statt.

 

(2) Da die Ausübung der Freiheiten nach Absatz 1 Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Pluralität der Medien, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer, oder um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten, notwendig sind.

 

(3) Rundfunk ist eine öffentliche Aufgabe. Die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Veranstaltung von Rundfunk betraut sind, sind gesetzlich zu gewährleisten.

 

 

Artikel 11 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit; Parteienfreiheit; Koalitions-freiheit)

(1) Jede Person hat das Recht, sich friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen.

 

(2) Die politischen Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf gerichtet sind, den demokratischen Rechtsstaat oder die Menschenrechte zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind verfassungswidrig.

 

(3) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben das Recht, zum Schutze ihrer Interessen Vereinigungen zu bilden und diesen beizutreten.

 

(4) Nach Maßgabe der Gesetze kommt Vereinigungen nach Absatz 3 und gesetzlichen beruflichen Interessensvertretungen die Kollektivvertragsfähigkeit zu.

 

(5) Die Ausübung der Rechte nach Absatz 1 bis 3 darf keinen anderen Beschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

 

 

Artikel 12 (Schutz von Ehe und Familie; Rechte der Eltern und Kinder)

(1) Mit Erreichung des heiratsfähigen Alters haben Frau und Mann das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.

 

(2) Ehe und Familie genießen den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz des Staates.

 

(3) Die Erziehung der Kinder ist das Recht und die Pflicht der Eltern. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.

 

(4) Ehegatten haben untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe. Die Pflicht des Staates, die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen, wird dadurch nicht beschränkt.

 

(5) Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes vorrangig berücksichtigt werden. Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.

 

 

Artikel 13 (Wissenschaftsfreiheit; Kunstfreiheit; Recht auf Bildung; Schulwesen)

(1)   Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Die Universitäten sind im Rahmen der Gesetze zur autonomen Besorgung ihrer Angelegenheiten befugt.

 

(2)   Künstlerisches Schaffen, die Vermittlung der Kunst sowie deren Lehre sind frei.

 

(3) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung sowie auf Zugang zu beruflicher Bildung. Der Zugang zu allen öffentlichen Bildungsangeboten ist ohne Diskriminierung zu gewährleisten.

 

(4) Alle österreichischen Staatsangehörigen, die ihre Befähigung hiezu in gesetzlicher Weise nachgewiesen haben, haben das Recht, unter Achtung der demokratischen Grundsätze Bildungseinrichtungen zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen. Das Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

 

(5) Für den Religionsunterricht in den Schulen ist von der betreffenden gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft Sorge zu tragen.

 

(6) Österreichische Staatsangehörige der slowenischen und kroatischen Minderheiten in Burgenland, Kärnten und Steiermark haben Anspruch auf Elementarunterricht in slowenischer oder kroatischer Sprache und auf eine verhältnismäßige Anzahl eigener Mittelschulen. In gesetzlich festzulegenden Gebieten und Schulen im Burgenland ist österreichischen Staatsangehörigen der kroatischen und ungarischen Volksgruppe das Recht zu gewähren, die kroatische oder ungarische Sprache als Unterrichtssprache zu gebrauchen oder als Pflichtgegenstand zu erlernen. In gesetzlich festzulegenden Gebieten und Schulen in Kärnten ist österreichischen Staatsangehörigen der slowenischen Volksgruppe das gleiche Recht mit Bezug zur slowenischen Sprache zu gewähren. Schülerinnen und Schüler dürfen nicht gegen den Willen ihrer gesetzlichen Vertreter verhalten werden, die kroatische, die slowenische oder die ungarische Sprache als Unterrichtssprache zu gebrauchen oder als Pflichtgegenstand zu erlernen.

 

 

Artikel 14 (Eigentumsfreiheit)

(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums.

 

(2) Eigentum darf nur aus Gründen des öffentlichen Interesses, unter den durch Gesetz vorgesehenen Bedingungen und gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung entzogen werden.

 

(3) Gesetzliche Regelungen der Benutzung des Eigentums einschließlich der Verfügung über Liegenschaften sind zulässig, soweit sie für das allgemeine Wohl erforderlich sind.

 

 

Artikel 15 (Berufs- und Erwerbsfreiheit; Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit)

(1) Jede Person hat das Recht, unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig auszuüben, ihren Beruf frei zu wählen sowie sich für diesen auszubilden.

 

(2) Die öffentlichen Ämter sind für alle Staatsangehörigen gleich zugänglich. Im Übrigen wird der Eintritt in dieselben vom Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft abhängig gemacht.

 

(3) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden. Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. Als Zwangs- oder Pflichtarbeit gilt nicht:

a)      jede Arbeit die normalerweise von einer Person verlangt wird, die unter den von Artikel 5 vorgesehenen Bedingungen in Haft gehalten oder bedingt freigelassen worden ist;

b)      Wehr- oder Ersatzdienst;

c)      jede Dienstleistung im Falle von Notständen und Katastrophen, die das Leben oder das Wohl der Gemeinschaft bedrohen;

d)      jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürgerpflichten gehört.

 

(4)  Menschenhandel ist verboten.

 

 

Artikel 16 (Freizügigkeit)

(1) Jede Person, die sich rechtmäßig in Österreich aufhält, hat das Recht, sich im Bundesgebiet frei zu bewegen und an jedem Ort ihren Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen.

 

(2) Jeder Person steht es frei, Österreich zu verlassen.

 

(3) Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als denen, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der Verhütung von Straftaten, des Schutzes der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

 

(4) Die in Absatz 1 anerkannten Rechte können ferner für den Bereich bestimmter Gebiete Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt sind.

 

 


Artikel 17 (Einreisefreiheit; Aufenthaltsgarantien)

(1) Österreichischen Staatsangehörigen darf das Recht, nach Österreich einzureisen, nicht entzogen werden.

 

(2) Österreichische Staatsangehörige dürfen weder ausgewiesen noch ausgeliefert werden. Dieses Verbot steht einer gesetzlich vorgesehenen Zurückstellung oder Auslieferung einer Person an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof nicht entgegen, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

 

(3) Im Übrigen dürfen Personen, die ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich haben, nur auf Grund einer rechtmäßig ergangenen Entscheidung ausgewiesen werden; ihnen muss gestattet werden,

a)      Gründe vorzubringen, die gegen ihre Ausweisung sprechen,

b)      ihren Fall prüfen zu lassen und

c)      sich zu diesem Zweck vor der zuständigen Behörde oder vor einer oder mehreren von dieser Behörde bestimmten Personen vertreten zu lassen.

Vor Ausübung der in lit. a, b und c genannten Rechte dürfen Personen nur ausgewiesen werden, wenn eine solche Ausweisung im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erfolgt.

 

(4) Kollektivausweisungen sind nicht zulässig. Keine Person darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.

 

 

Artikel 18 (Asylrecht)

Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Jänner 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge gewährleistet.

 

 

Artikel 19 (Recht auf ein faires Verfahren)

(1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und in angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen, oder – soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält – wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.

 

(2) In Justizstrafverfahren gilt der Anklageprozess. Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.

 

(3) Jede angeklagte Person hat insbesondere die folgenden Rechte:

a)      innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;

b)      ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zur Verfügung zu haben;

c)      sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;

d)      Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;

e)      unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetschers zu verlangen, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder nicht spricht.

 

(4) Keine Person darf ihrem gesetzlichen Richter entzogen werden.

 

 

Artikel 20 (Garantien im Strafverfahren)

(1) Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.

 

(2) Durch Absatz 1 darf die Verurteilung oder Bestrafung einer Person nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war.

 

(3) Das verhängte Strafmaß darf gegenüber der Straftat nicht unverhältnismäßig sein.

 

(4) Wer von einem Gericht wegen einer strafbaren Handlung verurteilt worden ist, hat das Recht, das Urteil von einem übergeordneten Gericht nachprüfen zu lassen. Die Ausübung dieses Rechts, einschließlich der Gründe, aus denen es ausgeübt werden kann, richtet sich nach dem Gesetz. Ausnahmen von diesem Recht sind für strafbare Handlungen geringfügiger Art, wie sie durch Gesetz näher bestimmt sind, oder in Fällen möglich, in denen das Verfahren gegen eine Person in erster Instanz vor dem obersten Gericht stattgefunden hat oder in denen sie nach einem gegen ihren Freispruch eingelegten Rechtsmittel verurteilt worden ist.

 

(5) Ist jemand wegen einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt und ist das Urteil später aufgehoben oder der Verurteilte begnadigt worden, weil eine neue oder eine neu bekannt gewordene Tatsache schlüssig beweist, dass ein Fehlurteil vorlag, so ist derjenige, der auf Grund eines solchen Urteils eine Strafe verbüßt hat, entsprechend dem Gesetz zu entschädigen, sofern nicht nachgewiesen wird, dass das nicht rechtzeitige Bekanntwerden der betreffenden Tatsache ganz oder teilweise ihm zuzuschreiben ist.

 

(6) Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der sie oder er in Österreich oder in der Europäischen Union bereits rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut vor ein österreichisches Gericht oder eine österreichische Verwaltungsbehörde gestellt oder bestraft werden. Dies schließt die Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem Gesetz nicht aus, falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das vorausgegangene Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel aufweist.

 

 

Artikel 21 (Wahlrecht)

Österreichische Staatsangehörige haben nach den verfassungsrechtlichen Bedingungen das Recht auf das aktive und passive Wahlrecht für die Wahl des Bundespräsidenten, die Wahlen zum Nationalrat, zum Landtag und zum Gemeinderat.

 

 

Artikel 22 (Allgemeine Bestimmungen)

(1) Die vorstehenden Grundrechte binden Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit.

 

(2) Nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Union gelten die österreichischen Staatsangehörigen vorbehaltenen Grundrechte auch für Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union.

 

(3) Die Grundrechte gelten auch für juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

 

(4) Wer durch den Staat in Grundrechten verletzt wird, hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf.

 

 

Artikel 23 (Gewährleistungspflichten im Arbeits- und Sozialrecht)

Durch Gesetz ist zu gewährleisten:

  1. ein Anspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter auf eine rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung;
  2. das Recht jeder Person auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst;
  3. ein Anspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung;
  4. das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen sowie auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub;
  5. ein Mindestalter für den Eintritt in das Arbeitsleben, wobei das Alter, in dem die Schulpflicht endet, nicht unterschritten werden darf; zur Arbeit zugelassene Jugendliche müssen ihrem Alter angepasste Arbeitsbedingungen erhalten und vor wirtschaftlicher Ausbeutung und vor jeder Arbeit geschützt werden, die ihre Sicherheit, ihre Gesundheit, ihre körperliche, geistige, sittliche oder soziale Entwicklung beeinträchtigen oder ihre Erziehung gefährden könnte;
  6. das Recht jeder Person auf Schutz vor Entlassung aus einem mit der Mutterschaft zusammenhängenden Grund; das Beschäftigungsverbot für Mütter vor und nach der Entbindung und das Recht auf Karenz für Mütter und Väter nach der Geburt oder Adoption eines Kindes;
  7. ein Anspruch für Personen, die in Österreich ihren rechtmäßigen Wohnsitz haben, auf soziale Vergünstigungen sowie auf Leistungen der Sozialversicherung und soziale Dienste, die in Fällen wie Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit oder im Alter sowie bei Verlust des Arbeitsplatzes Schutz gewährleisten, und
  8. das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen.

 

 


B. Erläuterungen zum

Entwurf eines Grundrechtskataloges

 

I.                  Allgemeines

 

1.      Dem Ausschuss 4 (Grundrechte) des Österreich-Konvents ist es laut Mandat des Präsidiums unter anderem aufgegeben, einen Katalog von Grundrechten zu erarbeiten. Die Grundrechte der österreichischen Bundesverfassung sind gegenwärtig in hohem Maße inhomogen. Sie entstammen unterschiedlichen zeitlichen Perioden, sind teils innerstaatlicher, teils internationaler Herkunft und dementsprechend auf das gesamte Verfassungsrecht verstreut. Neue Grundrechte der letzten Jahrzehnte sind das Ergebnis oft nur punktueller verfassungsgesetzlicher Akte. Darüber hinaus unterliegen die Grundrechte auf internationaler Ebene wie auch jene im innerstaatlichen Bereich einer Entwicklung. Neue naturwissenschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen fordern im Einzelfall auch Antworten des Verfassungsgesetzgebers.

2.      Der nachstehende Entwurf unternimmt es, die bestehenden Grundrechte in einen systematisch abgestimmten Katalog zusammenzuführen und sie dort, wo Änderungsbedarf gegeben ist, weiterzuentwickeln. Die Basis bildet dabei jener Katalog an Rechten, der seit bald fünfzig Jahren das Herzstück nicht nur der Grundrechte der österreichischen Bundesverfassung bildet, sondern auch den internationalen Menschenrechtsschutz auf regionaler, europäischer Ebene bestimmt: jener der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Daneben wird auf andere internationale Dokumente sowie im Besonderen auf die Grundrechte-Charta der Europäischen Union (GRCh) zurückgegriffen. Die Grundrechte-Charta bildet jedenfalls im Bereich der Fundamentalgarantien, der Freiheitsrechte und der Justizgarantien einen sinnfälligen Ausdruck des Grundrechtsstandards in Europa.

3.      Im Entwurf werden ohne inhaltliche Änderungen geschlechtsneutrale Bezeichnungen an die Stelle überkommener Formulierungen zur Bezeichnung der Grundrechtsberechtigten gesetzt.

4.      Bei jenen Rechte, die eine Entsprechung in der EMRK haben, berücksichtigt der Entwurf die reiche Rechtsprechung des EGMR. Zum Teil werden neben der Aufnahme geschlechtsneutraler Formulierungen geringfügige Anpassungen an heute geläufige Terminologien vorgenommen, die keine inhaltliche Änderungen bedeuten. Den völkerrechtlichen Verpflichtungen der EMRK wird weiterhin entsprochen.


II. Erläuterungen zu einzelnen Grundrechten

 

 

Artikel 1 (Menschenwürde)

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller Staatsgewalten.

 

 

Erläuterungen:

An die Spitze des Grundrechtskatalogs wird die Menschenwürdegarantie gestellt, die Ausgangspunkt und Grundlage der folgenden Einzelgarantien ist. Die Formulierung entspricht im Wesentlichen Art. 1 GRCh. Satz 2 enthält die ausdrückliche Bindung aller drei Staatsgewalten an die Menschenwürde (vgl. auch allgemein Artikel 22 Abs. 1 des Entwurfs).

 


Artikel 2 (Recht auf Leben)

(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Tötung auf Verlangen ist gesetzlich zu verbieten.

 

(2) Die Todesstrafe ist abgeschafft. Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.

 

(3) Eine Tötung bildet keine Verletzung des Rechts auf Leben, wenn sie durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist, um

a)      jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen;

b)      jemanden rechtmäßig festzunehmen oder jemanden, dem die Freiheit rechtmäßig entzogen ist, an der Flucht zu hindern;

c)      einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen.

 

 

Erläuterungen

  1. Absatz 1 Satz 1 enthält die Garantie des Rechts auf Leben. Die Formulierung entspricht Art. 2 EMRK. Absatz 1 Satz 2 enthält einen Auftrag an den Gesetzgeber, Tötung auf Verlangen gesetzlich zu verbieten. Damit soll ein Verbot „aktiver Sterbehilfe“ erreicht werden, das sich im grundrechtlichen Kontext als Erfüllung der Schutzpflicht zugunsten des Rechts auf Leben darstellt. Ein solches Verbot ist zwar nach Art. 2 EMRK nicht geboten, wohl aber mit diesem sowie mit Art. 3 und 8 EMRK vereinbar (vgl. EGMR, Urt. v. 29.4.2002, Pretty, RJD 2000-III, Z. 39 f., 55 f., 76 ff.). Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang auf den Entschließungsantrag des Gesundheitssausschusses des Nationalrates betreffend Beibehaltung der ablehnenden Haltung gegenüber der „aktiven Sterbehilfe“, Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung sowie Verwirklichung der Karenz zur Sterbebegleitung, der am 13. Dezember 2001 mit den Stimmen aller vier im Parlament vertretenen Parteien angenommen wurde (XXI. GP, 115/E). Die Empfehlung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates Rec. 1418 (1999) verweist in ihrem § 9 explizit darauf, dass das Verbot der Tötung Todkranker aufrecht erhalten werden muss und der Todeswunsch eines Todkranken für sich genommen keine Rechtfertigung der Durchführung von Handlungen bilden kann, die auf die Herbeiführung des Todes gerichtet sind.
  2. Absatz 2 enthält das Verbot der Todesstrafe. Das generelle Verbot der Todesstrafe entspricht Art. 85 B-VG und dem 13. ZPEMRK, das am 1.7.2003 in Kraft getreten ist. Zusätzlich wird die in Art. 2 Abs. 2 GRCh enthaltene Formulierung übernommen und damit das Verbot bekräftigt.
  3. Absatz 3 enthält einen Katalog zulässiger Eingriffe in das Recht auf Leben. Grundsätzlich sind staatliche Eingriffe in das Recht auf Leben nicht rechtfertigungsfähig. In den genannten Ausnahmen stellt eine Tötung durch Handlung des Staates jedoch keine Verletzung des Grundrechts dar. Die Ausnahmen sind aus Art. 2 Abs. 2 EMRK entnommen. Sprachliche Anpassungen gegenüber der bisherigen Übersetzung bewirken keine inhaltliche Änderung.

Artikel 3 (Folterverbot; Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung)

Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

 

Erläuterungen

Die Regelung ist wortgleich mit Art. 3 EMRK sowie Art. 4 GRCh.


Artikel 4 (Recht auf körperliche Unversehrtheit)

(1) Jede Person hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit.

 

(2) Dieses Recht darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

 

 

Erläuterungen:

  1. Das österreichische Verfassungsrecht enthält bislang kein ausdrückliches Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Gewährleistungen, die dem Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit zuzurechnen sind, ergeben sich nach jetzigem Stand aus dem Schutz des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK), für besonders schwere Eingriffe auch aus dem Recht auf Leben (Art. 2 EMRK) sowie aus dem Folterverbot (Art. 3 EMRK). Während das Recht auf Leben und das Folterverbot dem Staat massive Eingriffe in die körperliche oder psychische Integrität untersagen und ihm Schutzpflichten zur Verhinderung solcher Eingriffe durch Dritte auferlegen, schützt Art. 8 EMRK die körperliche und psychische Integrität auch vor weniger schweren Eingriffen. Angesichts der Gefährdung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit insbesondere durch die Entwicklung der Medizin, der Biomedizin und der Gentechnik erscheint es notwendig und angemessen, den Schutz dieses Rechtsguts in einem besonderen Grundrecht ausdrücklich zu verankern.
  2. Das Grundrecht auf körperliche und geistige Unversehrtheit ist Art. 3 GRCh nachgebildet und sprachlich an die Erfordernisse eines innerstaatlichen Grundrechts angepasst. Absatz 1 umschreibt den Schutzbereich entsprechend Art. 3 Abs. 1 GRCh. Schutzgut sind die körperliche und die geistige Unversehrtheit. Die ausdrückliche Nennung der geistigen neben der körperlichen Unversehrtheit dient dem Schutz vor staatlichen Maßnahmen, die zwar keinen Eingriff in den Körper selbst darstellen, jedoch psychische Beeinträchtigungen zur Folge haben, die einem Eingriff in die körperliche Integrität gleichzuhalten sind. Nicht erfasst sind Maßnahmen, die lediglich das Wohlbefinden des Betroffenen beeinträchtigen.
  3. Beschränkungen des Rechts auf geistige und körperliche Unversehrtheit sind zulässig, wenn sie den Bedingungen des Absatz 2 entsprechen. Dieser Gesetzesvorbehalt entspricht Art. 8 Abs. 2 EMRK (vgl. auch Artikel 8 Abs. 2 des Entwurfs).
  4. Die geistige und körperliche Unversehrtheit schließt Heilbehandlungen mit Zustimmung des Betroffenen nicht aus. Eingriffe in die Unversehrtheit gegen den Willen des Betroffenen (Blutproben, Impfpflichten udgl.) sind zulässig, soweit sie verhältnismäßig sind.
  5. Die in Art. 3 Abs. 2 GRCh verankerten Leitlinien für Medizin und Biologie werden nicht ausdrücklich in den Katalog der Grundrechte übernommen. Die einzelnen Gewährleistungen werden durch das Recht auf Leben (Artikel 2 des Entwurfs), das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 4 Abs. 1 des Entwurfs) und den in Art. 8 EMRK garantierten Schutz des Privat- und Familienlebens (Artikel 8 des Entwurfs) abgedeckt. Zusätzlich bietet die in Artikel 1 des Entwurfs verankerte Menschenwürde eine allgemeine Aussage zugunsten des Schutzes des Menschen in seiner Eigenart. Eine exaktere Regelung des Schutzes gegenüber Gefährdungen, die Fortschritte in Medizin und Biologie hervorrufen können, birgt die Gefahr in sich, diese permanent der Weiterentwicklung der Naturwissenschaften anpassen zu müssen und auf die stets aktuelle Problemstellung durch eine Verfassungsänderung oder -ergänzung reagieren zu müssen. Die detaillierte Regelung sollte daher dem einfachen Gesetzgeber überlassen bleiben. Im Übrigen ist für genauere Schutzregelungen auf das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin des Europarates (in Kraft seit 1.12.1999, von Österreich noch zu ratifizieren) zu verweisen.
  6. Zur Erfüllung der Schutzpflicht kann es dem Gesetzgeber auferlegt sein, ein Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung vorzusehen (Art. 35 GRCh). Ein subjektives Recht auf ein bestimmtes „Gesundheitsschutzniveau“ besteht – auch auf europäischer Ebene – nicht. Zwar wird die Europäische Union nunmehr in der GRCh darauf verpflichtet, bei der Festlegung und Durchführung aller ihrer Politiken und Maßnahmen ein hohes Gesundheitsschutzniveau sicherzustellen. Dieser Regelung liegt insbesondere Art. 152 EGV zugrunde. Aus der Praxis zu Art. 152 EGV und aus den Erörterungen im Konvent ist jedoch abzuleiten, dass mit Art. 35 GRCh ein einklagbares Recht des Einzelnen nicht gewährleistet werden sollte.
  7. Unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes ist davon auszugehen, dass das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit ein Abwehrrecht des Einzelnen gegenüber Eingriffen des Staates in seine Gesundheit und ein Recht gerichtet auf ein Unterlassen des Staates, diskriminierende Zugangsregeln zu den Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge und ärztlicher Versorgung zu erlassen, enthält. Ferner wird man daraus eine Schutzpflicht ableiten können, dass jedermann das Recht hat, vor Eingriffen Dritter, die seinen Zugang zu Gesundheitsvorsorge oder ärztlicher Versorgung behindern, durch Erlass von Geboten und Verboten geschützt zu werden. Diese Gewährleistungen sind nach der Rechtsprechung des EGMR in ihrem Kern bereits heute Bestandteil des Rechts auf körperliche Unversehrtheit und des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK (Artikel 8 des Entwurfs).

 


Artikel 5 (Schutz der persönlichen Freiheit)

(1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einer Person nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

1.      wenn auf Grund einer mit Strafe bedrohten Handlung auf Freiheitsentzug erkannt worden ist;

2.      wenn sie einer bestimmten, mit gerichtlicher oder finanzbehördlicher Strafe bedrohten Handlung verdächtig ist,

a)     zum Zwecke der Beendigung des Angriffes oder zur sofortigen Feststellung des Sachverhalts, sofern der Verdacht im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat oder dadurch entsteht, dass sie einen bestimmten Gegenstand innehat,

b)     um sie daran zu hindern, sich dem Verfahren zu entziehen oder Beweismittel zu beeinträchtigen, oder

c)     um sie bei einer mit beträchtlicher Strafe bedrohten Handlung an der Begehung einer gleichartigen Handlung oder an der Ausführung zu hindern;

3.      zum Zweck ihrer Vorführung vor die zuständige Behörde wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung, bei der sie auf frischer Tat betreten wird, sofern die Festnahme zur Sicherung der Strafverfolgung oder zur Verhinderung weiteren gleichartigen strafbaren Handelns erforderlich ist;

4.      um die Befolgung einer rechtmäßigen Gerichtsentscheidung oder die Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung zu erzwingen;

5.      wenn Grund zur Annahme besteht, dass sie eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten sei oder wegen psychischer Erkrankung sich oder andere gefährde;

6.      zum Zweck notwendiger Erziehungsmaßnahmen bei einer minderjährigen Person;

7.      wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

 

(2) Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist. Die persönliche Freiheit darf nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht. Jede festgenommene Person muss in möglichst kurzer Frist und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe ihrer Festnahme und über die gegen sie erhobenen Beschuldigungen unterrichtet werden. Sie ist unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person zu behandeln und darf nur solchen Beschränkungen unterworfen werden, die dem Zweck der Anhaltung angemessen oder zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung am Ort ihrer Anhaltung notwendig sind.

 

(3) Eine Festnahme aus den Gründen des Absatz 1 Z 2 lit. b und c ist nur in Vollziehung eines begründeten richterlichen Befehls, im Fall des Verdachtes einer mit finanzstrafbehördlicher Strafe bedrohten Handlung nur in Vollziehung einer begründeten Anordnung eines gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten zulässig. Bei Gefahr im Verzug sowie im Fall des Absatz 1 Z 2 lit. a darf eine Person auch ohne richterlichen Befehl oder entsprechende Anordnung festgenommen werden. Sie ist freizulassen, sobald sich ergibt, dass kein Grund zu ihrer weiteren Anhaltung vorhanden ist, sonst ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber vor Ablauf von 48 Stunden, dem zuständigen Gericht oder der zuständigen Finanzbehörde zu übergeben. Eine dem Gericht oder der Finanzbehörde übergebene Person ist ohne Verzug vom Richter oder dem gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Beamten zur Sache und zu den Voraussetzungen der Anhaltung zu vernehmen. Eine aus dem Grund des Absatz 1 Z 3 festgenommene Person ist, wenn der Grund für die Festnahme nicht schon vorher wegfällt, unverzüglich der zuständigen Behörde zu übergeben und darf keineswegs länger als 24 Stunden angehalten werden. Jede festgenommene Person ist ehestens, womöglich bei ihrer Festnahme, in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe ihrer Festnahme und die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu unterrichten. Sie hat das Recht, dass auf ihr Verlangen ohne unnötigen Aufschub und nach ihrer Wahl ein Angehöriger und ein Rechtsbeistand von der Festnahme verständigt werden. Jede festgenommene Person hat Anspruch auf Beendigung des Verfahrens innerhalb einer angemessenen Frist oder auf Freilassung während des Verfahrens. Die Freilassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden.

 

(4) Jede Person, die festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit ihre Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet. Im Fall einer Anhaltung von unbestimmter Dauer ist deren Notwendigkeit in angemessenen Abständen durch ein Gericht oder zu überprüfen.

 

(5) Jede Person, die rechtswidrig festgenommen oder angehalten wurde, hat Anspruch auf volle Genugtuung einschließlich des Ersatzes nicht vermögensrechtlichen Schadens.

 

 

Erläuterungen:

1.      Das Grundrecht der persönlichen Freiheit entspricht der Regelung in Art. 5 EMRK. Es nimmt zudem einzelne Bestimmungen des PersFrBVG 1988 auf.

2.      Absatz 1 führt die Inhalte der Art. 1 Abs. und 2 sowie Art. 2 PersFrBVG zusammen und entspricht diesen im Wesentlichen. Zusätzlich enthält er das besondere Verhältnismäßigkeitsgebot des Art. 1 Abs 3 PersFrBVG.

3.      Absatz 2 entspricht Art. 5 Abs. 2 EMRK. Er wird ergänzt durch die Garantie des Art. 1 Abs. 4 PersFrBVG.

4.      Absatz 3 enthält das Recht der festgenommenen Person, unverzüglich einem Richter vorgeführt zu werden. Die Garantie ist im Wesentlichen Art. 4 PersFrBVG nachgebildet und entspricht den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 EMRK. Ferner garantiert Absatz 3 einen Anspruch der festgenommenen Person auf Entscheidung über die Festnahme in angemessener Frist oder auf Freilassung. Damit werden im Wesentlichen die Gewährleistungen des Art. 5 Abs. 1 PersFrBVG sowie des Art. 5 Abs. 3 Satz 2 EMRK übernommen.

5.      Die Garantie auf Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Festnahme durch ein Gericht gemäß Absatz 4 entspricht im Wesentlichen Art. 6 Abs. 1 PersFrBVG bzw. Art. 5 Abs. 4 EMRK. Im Fall von Anhaltungen unbestimmter Dauer bzw. lebenslanger Haft hat eine Überprüfung der Haft in angemessenen Abständen zu erfolgen. Diese Garantie wurde durch die Rechtsprechung des EGMR aus der Garantie des Art. 5 Abs. 4 EMRK entwickelt (EGMR, Urt. v. 24.10.1979, Winterwerp, Serie A 33, Z. 55; Urt. v. 24.9.1992, Herczegfalvy, Serie A 244, Z. 75; Urt. v. 24.7.2001, Hirst, Nr. 40787/98, Z. 37 ff.). Wegen ihrer besonderen Bedeutung sollte sie ausdrücklich verankert werden.

6.      Das Recht auf Entschädigung für unrechtmäßige Haft gemäß Absatz 5 entspricht Art. 7 PersFrBVG, der seinerseits Art. 5 Abs. 5 EMRK nachgebildet wurde.

7.      Einzelne Bestimmungen des PersFrBVG können entfallen:

a)           Die Regelung des Art. 2 Abs. 2 PersFrBVG (Art. 1 4. ZPEMRK) Verbot der Verhaftung wegen Unfähigkeit, vertragliche Leistungen zu erfüllen) erscheint auf Verfassungsebene entbehrlich. Eine Freiheitsentziehung wegen Nichterfüllung einer vertraglichen Verpflichtung ist nicht durch das in Absatz 2 enthaltene Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Festnahme gedeckt und schon deshalb unzulässig.

b)           Der Gerichtsvorbehalt des Art. 3 PersFrBVG ist im Hinblick auf Artikel 19 Abs. 1 und 4 des Entwurfs sowie die verfassungsrechtlich vorgesehene Zuständigkeit der Strafgerichte und der Landesverwaltungsgerichte überflüssig.

c)           Das Gebot des Absehens vom Freiheitsentzug in den Fällen Art. 5 Abs. 2 PersFrBVG stellt eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsprinzips dar; es ist durch Absatz 1 Satz 2 und 3 gedeckt.


Artikel 6 (Gleichheitssatz)

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

 

(2) Diskriminierungen sind insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung verboten.

 

(3) Frauen und Männer sind in allen Bereichen gleichberechtigt. Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich bestehender Ungleichheiten sind zulässig.

 

(4) Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden. Die Republik bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. Sie anerkennt und achtet den Anspruch von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben der Gemeinschaft.

 

(5) Die Republik anerkennt und achtet das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben.

 

 

Erläuterungen:

  1. Artikel 6 enthält einen allgemeinen Gleichheitssatz (Absatz 1), ein allgemeines Diskriminierungsverbot (Absatz 2), den besonderen Gleichheitssatz in Bezug auf das Geschlecht (Absatz 3), ein besonderes Benachteiligungsverbot für Behinderte (Absatz 4) sowie ein besonderes Benachteiligungsverbot zugunsten älterer Menschen (Absatz 5).
  2. Der allgemeine Gleichheitssatz bezieht sich, anders als Art. 7 Abs. 1 B-VG und Art. 2 StGG, nicht nur auf Staatsangehörige, sondern auf alle Menschen. Im Übrigen entspricht der Umfang der Gewährleistung der bisherigen Rechtslage.
  3. Absatz 2 enthält ein allgemeines Diskriminierungsverbot. Dieses löst Art. 7 Abs. 1 Satz 2 B-VG ab, der Vorrechte der Geburt, des Geschlechts, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses ausschließt. Anders als Art. 14 EMRK handelt es sich nicht um ein Diskriminierungsverbot, das auf die als Grundrechte gewährleisteten Rechte beschränkt ist. Der Katalog an unzulässigen Differenzierungsgründen ist nicht abschließend („insbesondere“). Er umfasst Merkmale, die typischerweise Anknüpfungspunkt für differenzierende Regelungen sein können, und untersagt diese. Der Katalog entspricht demjenigen in Art. 21 Abs. 1 GRCh, der gegenüber Art. 14 EMRK um das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der sexuellen Orientierung erweitert ist.
  4. Absatz 3 Satz 1 übernimmt den Inhalt des Art. 23 Abs. 1 GRCh. Absatz 3 Satz 2 entspricht der Regelung des Art. 7 Abs. 2 Satz 2 B-VG.
  5. Neben dem Verbot der Diskriminierung nach Absatz 2 enthält Absatz 4 ein besonderes Verbot der Benachteiligung Behinderter. Er entspricht Art. 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 B-VG. Die Grundrechte-Charta kennt neben dem Diskriminierungsverbot (Art. 21 Abs. 1 GRCh) eine Garantie der Anerkennung und Achtung des Anspruchs von Menschen mit Behinderung auf Maßnahmen zur Gewährleistung ihrer Eigenständigkeit, ihrer sozialen und beruflichen Eingliederung und ihrer Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft (Art. 26 GRCh). Das Benachteiligungsverbot ist staatsgerichtet zu verstehen (und geht insofern über das im Gleichheitssatz enthaltene Diskriminierungsverbot nicht hinaus: vgl. Öhlinger, Verfassungsrecht5 [2003], Rz. 102). [Die in Art. 7 Abs. 1 Satz 3 B-VG verankerte Staatszielbestimmung, die die Gebietskörperschaften verpflichtet, durch positive Maßnahmen der Gesetzgebung und Verwaltung darauf hinzuwirken, die Diskriminierung von Behinderten im gesellschaftlichen Bereich abzubauen, könnte auch im Rahmen eines Katalogs von Staatszielbestimmungen verankert werden.]
  6. Das Alter ist als verbotenes Differenzierungsmerkmal im Katalog des Artikel 6 Abs. 2 enthalten. Art. 25 GRCh garantiert darüber hinaus, dass die Union das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben anerkennt und achtet. Diese Garantie ist für den verfassungsrechtlichen Zusammenhang modifiziert und in Absatz 5 übernommen worden.
  7. Art. 7 Abs. 4 B-VG enthält ein besonderes Diskriminierungsverbot zugunsten der öffentlich Bediensten im Hinblick auf ihre politischen Rechte. Insofern besteht insbesondere zu den Gewährleistungen der Meinungsfreiheit und der Vereinigungsfreiheit eine umfangreiche Rechtsprechung des EGMR, die von der Grundrechtsträgerschaft öffentlich Bediensteter ausgeht und verhältnismäßige Beschränkungen, die sich aus dem Dienstverhältnis ergeben, für zulässig erachtet. Die besondere Erwähnung im Rahmen des Gleichheitssatzes hat historische Gründe (vgl. Berka, in: Rill/Schäffer [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, Kommentar, Art. 7 [Stand: 2001], Rn. 119), erscheint heute jedoch überflüssig und kann entfallen.

Artikel 7 (Rechte der Volksgruppen)

Die Republik bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern. Die Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten nach Artikel 7 des Staatsvertrags betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, BGBl. Nr. 1955/152, bleiben unberührt.

 

 

Erläuterungen:

  1. Artikel 7 enthält in einem besonderen Artikel die Gewährleistung von Rechten der Volksgruppen. Er steht in systematischem Zusammenhang mit dem Gleichheitsgebot und dem Diskriminierungsverbot des Artikel 6, wo bereits in Absatz 2 die Diskriminierung aus Gründen der ethnischen Herkunft, der Sprache oder der Religion verankert ist. Volksgruppen sind die zum Zeitpunkt der Wiederherstellung der Republik Österreich in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten Gruppen österreichischer Staatsangehöriger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum (vgl. § 1 Abs. 2 Volksgruppengesetz).
  2. In Satz 2 wird der Bestand an verfassungsrechtlich gewährleisteten Minderheitenrechten nach bisherigem Recht übernommen. Die besonderen Rechte der Minderheiten in Bezug auf Schulunterricht in der Minderheitensprache sind in Zusammenhang mit dem Recht auf Bildung in Artikel 13 Abs. 6 des Entwurfs geregelt.
  3. Die Grundrechte-Charta enthält in Art. 22 die Verankerung der Achtung der Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen durch die Union. Diesem Artikel können subjektive Rechte für Angehörige nationaler Minderheiten nicht entnommen werden (Hölscheidt, in: Meyer [Hrsg.], Grundrechtecharta Kommentar [2003], Art. 22 Rn. 16). Die bereits bestehende und in Artikel 7 übernommene Gewährleistung von Minderheitenrechten begründet einen wesentlich intensiveren Schutz als die Grundrechte-Charta. Eine besondere Gewährleistung enthält Art. 41 Abs. 4 GRCh, der jeder Person garantiert, sich in einer der Sprachen der Verträge an die Organe der Union zu wenden und eine Antwort in derselben Sprache zu erhalten. Dieses Recht wird in Österreich auf nationaler Ebene durch die Garantien in Bezug auf die Verwendung von Minderheitensprachen (Art. 7 Ziffer 3 Staatsvertrag von Wien) gewährleistet, die nach Artikel 7 unberührt bleiben.

Artikel 8 (Recht auf Privatleben, Wohnung, Kommunikation, Datenschutz)

(1) Jede Person hat Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Kommunikation.

 

(2) Diese Rechte dürfen nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

 

(3) Jede Person hat insbesondere das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlichen Grundlage verwendet werden. Jede Person hat, soweit sie betreffende personenbezogene Daten zur automationsunterstützten Verarbeitung oder zur Verarbeitung in manuell geführten Dateien bestimmt sind, nach Maßgabe gesetzlicher Bestimmungen das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Richtigstellung unrichtiger Daten sowie die Löschung unzulässiger Weise verarbeiteter Daten zu erwirken. Das Grundrecht auf Datenschutz mit Ausnahme des Rechtes auf Auskunft ist gegen Rechtsträger, die in Formen des Privatrechts eingerichtet sind, soweit sie nicht in Vollziehung der Gesetze tätig werden, auf dem Zivilrechtsweg geltend zu machen. In allen übrigen Fällen ist eine unabhängige Stelle zur Überwachung zuständig, soweit nicht Akte der Gesetzgebung oder der Gerichtsbarkeit betroffen sind.

 

(4) Die Durchsuchung einer Wohnung darf nur auf Grund einer mit Gründen versehenen richterlichen Verfügung vorgenommen werden. Ausnahmsweise kann eine Durchsuchung bei Gefahr im Verzug durch die zuständige Verwaltungsbehörde angeordnet und erforderlichenfalls auch durch Organe der Behörden auf eigenen Entschluss vorgenommen werden.

 

(5) Beschränkungen des Rechts auf Achtung der Kommunikation dürfen nur auf Grund einer richterlichen Verfügung, ausnahmsweise zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leben, Freiheit oder Gesundheit von Menschen auf Grund behördlicher Anweisung und erforderlichenfalls auch durch Organe der Behörden auf eigenen Entschluss vorgenommen werden. Ohne richterliche Verfügung ist die Beschlagnahme von Informationsträgern in den Fällen einer gesetzlichen Verhaftung oder Durchsuchung zulässig sowie zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leben, Freiheit oder Gesundheit von Menschen.

 

 

Erläuterungen:

1.      Absatz 1 enthält den Schutzbereich des Grundrechts auf Privat- und Familienlebens. Er entspricht inhaltlich dem Umfang des Schutzbereichs von Art. 8 EMRK, den Art. 7 GRCh übernommen hat. Der Begriff „Briefverkehr“ wurde durch den Begriff „Kommunikation“ ersetzt, um neueren Kommunikationsmöglichkeiten sprachlich Rechnung zu tragen. Da diese vom EGMR auch jetzt schon in den Schutzbereich gefasst werden, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden.

2.      Der in Artikel 8 enthaltene Schutz des Familienlebens ist durch verschiedene Garantien des Entwurfs ergänzt worden. Hierzu zählen Rechte der Kinder (Artikel 12 Abs. 5) und sozialrechtliche Garantien für die Familie, insbesondere die Eltern (Artikel 12 Abs. 2 und 3).

3.      Absatz 2 enthält eine Schrankenregelung, die auf alle Teilbereiche des Schutzbereichs Anwendung findet. Sie entspricht inhaltlich Art. 8 Abs. 2 EMRK und lehnt sich in der Formulierung an Art. 9 EMRK an.

4.      Absatz 3 enthält eine ausdrückliche Gewährleistung eines Grundrechts auf Datenschutz, die bekräftigend und verdeutlichend neben das in Art. 8 Abs. 1 EMRK ohnehin enthaltene Recht auf Datenschutz tritt. Die Regelung des Grundrechts auf Datenschutz ist an die Verfassungsbestimmung des § 1 des Datenschutzgesetzes (DSG 2000) sowie an Art. 8 GRCh angelehnt. Zusätzlich zum allgemeinen Recht auf Datenschutz gewährleistet Absatz 3 einen Auskunfts-, Richtigstellungs- und Löschungsanspruch. Er erstreckt sich auf die geschützte Person betreffende personenbezogene Daten, die zur automationsunterstützten Verarbeitung oder zur Verarbeitung in manuell, d.h. ohne Automationsunterstützung geführten Dateien bestimmt sind. Ferner enthält Absatz 3 besondere Schrankenregelungen für das Recht auf Datenschutz. Diese treten zur allgemeinen Schrankenregelung des Absatzes 2 hinzu und verlangen für staatliche Eingriffe zusätzliche Anforderungen. Satz 1 entspricht § 1 Abs. 1 DSG und Art. 8 Abs. 1 GRCh. Satz 2 des Absatzes 3 enthält eine an Art. 8 Abs 2 GRCh orientierte Regelung.

§ 1 Abs. 1 DSG gewährleistet das Grundrecht auf Datenschutz nur in Bezug auf Daten, an denen ein schutzwürdiges Interesse besteht, wobei Satz 2 das Bestehen eines solchen Interesses ausschließt, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind. Diese Beschränkung ist in Absatz 3 nicht mehr enthalten. Sie ist aber durch die Schrankenregelung des Absatzes 2 gedeckt. Die in § 1 Abs. 2 DSG enthaltene Schrankenregelung stellt eine konkretisierte Formulierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar und ist in Artikel 8 Abs. 2 sowie in Absatz 3 enthalten.

§ 1 Abs. 5 DSG gewährt einen Anspruch auf Durchsetzung des Grundrechts auf Datenschutz gegenüber Privatpersonen („unmittelbare Drittwirkung“). Er ist in Satz 4 übernommen. An Stelle der in § 1 Abs. 5 DSG verankerten Datenschutzkommission wird der allgemeinere Begriff der „unabhängigen Stelle“ aus Art. 8 GRCh übernommen.

5.      Absatz 4 enthält besondere Schrankenregelungen für den von Art. 8 EMRK erfassten Schutz der Wohnung. Sie umfassen das Erfordernis einer richterlichen Verfügung (mit Ausnahmen für den Eilfall) für die Hausdurchsuchung. Diese richterliche Verfügung als Voraussetzung für eine Durchsuchung ist in § 1 des Gesetzes zum Schutze des Hausrechts (RGBl 1862/88), das gemäß Art. 9 StGG Bestandteil des StGG wurde, vorgesehen. Die konventionsrechtliche Garantie des Hausrechts enthält keinen ausdrücklichen Richtervorbehalt. Jedoch stellt nach der Rechtsprechung des EGMR die Anordnung der Durchsuchung durch einen Richter ein wesentliches Element der durch das Grundrecht geforderten verfahrensmäßigen Sicherung gegen Missbrauch dar (EGMR, Urt. v. 25.2.1993, Funke, Serie A 256-A, Z. 57; Urt. v. 25.2.1993, Crémieux, Serie A 256-B, Z. 40). Sie ist daher ein wesentlicher Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Eine Legaldefinition des Begriffs der Hausdurchsuchung, wie sie § 1 des Gesetzes zum Schutzes des Hausrechtes enthält, ist nicht vorgesehen und erscheint auch entbehrlich. Vielmehr wird von einer „Durchsuchung der Wohnung“ gesprochen und so Bezug genommen zur Gewährleistung gemäß Absatz 1. Damit wird der Rechtsprechung des EGMR Rechnung getragen, die unter „Wohnung“ im Sinne von Art. 8 EMRK auch Geschäftsräume fasst (vgl. EGMR, Urt. v. 16.12.1992, Niemietz, Serie A 251-B; Z. 30 ff.; Urt. v. 16.4.2002, Stés Colas Est u.a., Nr. 37971/97, S. 41). Die übrigen Bestimmungen des Gesetzes zum Schutzes des Hausrechtes stellen kein materielles Verfassungsrecht dar und sollten auf einfachgesetzlicher Ebene geregelt werden.

6.      Absatz 5 enthält besondere Schrankenregelungen für den von Art. 8 EMRK erfassten Schutz der Kommunikation. Auch hier wird das Erfordernis einer richterlichen Verfügung (mit Ausnahmen für den Eilfall) verankert. Dieses war zuvor, allerdings nur für private Kommunikation und für das Fernmeldegeheimnis, in Art. 10 bzw. 10a StGG vorgesehen. Eine Beschränkung auf private Kommunikation entfällt, da nach der Rechtsprechung des EGMR auch Geschäftspost von der Gewährleistung erfasst ist (EGMR, Urt. v. 16.12.1992, Niemietz, Serie A 251-B, Z. 32).

 


Artikel 9 (Religionsfreiheit)

(1) Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder Weltanschauung sowie die Freiheit, ihre Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche zu bekennen und auszuüben.

 

(2) Die Gewissens- und Religionsfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.

 

(3) Wehrpflichtige können erklären, Zivildienst leisten zu wollen, weil sie die Wehrpflicht aus Gewissensgründen nicht erfüllen können.

 

(4) Die gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften genießen die Stellung einer Körperschaft öffentlichen Rechts. Sie haben das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung, ordnen und verwalten ihre inneren Angelegenheiten selbständig, bleiben im Besitz und Genuss ihrer für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds, sind aber den allgemeinen Gesetzen unterworfen. Sie haben ferner das Recht, zur Deckung ihres Personal- und Sachaufwandes von ihren Angehörigen Beiträge einzuheben und über diese im Rahmen der Ordnung und Verwaltung der inneren Angelegenheiten frei zu verfügen.

 

 

Erläuterungen

1.      Absatz 1 umschreibt den Schutzbereich der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Er entspricht dem des Art. 9 EMRK und ist auch mit Art. 10 GRCh deckungsgleich. Die dort genannten Freiheiten umfassen, ohne dass dies ausdrücklicher Erwähnung bedurfte, auch die Bekenntnisfreiheit und die Weltanschauungsfreiheit.

2.      Absatz 2 enthält die Regelung über Grundrechtsbeschränkungen mit zwei Abweichungen von der EMRK. In Abweichung von Art. 9 Abs. 2 EMRK wird im Vorschlag die Beschränkungsmöglichkeit auf die Gewissens- und Religionsfreiheit bezogen. Die in der EMRK ausdrücklich erwähnte Bekenntnisfreiheit ist entbehrlich, da sie entsprechend dem Schutzbereich nach Absatz 1 (wo sie nicht gesondert erwähnt ist) Teil der Religionsfreiheit ist. Die ausdrückliche Beschränkungsmöglichkeit der Gewissensfreiheit ist im Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 EMRK nicht enthalten, in der Lehre und in der Rechtsprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte (EKMR, Entsch. v. 1.10.1975, X. Nr. 6084/73, DR 3, 62 [65]) wird jedoch davon ausgegangen, dass die Gewissensfreiheit auch nach der EMRK dem Gesetzesvorbehalt unterliegt.

3.      Absatz 3 enthält die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen. Die Formulierung des § 2 Abs. 1 ZDG wird inhaltlich übernommen, sprachlich dem Anspruch eines Verfassungstextes entsprechend verkürzt. Es handelt sich um eine besondere Ausprägung der Gewissensfreiheit, die nicht den Schranken des Absatzes 2 unterliegt.

4.      Absatz 4 enthält Rechte der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften. Die Formulierung ist im ersten und dritten Satz eng an das – eine Verfassungsbestimmung enthaltende – Bundesgesetz über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche aus 1961 angelehnt.

5.      Die in Absatz 4 Satz 2 gewährleisteten Rechte für die gesetzliche anerkannten Religionsgesellschaften entsprechen dem Gewährleistungsinhalt von Art. 15 StGG. Es wird lediglich die Bindung an die „allgemeinen Staatsgesetze“ (Art. 15 StGG) in die modernere Fassung „allgemeine Gesetze“ umformuliert. Das Recht zur Einhebung von Beiträgen und zur Verfügung über diese (Absatz 4 Satz 3) ist der Evangelischen Kirche auf der Basis der Verfassungsbestimmung des § 1 Abs. 2 V BG über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche ausdrücklich eingeräumt (vgl. § 1 Abs. 2 V BG über äußere Rechtsverhältnisse der Evangelischen Kirche). Für die anderen gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften wird es aus Art. 15 StGG abgeleitet.


Artikel 10 (Kommunikationsfreiheiten)

(1) Jede Person hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung, die Freiheit der Medien und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ein. Die Pluralität der Medien wird geachtet und geschützt. Zensur findet nicht statt.

 

(2) Da die Ausübung der Freiheiten nach Absatz 1 Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Pluralität der Medien, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer, oder um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten, notwendig sind.

 

(3) Rundfunk ist eine öffentliche Aufgabe. Die Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt, die Ausgewogenheit der Programme sowie die Unabhängigkeit der Personen und Organe, die mit der Veranstaltung von Rundfunk betraut sind, sind gesetzlich zu gewährleisten.

 

 

Erläuterungen

1.      Absatz 1 umschreibt den Schutzbereich der Meinungsfreiheit, der Medienfreiheit und der Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen (Informationsfreiheit). Die Formulierung der Sätze 1 und 2 entspricht im Wesentlichen den Sätzen 1 und 2 des Art. 10 Abs. 1 EMRK. Der Begriff der „Medien“ in Satz 2 und 3 wurde gewählt, um auch neue Formen der Massenkommunikation zu erfassen. Er entspricht der in § 1 Abs. 1 Ziff 1 Mediengesetz enthaltenen Legaldefinition.

2.      Die in Art. 10 Abs. 1 EMRK enthaltene Formulierung „ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen“ verstärkt sprachlich bestimmte Aspekte des Schutzbereichs, die in den genannten Formulierungen der Freiheiten bereits enthalten sind. Sie ist daher entbehrlich und im vorgeschlagenen Entwurf weggelassen.

3.      Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK räumt den Mitgliedstaaten zur EMRK die Möglichkeit ein, Rundfunk-, Lichtspiel- und Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren zu unterwerfen. Systematisch handelt es sich um eine Schrankenregelung. Genehmigungsverfahren können auch gestützt auf die allgemeine Schrankenregelung (Absatz 2) eingerichtet werden. Eine besonderen Erwähnung bedürfen sie nicht (s. auch Anmerkung 7b).

4.      Absatz 1 Satz 2 enthält die staatliche Verpflichtung zur Gewährleistung der Pluralität in den Medien. Bei der Wahl der Mittel verfügt der Staat über einen Gestaltungsspielraum. In Betracht kommen insbesondere gesetzliche Regelungen gegen Medienkonzentration oder die Gewährung einer wirksamen Presseförderung. Zu beachten ist, dass solche Regelungen immer auch Eingriffe in Grundrechte von Konkurrenten zur Folge haben können, die den Schranken des Absatz 2 entsprechen müssen. Welches Instrument der Staat im Einzelnen wählen darf und muss, hängt von den sich wandelnden Bedingungen des Medienmarktes ab.

5.      In Absatz 1 Satz 4 ist das Zensurverbot ausdrücklich aufgenommen. Gegenüber Ziffer 1 und 2 des Beschlusses der Prov. Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 wurde die Formulierung vereinfacht und der aktuellen Situation angepasst.

6.      Die in Absatz 2 enthaltene Schrankenregelung entspricht derjenigen des Art. 10 Abs. 2 EMRK. Gegenüber der derzeitig gültigen Version wurde lediglich der Übersetzungsfehler berichtigt.

7.      Absatz 3 ist besonderen Anforderungen an die Gewährleistung der Rundfunkfreiheit gewidmet.

a)      Unter Rundfunk ist nach Art. I Abs 1 BVG Rundfunk die für die Allgemeinheit bestimmte Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, Ton und Bild unter Benützung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung bzw. längs oder mittels eines Leiters zu verstehen. Diese Definition hatte gewiss in der Vergangenheit ihre Berechtigung und vermag auch heute noch wesentliche Abgrenzungsfunktionen zu erfüllen. Allerdings sind neuere technische Entwicklungen nicht mehr ohne weiteres mit Hilfe dieser Definition einzuordnen. Als Beispiele seien video-on-demand (individuelle Auswahl eines Films, kein Rundfunk), near-video-on-demand (Einstieg in ein permanentes Programm über einen Decoder, Rundfunk) oder das Internet, bei dem man je nach angebotenem Dienst zu differenzieren haben wird, genannt. Angesichts unabsehbarer technischer Entwicklungen wird es vornehmlich Aufgabe des Gesetzgebers und der Rechtsprechung sein, Abgrenzungen vorzunehmen. Als verfassungsrechtliche Leitlinie kann dabei gelten, dass es weniger auf das technische Differenzierungsmerkmal als auf den publizistischen Gehalt einer Verbreitung ankommt. So wird man von Rundfunk ausgehen, wenn sich Rundfunkunternehmen zur Verbreitung ihrer Programme des Internet bedienen, nicht dagegen, wenn ein Unternehmen oder eine Privatperson, zum Besuch der eigenen Homepage einlädt, mögen dort auch Videos über das Unternehmen oder die Person gezeigt werden (vgl. Holoubek/Traimer/Kassai, Grundzüge der Massenkommunikation, 2. Auflage [2002], S. 34).

b)      Aus Satz 1 (wortgleich mit Art. I Abs. 3 BVG Rundfunk) folgt eine Existenzgarantie für einen auch von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen unabhängigen Rundfunk. Der Staat hat für seine Funktionsfähigkeit Vorsorge zu treffen. Bei der Erfüllung dieser Verpflichtung hat der Staat einen Gestaltungsspielraum. Er kann z.B. einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk einrichten oder aber im Fall privatrechtlicher Rechtsform über die Eigentümerbefugnisse die Unabhängigkeit sichern (vgl. Holoubek, Rundfunkfreiheit und Rundfunkmonopol [1990], S. 171 f.). Artikel 10 geht von einem Leitbild eines dualen Rundfunksystems aus. Genehmigungsverfahren sind weiterhin zulässig. Anstelle der Regelung des Art. 10 Abs. 1 Satz 3 EMRK wurde als zusätzliches Eingriffsziel der Schutz der Pluralität der Medien in Absatz 2 aufgenommen.

c)      Darüber hinaus enthält Absatz 3 einen Auftrag an den Gesetzgeber, rundfunkrechtliche Vorschriften gesetzlich festzulegen. Dabei hat er vier ausdrücklich genannte Ziele zu gewährleisten, die sich auf die Programminhalte und auf die Organisation des Rundfunks beziehen. Diese Ziele entsprechen denjenigen in Art. 1 Abs. 2 BVG Rundfunk. Es wurde lediglich eine sprachliche Änderung vorgenommen („Meinungsvielfalt“ statt „Berücksichtigung der Meinungsvielfalt“). Diese Ziele gelten für die Rundfunkordnung insgesamt, d.h. jedenfalls für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, in modifizierte Form aber auch für den privaten Rundfunk. Die gesetzlichen Regelungen sind, anders als dies von der Judikatur des VfGH für Art. I Abs. 2 B-VG Rundfunk angenommen wurde, nach Absatz 3 nicht Voraussetzung für die Ausübung der Rundfunkfreiheit (so bereits zur bisherigen Rechtslage Holoubek, aaO, S. 190; treffend daher die Qualifikation als Schrankenvorbehalt durch Funk, Rechtsprobleme der Rundfunkwerbung, in: Aicher [Hrsg.] Das Recht der Werbung, 1984, 55 [63]).


Artikel 11 (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit; Parteienfreiheit; Koalitions-freiheit)

(1) Jede Person hat das Recht, sich friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen.

 

(2) Die politischen Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf gerichtet sind, den demokratischen Rechtsstaat oder die Menschenrechte zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, sind verfassungswidrig.

 

(3) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber haben das Recht, zum Schutze ihrer Interessen Vereinigungen zu bilden und diesen beizutreten.

 

(4) Nach Maßgabe der Gesetze kommt Vereinigungen nach Absatz 3 und gesetzlichen beruflichen Interessensvertretungen die Kollektivvertragsfähigkeit zu.

 

(5) Die Ausübung der Rechte nach Absatz 1 bis 3 darf keinen anderen Beschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

 

 

Erläuterungen

1.         Absatz 1 des Entwurfs enthält die Grundrechte der Versammlungsfreiheit und der Vereinigungsfreiheit. Die Regelung entspricht inhaltlich Art. 11 Abs. 1 EMRK und Art. 12 GRCh. Um eine einheitliche Formulierung zu gewährleisten, wurde die Formulierung „alle Menschen“ in „jede Person“ gewandelt.

2.         Absatz 2 enthält eine besondere Bestimmung über die politischen Parteien. Diese sind nach der Rechtsprechung des EGMR Vereinigungen im Sinne des Art. 11 EMRK; ihnen wird auch danach eine besondere Bedeutung für die Verwirklichung der Demokratie zuerkannt. Satz 1 gibt in Anlehnung an diese Rechtsprechung und an Artikel I Parteiengesetz die Funktion der Parteien wieder. Ausdrücklich wird die freie Gründung von Parteien gewährleistet (vgl. Art. I Abs. 3 ParteienG). Weiters enthält Absatz 2 des Entwurfs die Bestimmung, dass Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf gerichtet sind, grundlegende demokratische Prinzipien oder Menschenrechte zu beeinträchtigen oder zu zerstören, verfassungswidrig sind. Dasselbe gilt für Parteien, die entgegen Art. 7 Z. 5 StV von Wien gegen die Eigenschaft und die Rechte von Minderheiten gerichtet sind. Die Formulierung der Ziele bzw. des Verhaltens, das die Folge der Verfassungswidrigkeit mit sich bringt, orientiert sich an der Rechtsprechung des EGMR zu Parteiverboten (z.B. EGMR, Urt. v. 13.2.2003 (GK), Refah Partisi u.a. (Wohlfahrtspartei), Nr. 41340/98 u.a., Z. 98). Von Absatz 2 werden auch Parteien erfasst, die unter das Verbotsgesetz fallen. Er bezieht sich jedoch auch auf andere Parteien als die NSDAP oder Nachfolgeorganisationen, die die demokratische Grundordnung bekämpfen. Im Übrigen gelten auch für Parteien die Schranken des Absatzes 5.

3.         Absatz 3 gewährleistet unter anderem die Gewerkschaftsfreiheit, die in Art. 11 EMRK und in Art. 12 GRCh ausdrückliche Erwähnung findet. Sie ist im Entwurf als Recht von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bzw. Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern enthalten, zum Schutz ihrer Interessen Vereinigungen zu bilden. Damit werden auch Ansprüche auf Durchführung typischer Tätigkeiten solcher Vereinigungen geschützt, wie das auch den gesetzlichen beruflichen Vertretungen zustehende Recht, Kollektivverträge auszuhandeln und zu schließen (siehe auch Absatz 4), sowie das Recht, bei Interessenkonflikten kollektive Maßnahmen zur Verteidigung ihrer Interessen zu ergreifen (vgl. auch Art. 28 GRCh).

4.         Absatz 4 verankert ausdrücklich die Kollektivvertragsfähigkeit von Vereinigungen nach Absatz 3 und von gesetzlichen beruflichen Vertretungen nach Maßgabe gesetzlicher Regelung.

5.         Absatz 5 des Entwurfs enthält die Schrankenregelung. Sie bezieht sich auf Absatz 1 bis 3 und entspricht jener des Art. 11 Abs. 2 EMRK. Dieser enthält in Absatz 2 Satz 2 eine besondere Einschränkungsmöglichkeit der Grundrechte der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei und der Staatsverwaltung. Eine Übernahme dieser besonderen Schranke ist nicht notwendig, da sie im allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz enthalten ist und in der bisherigen Rechtsprechung des EGMR auch praktisch keine selbständige Rolle spielte.

 


Artikel 12 (Schutz von Ehe und Familie; Rechte der Eltern und Kinder)

(1) Mit Erreichung des heiratsfähigen Alters haben Frau und Mann das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.

 

(2) Ehe und Familie genießen den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz des Staates.

 

(3) Die Erziehung der Kinder ist das Recht und die Pflicht der Eltern. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.

 

(4) Ehegatten haben untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe. Die Pflicht des Staates, die im Interesse der Kinder notwendigen Maßnahmen zu treffen, wird dadurch nicht beschränkt.

 

(5) Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes vorrangig berücksichtigt werden. Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.

 

 

Erläuterungen:

  1. In Artikel 12 sind unter dem Titel Schutz von Ehe und Familie das Recht auf Eheschließung, die Rechte der Ehegatten untereinander, der Schutz der Familie, das Elternrecht im Hinblick auf die Erziehung sowie Kinderrechte zu finden. Diese Garantien sind sowohl in der EMRK als auch in der GRCh an jeweils verschiedenen Stellen zu finden und hier entsprechend ihrem inhaltlichem Zusammenhang in einem Artikel vereint. Hinzukommt der Schutz des Familienlebens gemäß Artikel 8 (s. dort).
  2. Gemäß Absatz 1 haben Mann und Frau das Recht auf Eheschließung ab Erreichung des heiratsfähigen Alters. Dem einfachen Gesetzgeber bleibt es überlassen, das entsprechende Alter festzulegen. Diese Garantie entspricht Art. 12 EMRK. Die Formulierung des Grundrechts stellt klar, dass vom Recht auf Eheschließung wie in der EMRK nur die verschiedengeschlechtliche Verbindung erfasst ist. Insofern deckt sich die Gewährleistung mit dem Garantieumfang des Art. 12 EMRK, der ebenfalls nur die Verbindung von zwei Personen verschiedenen Geschlechts erfasst (vgl. den insofern klaren Wortlaut der authentischen französischen Fassung „l’homme et la femme“ sowie die Rechtsprechung des EGMR, Urt. v. 27.9.1990, Cosey, Serie A 184, Z. 43; Urt. v. 30.7.1998, Sheffield u. Horsham, RJD 1998-V, Z. 66). Diese Festlegung steht im Einklang mit Art. 9 GRCh. Diese Bestimmung gewährt das Recht, eine Ehe einzugehen, nach den einzelstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Recht regeln. Der Chartabestimmung ist ein Anspruch auf Zuerkennung des Ehestatus für gleichgeschlechtliche Verbindungen nicht zu entnehmen, auch wenn sie einer solchen Zuerkennung durch das innerstaatliche Recht nicht entgegensteht. Ungleichbehandlungen zwischen Ehe und sonstigen Lebensgemeinschaften sind nach dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz zu beurteilen. Im Übrigen sind einzelne Aspekte des Zusammenlebens gleichgeschlechtlicher Paare, insbesondere mit Kindern, durch Artikel 8 geschützt (EGMR, Urt. v. 21.12.1999, Salgueiro da Silva Mouta, RJD 1999-IX, Z. 22).
  3. Absatz 2 enthält eine Schutzpflicht des Staates gegenüber Ehe und Familie. Sie entspricht Art. 33 Abs. 1 GRCh sowie dem für diesen als Vorbild herangezogenen Art. 6 Abs. 1 des deutschen Grundgesetzes. Eine solche Schutzpflicht ist in der EMRK nicht ausdrücklich verankert, eine Reihe von Aspekten wird jedoch sowohl durch den EGMR als auch den VfGH aus dem Schutz der Familie gem. Art. 8 EMRK (Artikel 8 des Entwurfs) abgeleitet. Während der Begriff der Ehe sich entsprechend Absatz 1 nur auf die Verbindung von Mann und Frau bezieht, werden mit dem Begriff der Familie (entsprechend dem Familienbegriff des Art. 8 EMRK) neben der traditionellen Familie auch andere Lebensformen, insbesondere uneheliche Lebensgemeinschaften und alleinerziehende Mütter oder Väter mit ihren Kindern erfasst. Aus dieser Garantie folgen Pflichten des Staates, die Situation von Erziehenden zu verbessern und damit der von Kinderlosen anzugleichen (etwa durch Leistungen oder Berücksichtigungen im Steuerrecht). Einzelheiten wird die Rechtsprechung zu klären haben. Artikel 23 Ziffer 6 des Entwurfs enthält als Gesetzgebungsauftrag die Gewährleistung von Mutterschutzurlaub, Elternurlaub und den Schutz vor Entlassung aus einem mit der Elternschaft zusammenhängenden Grund. Insofern ist die in Artikel 12 Abs. 2 enthaltene allgemeine Schutzpflicht gegenüber Ehe und Familie konkretisiert.
  4. In Absatz 3 wird klargestellt, dass das Erziehungsrecht vorrangig ein Recht der Eltern ist. Subsidiär hat der Staat die Pflicht, das Wohl des Kindes zu wahren. Nach Satz 2 hat der Staat dabei und im Übrigen, soweit er auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts Aufgaben übernimmt, die Pflicht, das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen Überzeugungen hinsichtlich Religion und Weltanschauung durchzuführen. Diese Garantie entspricht Art. 2 1. ZPEMRK. Die Normierung einer gesetzlichen Schulpflicht ist Voraussetzung für die Übernahme von Erziehungs- und Unterrichtsaufgaben durch den Staat und daher verfassungsrechtlich zulässig.
  5. In Absatz 4 ist der in Art. 5 7. ZPEMRK enthaltene besondere Gleichheitssatz in Zusammenhang mit der Ehe übernommen.
  6. Absatz 5 enthält eine Reihe von Rechten des Kindes. Er beruht auf den entsprechenden Garantien in Art. 24 GRCh. Dieser wiederum berücksichtigt das internationale Übereinkommen über die Rechte des Kindes, das für alle Mitgliedstaaten der EU in Kraft getreten ist. Im Einzelnen sind gewährleistet ein Anspruch des Kindes auf den Schutz und die Fürsorge, die für sein Wohlergehen notwendig sind. Dieses Recht verpflichtet den Staat zu aktivem Tun, das heißt dazu, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, wenn das Wohl von Kindern beeinträchtigt zu werden droht (vgl. Hölscheidt, in: Meyer [Hrsg.], Grundrechtecharta Kommentar [2003], Art. 24 Rn. 18). Auf eine Übernahme des in Art. 24 Abs. 1 Satz 2 und 3 GRCh gewährleisteten Rechts auf Meinungsfreiheit für Kinder wurde verzichtet, da Kinder sich ohne weiteres auf die Garantie der Meinungsfreiheit gem. Artikel 10 berufen können.

Artikel 13 (Wissenschaftsfreiheit; Kunstfreiheit; Recht auf Bildung; Schulwesen)

(1) Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Die Universitäten sind im Rahmen der Gesetze zur autonomen Besorgung ihrer Angelegenheiten befugt.

 

(2) Künstlerisches Schaffen, die Vermittlung der Kunst sowie deren Lehre sind frei.

 

(3) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung sowie auf Zugang zu beruflicher Bildung. Der Zugang zu allen öffentlichen Bildungsangeboten ist ohne Diskriminierung zu gewährleisten.

 

(4) Alle österreichischen Staatsangehörigen, die ihre Befähigung hiezu in gesetzlicher Weise nachgewiesen haben, haben das Recht, unter Achtung der demokratischen Grundsätze Bildungseinrichtungen zu gründen und an solchen Unterricht zu erteilen. Das Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates.

 

(5) Für den Religionsunterricht in den Schulen ist von der betreffenden gesetzlich anerkannten Kirche oder Religionsgesellschaft Sorge zu tragen.

 

(6) Österreichische Staatsangehörige der slowenischen und kroatischen Minderheiten in Burgenland, Kärnten und Steiermark haben Anspruch auf Elementarunterricht in slowenischer oder kroatischer Sprache und auf eine verhältnismäßige Anzahl eigener Mittelschulen. In gesetzlich festzulegenden Gebieten und Schulen im Burgenland ist österreichischen Staatsangehörigen der kroatischen und ungarischen Volksgruppe das Recht zu gewähren, die kroatische oder ungarische Sprache als Unterrichtssprache zu gebrauchen oder als Pflichtgegenstand zu erlernen. In gesetzlich festzulegenden Gebieten und Schulen in Kärnten ist österreichischen Staatsangehörigen der slowenischen Volksgruppe das gleiche Recht mit Bezug zur slowenischen Sprache zu gewähren. Schülerinnen und Schüler dürfen nicht gegen den Willen ihrer gesetzlichen Vertreter verhalten werden, die kroatische, die slowenische oder die ungarische Sprache als Unterrichtssprache zu gebrauchen oder als Pflichtgegenstand zu erlernen.

 

 

Erläuterungen:

  1. Absatz 1 enthält die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre. Er übernimmt die Gewährleistung des Art. 17 StGG. Eine besondere Schrankenregelung ist nicht vorgesehen. Die Aussagen der Rechtsprechung des VfGH zu Schutzbereich und Schranken der Wissenschaftsfreiheit bleiben unverändert gültig (vgl. VfSlg 3565/1959, 4732/1964, 13.978/1994). Auch die Autonomie der Universitäten, wie sie durch § 2 Abs 2 UOG 1993 garantiert ist, bleibt unberührt.
  2. Absatz 2 garantiert die Freiheit des künstlerischen Schaffens, der Vermittlung der Kunst und deren Lehre. Diese Garantie entspricht Art. 17a StGG. Eine besondere Schrankenregelung ist nicht vorgesehen. Die Aussagen des VfGH zu Schutzbereich und Schranken der Kunstfreiheit bleiben unverändert gültig (vgl. VfSlg 10.401/1985, 11.567/1987, 11.737/1988).
  3.  Absatz 3 garantiert ein subjektives Recht auf Bildung. Diese Garantie nimmt die Gewährleistung des Art. 2 1. ZPEMRK sowie zum Teil auch jene des Art. 14 Abs. 1 GRCh auf. Sie umfasst demgemäß auch ein Recht auf Zugang zu beruflicher Bildung. Dieses Recht umfasst sowohl die Erstausbildung als auch Maßnahmen im Rahmen des lebensbegleitenden Lernens zur Erhaltung oder Sicherung des Arbeitsplatzes. In Einklang mit Art. 14 Abs. 2 GRCh ist von der grundsätzlichen Absicherung unentgeltlicher Teilnahme am Pflichtschulunterricht auszugehen. Die Zulässigkeit der Schulpflicht ergibt sich implizit aus Artikel 12 Abs. 3.
  4. Die in Art. 17 Abs. 2 bis 5 StGG enthaltenen Garantien in Bezug auf Schule und Unterricht werden soweit erforderlich in Absatz 4 und 5 geregelt. In Absatz 4 wird die bisher in Art. 17 Abs. 2 StGG enthaltene Privatschulgarantie übernommen und sprachlich neu gefasst. Insofern ist Art. 14 Abs. 3 GRCh zu berücksichtigen. Nach dieser Bestimmung wird die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten, die ein Gegengewicht zu den Gestaltungsrechten des Staates im Schulbereich darstellt, in die Grundrechte-Charta übernommen. Damit ist klargestellt, dass die Möglichkeit der Begründung und Führung privater Schulen von den Mitgliedstaaten nicht ausgeschlossen werden darf. Somit gestattet es Art. 14 GRCh den Mitgliedstaaten nicht, ein staatliches Schulmonopol einzurichten und die Verfolgung von Bildungsinteressen außerhalb staatlicher Schulen zu untersagen. Dieses Zusammenspiel zwischen staatlichem Schulwesen, dem Recht auf Bildung und dem Elternrecht sollte auch im österreichischen Grundrechtskatalog abgebildet werden. Neben dem Elternrecht, dem Recht auf Bildung und den Vorgaben für das staatliche Schulwesen ist daher auch die Privatschulfreiheit in den Grundrechtskatalog aufzunehmen. Entsprechend Art. 14 Abs. 3 GRCh wird die Bindung an die demokratischen Grundsätze übernommen. Das in Art. 14 Abs. 3 GRCh ebenfalls enthaltene Elternrecht findet sich in Artikel 12 Abs. 3. Die besondere Garantie des häuslichen Unterrichts (Art. 17 Abs. 3 StGG) ist entbehrlich.
  5. Absatz 5 betrifft den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Er übernimmt Art. 17 Abs. 4 StGG weitgehend; es erfolgt eine Beschränkung der Garantie auf die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften. Absatz 5 enthält eine institutionelle Garantie, wonach für den Religionsunterricht in den Schulen von den Kirchen und Religionsgesellschaften Sorge zu tragen ist. Diese Garantie findet eine zusätzliche Absicherung im Grundrecht der Religionsfreiheit gemäß Artikel 9 (vgl. auch Kalb/Potz/Schinkele, Religionsrecht [2003], S. 351 ff.). Weiters ist der Religionsunterricht im Schulvertrag 1962 mit der Katholischen Kirche, der die schulrechtlichen Bestimmungen des Konkordats von 1933 ersetzt, konkordatär abgesichert. Im Hinblick auf den Paritätsgrundsatz muss gleiches für die anderen gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften gelten. Das Recht auf Befreiung vom Religionsunterricht ist durch die Religionsfreiheit (Artikel 9) sowie das Elternrecht (Artikel 12 Abs. 3) grundrechtlich abgesichert.
  6. Absatz 6 enthält das Recht der anerkannten Volksgruppen auf Elementarunterricht in der Minderheitensprache. Damit ist die Regelung der Art. 67, 68 StV St. Germain und Art. 7 Z. 2 StV Wien übernommen. Nach der Rechtsprechung des VfGH (VfSlg 12.245/1989; 15.759/2000) gewährt diese Bestimmung den Angehörigen der genannten Volksgruppen ein subjektives Recht auf Volksschulunterricht in der Sprache der Volksgruppe. Der Begriff der „Mittelschulen“ umfasst den Unterricht der 10- bis 14-Jährigen (VfSlg 15.759/2000). Entsprechende Schulen sind nicht nur im angestammten Siedlungsgebiet der genannten Volksgruppen, sondern in allen Gemeinden, in denen ein nachhaltiger Bedarf danach besteht, einzurichten. Diese Verfassungsbestimmung wurde durch die Minderheitenschulgesetze für Kärnten und für Burgenland umgesetzt. Absatz 6 Satz 2 und 3 des Entwurfs übernehmen die Rechte nach § 1 Minderheiten-Schulgesetz für das Burgenland (BGBl 1994/641) und Artikel I § 7 Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten (BGBl 1959/101) und vereinheitlichen diese auf dem Standard des jüngeren Gesetzes für das Burgenland. Die Festlegung von Schulen und Gebieten hat im Einklang mit den einfachgesetzlichen Vorgaben der Minderheiten-Schulgesetze zu erfolgen.
  7. Art. 17 Abs. 5 StGG enthält die verfassungsrechtliche Absicherung der staatlichen Schulaufsicht. Hierbei handelt es sich nicht um ein Grundrecht. Die staatliche Schulaufsicht sollte daher in anderem Zusammenhang verfassungsrechtlich verankert werden.

Artikel 14 (Eigentumsfreiheit)

(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums.

 

(2) Eigentum darf nur aus Gründen des öffentlichen Interesses, unter den durch Gesetz vorgesehenen Bedingungen und gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung entzogen werden.

 

(3) Gesetzliche Regelungen der Benutzung des Eigentums einschließlich der Verfügung über Liegenschaften sind zulässig, soweit sie für das allgemeine Wohl erforderlich sind.

 

 

Erläuterungen

1.      Absatz 1 fasst die allgemeine Eigentumsgarantie gemäß Art. 5 StGG und die Liegenschaftsverkehrsfreiheit gemäß Art. 6 Abs. 1 StGG zusammen. Auf eine gesonderte Normierung der Liegenschaftsfreiheit wird im Rahmen der Schutzbereichsbestimmung verzichtet. Diese geht im allgemeinen Schutz der Eigentumsgarantie auf. Das entspricht der Judikatur des EGMR zu Art. 1 1. ZPEMRK, aber auch der Rechtslage nach anderen europäischen Verfassungen sowie der Grundrechte-Charta (vgl. Art. 17 GRCh).

2.      Die nur für die Liegenschaftsverkehrsfreiheit bestehende Beschränkung des persönlichen Schutzbereichs auf Staatsbürger wird nicht aufrecht erhalten. Dies angesichts des Umstandes, dass nach dem Recht der Europäischen Union und dem Recht des Europäischen Wirtschaftsraumes nur noch wenige Kategorien von Drittstaatsangehörigen, die ökonomisch dazu in der Lage sind, von einer Gleichstellung ausgeschlossen sind.

3.      Die Absätze 2 und 3 normieren die Grundrechtsschranken, und zwar getrennt nach den beiden Kategorien der Enteignungen und der Eigentumsbeschränkungen (in der Terminologie der EMRK: Regelungen der Nutzung des Eigentums). Ausdrücklich verankert wird – in Anlehnung an die Grundrechte-Charta, aber auch an das Bonner Grundgesetz – erstmals eine Entschädigungspflicht. Im Übrigen sind die Tatbestände der Absatz 2 und 3 so gefasst, dass die bisherige Judikatur zu den Grundrechtsschranken im Bereich der Eigentumsgarantie fortgeführt werden kann. Die jüngere Judikatur zu Grundrechtsschranken bezüglich der Liegenschaftsverkehrsfreiheit (VfSlg 14.701/1996) lässt sich auf der Basis des neuen einheitlichen Gesetzesvorbehalts aufrecht erhalten.

4.      Eine gesonderte Erwähnung des geistigen Eigentums (vgl. Art. 17 GRCh) erscheint entbehrlich.

5.      Nicht nur vermögenswerte Privatrechte, sondern auch öffentlichrechtliche Rechtspositionen sind nach der Rechtsprechung des EGMR von der Eigentumsgarantie erfasst. In Fällen des Sozialversicherungsrechts wird für die Frage, ob ein durch die Eigentumsgarantie geschütztes Recht vorliegt, darauf abgestellt, ob der entsprechende Anspruch durch eigene Beiträge erworben wurde. Die in Art. 34 Abs. 1 GRCh enthalten Absicherung des Rechts auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit und zu den sozialen Diensten, die einen abwehrrechtlichen Anspruch gewährleistet (Riedel, in: Meyer [Hrsg.], Grundrechtecharta Kommentar [2003], Art. 34 Rn. 15), ist insoweit vom Grundrecht auf Eigentum erfasst.

6.      Die Regelung des Art. 6 Abs. 2 StGG kann entfallen. Unter der „todten Hand“ waren unter dem Banne der Veräußerungsverbote stehende kirchliche Korporationen, Anstalten und Stiftungen zu verstehen, und zwar solche, die in Verfolgung ihrer dauernden Endzwecke die erworbenen Güter zu erhalten verpflichtet waren. Durch Art. XIII des Konkordats besteht hinsichtlich der Katholischen Kirche die völkerrechtliche Verpflichtung, von Art. 6 Abs. 2 StGG keinen Gebrauch zu machen. Das hat unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes indirekte Auswirkungen auch auf die anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften. Die Regelung erscheint somit entbehrlich.

7.      Ebenso erscheint die Regelung des Art. 7 StGG (Aufhebung von Untertänigkeits- und Hörigkeitsverbänden) entbehrlich.


Artikel 15 (Berufs- und Erwerbsfreiheit; Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit)

(1) Jede Person hat das Recht, unter den gesetzlichen Bedingungen jeden Erwerbszweig auszuüben, ihren Beruf frei zu wählen sowie sich für diesen auszubilden.

 

(2) Die öffentlichen Ämter sind für alle Staatsangehörigen gleich zugänglich. Im Übrigen wird der Eintritt in dieselben vom Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft abhängig gemacht.

 

(3) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden. Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten. Als Zwangs- oder Pflichtarbeit gilt nicht:

a)      jede Arbeit die normalerweise von einer Person verlangt wird, die unter den von Artikel 5 vorgesehenen Bedingungen in Haft gehalten oder bedingt freigelassen worden ist;

b)     Wehr- oder Ersatzdienst;

c)      jede Dienstleistung im Falle von Notständen und Katastrophen, die das Leben oder das Wohl der Gemeinschaft bedrohen;

d)     jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürgerpflichten gehört.

 

(4) Menschenhandel ist verboten.

 

 

Erläuterungen:

1.      Der vorgeschlagene Entwurf verbindet die Garantien der Art. 6 und 18 StGG zu einem Grundrecht der Berufs- und Erwerbsfreiheit. Ferner enthält Artikel 15 die Gewährleistung des Zugangs zu öffentlichen Ämtern (Absatz 2) und das Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit entsprechend Art. 4 EMRK.

2.      Gemäß Absatz 1 wird die Berufs- und Erwerbsfreiheit ein Menschenrecht. Der Status quo ist, dass zwar die Berufsfreiheit ein Menschenrecht, die Erwerbsfreiheit jedoch ein Staatsbürgerrecht ist. Durch das EU-Recht wurde die Rechtslage insoweit jedoch erheblich modifiziert.

3.      Im Übrigen entspricht der Wortlaut Art. 6 StGG und er nimmt Art. 18 StGG im Wesentlichen wortgleich in seinen Gewährleistungsumfang auf. Auf folgende Punkte sei hingewiesen:

a)      Mit Erwerbszweig sind sowohl selbstständige, als auch unselbstständige Tätigkeiten erfasst, auch der Beruf des Beamten gehört dazu. Beruf ist nach der Rechtsprechung des VfGH eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit und dient im Allgemeinen der Erzielung des Lebensunterhalts.

Die Erwerbsfreiheit nach Art. 6 StGG steht nach der Judikatur neben Staatsbürgern auch inländischen juristischen Personen zu. Die Berufsfreiheit nach Art. 18 StGG steht nur natürlichen Personen zu. Der neue Text macht keine Unterscheidung mehr zwischen natürlichen und juristischen Personen. Für die Reichweite des Grundrechtsschutzes von juristischen Personen ist Artikel 22 Abs. 3 maßgeblich.

b)      Der Entwurf enthält neben dem formellen Gesetzesvorbehalt keine Grundrechtsschranken. Nach der Judikatur des VfGH sind die Grundrechtsschranken für Erwerbsfreiheit und Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit im Wesentlichen einheitlich. Danach dürfen Eingriffe in die Freiheiten erfolgen, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind, ein legitimes Ziel verfolgen und das Verhältnis zwischen Schwere des Eingriffs und Gewicht der rechtfertigenden Gründe verhältnismäßig (angemessen) ist. Von einer expliziten Normierung dieser „Grundrechtsformel“ kann im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung abgesehen werden. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass es nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zulässig ist, die Erwerbsfreiheit im Interesse des Verbraucherschutzes zu beschränken (z.B. VfSlg 11853/1988). Damit wird der für die Europäische Union formulierten Vorgabe eines hohen Verbraucherschutzniveaus in Art. 38 GRCh Rechnung getragen.

4.      Absatz 2 entspricht Art. 3 StGG. Bürgerinnen und Bürger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union sind gemäß Artikel 22 Abs. 2 des Entwurfs im Rahmen von Art. 39 EGV österreichischen Staatsangehörigen gleichgestellt. Soweit ein öffentliches Amt unter Art. 39 Abs. 4 EGV fällt, ist der grundrechtliche Anspruch auf österreichische Staatsangehörige beschränkt.

5.      Absatz 3 übernimmt inhaltlich Art. 4 EMRK. Er enthält ein ausdrückliches Verbot von Sklaverei und Leibeigenschaft sowie von Zwangs- und Pflichtarbeit und eine Aufzählung von Pflichten, die keine Zwangs- oder Pflichtarbeit darstellen. Im Ergebnis ermächtigen Absatz 3 Satz 2 und 3 zu besonderen Eingriffen in das Grundrecht jenseits der allgemeinen Schranke der Verhältnismäßigkeit. Von der EMRK wird nur insoweit abgewichen, als der Tatbestand der lit. b präzise auf das österreichische Verfassungsrecht abgestimmt ist. Dienstleistungen im Fall von Notständen und Katastrophen sind z.B. Hilfeleistungen nach einem Hochwasser. Arbeiten oder Dienstleistungen, die zu den normalen Bürgerpflichten gehören, sind beispielsweise kommunale Hand- und Spanndienste, Feuerwehrdienste etc.

6.      Das Verbot des Menschenhandels gemäß Absatz 4 entspricht Art. 5 Abs. 3 GRCh. Das Verbot ergibt sich unmittelbar aus dem Grundsatz der Menschenwürde und trägt neueren Entwicklungen auf dem Gebiet der organisierten Kriminalität wie der Schlepperkriminalität oder der organisierten sexuellen Ausbeutung Rechnung.

Artikel 16 (Freizügigkeit)

(1) Jede Person, die sich rechtmäßig in Österreich aufhält, hat das Recht, sich im Bundesgebiet frei zu bewegen und an jedem Ort ihren Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen.

 

(2) Jeder Person steht es frei, Österreich zu verlassen.

 

(3) Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als denen, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der Verhütung von Straftaten, des Schutzes der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

 

(4) Die in Absatz 1 anerkannten Rechte können ferner für den Bereich bestimmter Gebiete Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt sind.

 

 

Erläuterungen:

  1. Artikel 16 übernimmt die in Art. 2 4. ZPEMRK enthaltenen Freizügigkeitsgarantien sowie die entsprechenden Schrankenregelungen. Die GRCh regelt die Freizügigkeit in Art. 45.
  2. Absatz 1 gewährleistet die Freizügigkeit im Bundesgebiet für österreichische Staatsangehörige und Ausländer, die sich rechtmäßig in Österreich aufhalten. Diese Garantie entspricht Art. 2 Abs. 1 4. ZPEMRK. Art. 45 Abs. 1 GRCh geht über diese Gewährleistung hinaus. Er garantiert Unionsbürgern Freizügigkeit im gesamten Gebiet der Union. Bezüglich der Drittstaatsangehörigen trifft Art. 45 Abs. 2 GRCh keine abschließende Regelung. Nach dieser Bestimmung kann Drittstaatsangehörigen, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, Freizügigkeit nach dem EU-Vertrag gewährt werden. Ein solches Recht kann nach dem Vertrag von Amsterdam im Rahmen des Vertragstitels über die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 61 ff. EG) durch den Erlass von Bestimmungen des Sekundärrechts gewährleistet werden.
  3. In Absatz 2 ist die Garantie der Ausreisefreiheit verankert. Diese Regelung entspricht Art. 2 Abs. 2 4. ZPEMRK.
  4. Absatz 3 und 4 enthalten die Schrankenregelungen, die mit jenen des Art. 2 Abs. 3, 4 4. ZPEMRK übereinstimmen. Absatz 3 regelt einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auf die Garantien der Absätze 1 und 2 Anwendung findet. Absatz 4 enthält eine besondere Einschränkungsmöglichkeit bezüglich der in Absatz 1 geregelten Freizügigkeit. Danach sind Beschränkungen der Freizügigkeit für bestimmte Gebiete unter der Voraussetzung der gesetzlichen Grundlage und der Verhältnismäßigkeit zulässig.

Artikel 17 (Einreisefreiheit; Aufenthaltsgarantien)

(1) Österreichischen Staatsangehörigen darf das Recht, nach Österreich einzureisen, nicht entzogen werden.

 

(2) Österreichische Staatsangehörige dürfen weder ausgewiesen noch ausgeliefert werden. Dieses Verbot steht einer gesetzlich vorgesehenen Zurückstellung oder Auslieferung einer Person an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof nicht entgegen, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

 

(3) Im Übrigen dürfen Personen, die ihren rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich haben, nur auf Grund einer rechtmäßig ergangenen Entscheidung ausgewiesen werden; ihnen muss gestattet werden,

a)      Gründe vorzubringen, die gegen ihre Ausweisung sprechen,

b)      ihren Fall prüfen zu lassen und

c)      sich zu diesem Zweck vor der zuständigen Behörde oder vor einer oder mehreren von dieser Behörde bestimmten Personen vertreten zu lassen.

Vor Ausübung der in lit. a, b und c genannten Rechte dürfen Personen nur ausgewiesen werden, wenn eine solche Ausweisung im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erfolgt.

 

(4) Kollektivausweisungen sind nicht zulässig. Keine Person darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.

 

 

Erläuterungen:

1.      Absatz 1 garantiert die Einreisefreiheit für Staatsangehörige. Diese Gewährleistung entspricht Art. 3 Abs. 2 4. ZPEMRK.

2.      Absatz 2 enthält das Verbot, österreichische Staatsangehörige auszuweisen oder auszuliefern. Diese Garantie entspricht der Verfassungsbestimmung des § 12 ARHG (Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz, BGBl. Nr. 529/1979). Eine Ausnahme ist wie bisher für die gesetzlich vorgesehene Zurückstellung einer Person zulässig. Nach § 12 Abs. 2 ARHG ist die Zurückstellung eines den österreichischen Behörden von einer ausländischen Behörde zur Durchführung bestimmter Verfahrenshandlungen oder im Zusammenhang mit der Leistung von Rechtshilfe nur vorläufig übergebenen österreichischen Staatsbürgers zulässig. Neu ist ein begrenzter Gesetzesvorbehalt für die Auslieferung an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof. Damit soll bestehenden und künftigen europa- und völkerrechtlichen Anforderungen Rechnung getragen werden. Voraussetzung einer Auslieferung ist aber in jedem Fall die Wahrung eines rechtsstaatlichen Mindeststandards.

3.      Für nicht-österreichische Staatsangehörige gilt Absatz 3. Die dort verankerten Rechte entsprechen der Gewährleistung in Art. 1 7. ZPEMRK. Sie verlangen für die Ausweisung von nicht-österreichischen Staatsangehörigen eine rechtmäßig ergangene Entscheidung und sichern bestimmte Verfahrensgarantien.

4.      Das Verbot von Kollektivausweisungen nach Absatz 4 entspricht der Garantie des Art. 4 4. ZPEMRK sowie des Art. 19 Abs. 1 GRCh. Absatz 3 Satz 2 verbietet unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Betroffenen die Abschiebung oder Ausweisung an einen Staat, in dem das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Diese Gewährleistung hat die Rechtsprechung des EGMR aus Art. 3 EMRK abgeleitet (vgl. etwa EGMR, Urt. v. 7.7.1989, Soering, Serie A 161, Z. 91; Urt. v. 17.12.1996, Ahmed, RJD 1996-VI, Z. 43 ff.). Sie ist zudem in Art. 19 Abs. 2 GRCh gewährleistet.


Artikel 18 (Asylrecht)

Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Jänner 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge gewährleistet.

 

 

Erläuterungen:

Artikel 18 entspricht im Wesentlichen Art. 18 GRCh.


Artikel 19 (Recht auf ein faires Verfahren)

(1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und in angemessener Frist verhandelt wird. Das Urteil muss öffentlich verkündet werden; Presse und Öffentlichkeit können jedoch während des ganzen oder eines Teiles des Verfahrens ausgeschlossen werden, wenn dies im Interesse der Moral, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einer demokratischen Gesellschaft liegt, wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen, oder – soweit das Gericht es für unbedingt erforderlich hält – wenn unter besonderen Umständen eine öffentliche Verhandlung die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde.

 

(2) In Justizstrafverfahren gilt der Anklageprozess. Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.

 

(3) Jede angeklagte Person hat insbesondere die folgenden Rechte:

a)      innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihr verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen sie erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden;

b)      ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung ihrer Verteidigung zur Verfügung zu haben;

c)      sich selbst zu verteidigen, sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist;

d)      Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten;

e)      unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetschers zu verlangen, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder nicht spricht.

 

(4) Keine Person darf ihrem gesetzlichen Richter entzogen werden.

 

 

Erläuterungen:

  1. Absatz 1 entspricht Art. 6 Abs. 1 EMRK. Entgegen der Bestimmung des Art. 47 GRCh wird die Beschränkung auf „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen“ beibehalten. Im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR besteht innerhalb bestimmter Schranken auch im Zivilprozess ein Recht auf Verfahrenshilfe (vgl. Art. 47 GRCh; für Strafsachen Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK).
  2. Absatz 2 Satz 2 enthält die Unschuldsvermutung. Aus ihr folgt auch das Verbot des Zwangs zur Selbstbeschuldigung („nemo tenetur“). Dieses wird im österreichischen Verfassungsrecht auch als Ausdruck des Anklageprinzip im materiellen Sinn verstanden. Es gilt im Einklang mit der Schutzbereichsumschreibung des Absatz 1 auch für Verwaltungsstrafverfahren und bestimmte Arten von Disziplinarverfahren. Das Anklageprinzip insgesamt unter Einschluss des Prinzips im formellen Sinn soll nach Satz 1 jedoch wie bisher auf Justizstrafsachen beschränkt bleiben.
  3. Aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ergibt sich unter bestimmten Voraussetzungen auch ein Recht auf Akteneinsicht (vgl. für die europäische Ebene das Recht auf Zugang zu Dokumenten nach Art. 42 GRCh).
  4. Absatz 3 entspricht Art. 6 Abs. 3 EMRK und Art. 48 Abs. 2 GRCh.
  5. Die Garantie des gesetzlichen Richters nach Absatz 4 entspricht Art. 82 Abs. 3 B-VG.

 


Artikel 20 (Garantien im Strafverfahren)

(1) Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden.

 

(2) Durch Absatz 1 darf die Verurteilung oder Bestrafung einer Person nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern allgemein anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war.

 

(3) Das verhängte Strafmaß darf gegenüber der Straftat nicht unverhältnismäßig sein.

 

(4) Wer von einem Gericht wegen einer strafbaren Handlung verurteilt worden ist, hat das Recht, das Urteil von einem übergeordneten Gericht nachprüfen zu lassen. Die Ausübung dieses Rechts, einschließlich der Gründe, aus denen es ausgeübt werden kann, richtet sich nach dem Gesetz. Ausnahmen von diesem Recht sind für strafbare Handlungen geringfügiger Art, wie sie durch Gesetz näher bestimmt sind, oder in Fällen möglich, in denen das Verfahren gegen eine Person in erster Instanz vor dem obersten Gericht stattgefunden hat oder in denen sie nach einem gegen ihren Freispruch eingelegten Rechtsmittel verurteilt worden ist.

 

(5) Ist jemand wegen einer strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt und ist das Urteil später aufgehoben oder der Verurteilte begnadigt worden, weil eine neue oder eine neu bekannt gewordene Tatsache schlüssig beweist, dass ein Fehlurteil vorlag, so ist derjenige, der auf Grund eines solchen Urteils eine Strafe verbüßt hat, entsprechend dem Gesetz zu entschädigen, sofern nicht nachgewiesen wird, dass das nicht rechtzeitige Bekanntwerden der betreffenden Tatsache ganz oder teilweise ihm zuzuschreiben ist.

 

(6) Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung, wegen der sie oder er in Österreich oder in der Europäischen Union bereits rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut vor ein österreichisches Gericht oder eine österreichische Verwaltungsbehörde gestellt oder bestraft werden. Dies schließt die Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem Gesetz nicht aus, falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das vorausgegangene Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel aufweist.

 

 

Erläuterungen:

  1. Artikel 20 enthält verschiedene Garantien in Zusammenhang mit strafrechtlichen Verfahren. Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich auf Strafverfahren im Sinne des Artikel 19 Abs. 1.
  2. Absatz 1 entspricht inhaltlich Art. 7 Abs. 1 EMRK.
  3. Absatz 2 entspricht inhaltlich Art. 7 Abs. 2 EMRK.
  4. Absatz 3 entspricht inhaltlich Art. 49 Abs. 3 GRCh.
  5. Absatz 4 entspricht inhaltlich Art. 2 7. ZP EMRK
  6. Absatz 5 entspricht inhaltlich Art. 3 7. ZP EMRK.
  7. Absatz 6 entspricht inhaltlich Art. 4 7. ZPEMRK. Das Doppelverfolgungsverbot wird jedoch im Einklang mit Art. 50 GRCh auf die Europäische Union ausgedehnt.

Artikel 21 (Wahlrecht)

Österreichische Staatsangehörige haben nach den verfassungsrechtlichen Bedingungen das Recht auf das aktive und passive Wahlrecht für die Wahl des Bundespräsidenten, die Wahlen zum Nationalrat, zum Landtag und zum Gemeinderat.

 

 

Erläuterungen:

Artikel 21 enthält eine allgemeine Wahlrechtsgarantie, die bei der Regelung der einzelnen Wahlen im übrigen Verfassungsrecht näher ausgeführt wird. Er entspricht den internationalen und europarechtlichen Vorgaben des Art. 3 1. ZPEMRK sowie der Art. 39 und 40 GRCh. Hinsichtlich des Kommunalwahlrechts für EU-Ausländer ist Artikel 22 Abs. 2 des Entwurfs zu beachten.


Artikel 22 (Allgemeine Bestimmungen)

(1) Die vorstehenden Grundrechte binden Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit.

 

(2) Nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Union gelten die österreichischen Staatsangehörigen vorbehaltenen Grundrechte auch für Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union.

 

(3) Die Grundrechte gelten auch für juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

 

(4) Wer durch den Staat in Grundrechten verletzt wird, hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf.

 

 

Erläuterungen:

  1. Absatz 1 stellt klar, dass alle Staatsgewalten an die Grundrechte gebunden sind.
  2. Absatz 2 enthält eine so genannte „Unionsbürgerklausel“. Sie stellt eine  Gleichbehandlung von EU-Bürgern anderer Mitgliedstaaten mit österreichischen Staatsangehörigen in jenen Fällen sicher, in denen dies durch das Recht der Europäischen Union geboten ist.
  3. Absatz 3 stellt klar, dass auch juristische Personen Träger von Grundrechten sein können. Voraussetzung ist, dass das betreffende Grundrecht seinem Wesen nach auch auf juristische Personen Anwendung finden kann. Damit wird im Wesentlichen die Rechtsprechung des VfGH zur Grundrechtsfähigkeit von juristischen Personen übernommen.
  4. Absatz 4 enthält einen dem Artikel 13 EMRK entsprechenden Anspruch. Der Begriff des wirksamen Rechtsbehelfs ist aus Art. 47 Abs. 1 GRCh übernommen.

Artikel 23 (Gewährleistungspflichten im Arbeits- und Sozialrecht)

Durch Gesetz ist zu gewährleisten:

  1. ein Anspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder ihrer Vertreter auf eine rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung;
  2. das Recht jeder Person auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst;
  3. ein Anspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung;
  4. das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen sowie auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub;
  5. ein Mindestalter für den Eintritt in das Arbeitsleben, wobei das Alter, in dem die Schulpflicht endet, nicht unterschritten werden darf; zur Arbeit zugelassene Jugendliche müssen ihrem Alter angepasste Arbeitsbedingungen erhalten und vor wirtschaftlicher Ausbeutung und vor jeder Arbeit geschützt werden, die ihre Sicherheit, ihre Gesundheit, ihre körperliche, geistige, sittliche oder soziale Entwicklung beeinträchtigen oder ihre Erziehung gefährden könnte;
  6. das Recht jeder Person auf Schutz vor Entlassung aus einem mit der Mutterschaft zusammenhängenden Grund; das Beschäftigungsverbot für Mütter vor und nach der Entbindung und das Recht auf Karenz für Mütter und Väter nach der Geburt oder Adoption eines Kindes;
  7. ein Anspruch für Personen, die in Österreich ihren rechtmäßigen Wohnsitz haben, auf soziale Vergünstigungen sowie auf Leistungen der Sozialversicherung und soziale Dienste, die in Fällen wie Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit oder im Alter sowie bei Verlust des Arbeitsplatzes Schutz gewährleisten, und
  8. das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen.

 

 

Erläuterungen:

Artikel 23 enthält verschiedene Gesetzgebungsaufträge auf dem Gebiet des Arbeits- und Sozialrechts, die keinen unmittelbaren Anspruch auf Durchsetzung vor den Gerichten einschließlich des Verfassungsgerichtshofes vermitteln. Sie sind gleichwohl für den Gesetzgeber bindend. Damit wird dem auch vom Mandat des Ausschusses „Grundrechte“ erfassten Anliegen der Verankerung sogenannter „sozialer Grundrechte“ Rechnung getragen. Weitere Garantien finden sich an verschiedenen Stellen der Artikel 1 bis 20 des Entwurfs (vgl. z.B. Artikel 12 Abs. 2, Artikel 13 Abs. 3).

In inhaltlicher Sicht orientiert sich Artikel 23 an den sozialen Rechten der Grundrechte-Charta aus dem Kapitel „Solidarität“. Dort sind die „Ansprüche“ laut Charta zumeist nach „Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und den einzelstaatlichen Gepflogenheiten“ gewährleistet (z.B. Art. 27 GRCh), womit den Mitgliedstaaten ein weiter Spielraum eingeräumt wird. Dies ist bei der Gegenüberstellung der GRCh mit dem vorliegenden Entwurf zu beachten. Auch für den österreichischen Gesetzgeber gilt, dass er bei der Erfüllung der Gesetzgebungsaufträge einen rechtspolitischen Spielraum der Ausgestaltung hat. Er hat Auftrag, Voraussetzungen und Umfang der Garantien zu bestimmen. Soweit bei der Erfüllung der Gesetzgebungsaufträge Grundrechte berührt werden, sind deren Schranken zu beachten, insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie das dem Gleichheitsgebot innewohnende Sachlichkeitsgebot.

Im Einzelnen ist Folgendes zu bemerken:

1.      Der Auftrag der Ziffer 1 entspricht inhaltlich im Wesentlichen Art. 27 GRCh. Der Gesetzgeber hat danach das Recht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung im Unternehmen zu regeln und ihre betriebsverfassungsrechtliche Stellung insofern zu klären. Im Einzelnen wird zu regeln sein, welche Unternehmen der Pflicht zur Unterrichtung und Anhörung unterliegen, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen Unterrichtungs- und Anhörungsrechte bestehen. Bei der Festlegung hat der Gesetzgeber die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts (z.B. Betriebsübergangsrichtlinie) zu berücksichtigen. Im Übrigen sind Schwellenwerte für die Einrichtung bestimmter Organe oder Formen und Verfahren der Unterrichtung und Anhörung, wie sie derzeit verbreitet bestehen, mit dem Gesetzgebungsauftrag ohne weiteres vereinbar (z.B. Beschäftigtenanzahl für die Einrichtung eines Betriebsrates).

2.      Der Auftrag der Ziffer 2 entspricht inhaltlich Art. 29 GRCh. Das Recht auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst nach Art. 29 GRCh hat in erster Linie abwehrrechtlichen Charakter und enthält darüber hinaus eine Schutzverpflichtung des Staates. Sie hat den Inhalt, dass der Staat nach dem Gesetzgebungsauftrag des Artikel 23 Ziffer 2 keine Maßnahmen ergreifen darf, die den Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst gefährden. Ferner muss er den diskriminierungsfreien Zugang dazu gesetzlich sicherstellen.

3.      Der Auftrag der Ziffer 3 entspricht inhaltlich Art. 30 GRCh. Danach ist der Staat verpflichtet, durch gesetzliche Regelungen den Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung zu gewährleisten. Unter „Entlassung“ ist die vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung des Arbeitgebers zu verstehen. Eine ungerechtfertigte Entlassung ist entsprechend der Europäischen Sozialcharta etwa anzunehmen, wenn diese aufgrund der Gewerkschaftszugehörigkeit, wegen Mutterschafts- oder Elternurlaubs oder aufgrund einer Diskriminierung erfolgte. In welcher Weise gesetzlich Schutz zu gewährleisten ist, wird durch Artikel 23 Ziffer 3 ebenso wenig wie durch Art. 30 GRCh festgelegt.

4.      Der Auftrag der Ziffer 4 entspricht inhaltlich Art.  31 GRCh. Der Gesetzgeber hat danach Regelungen zu treffen, durch die angemessene Arbeitsbedingungen gewährleistet werden. Dazu zählen etwas Regelungen zur Arbeitssicherheit, zum Schutz der Gesundheit in den Betrieben (insbesondere für besonders gefährdete Personen wie Jugendliche, Schwangere und stillende Mütter). Ausdrücklich wird ein Auftrag zur gesetzlichen Bestimmung von Höchstarbeitszeiten, Ruhezeiten und Jahresurlaub verankert. Entsprechende gesetzliche Regelungen dienen ebenfalls dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

5.      Der Auftrag der Ziffer 5 entspricht inhaltlich Art. 32 GRCh. Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet festzulegen, ab welchem Alter Jugendliche in das Berufsleben eintreten können. Dabei ist eine Regelung, die nach täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeiten differenzierte Altersgrenzen festlegt, zulässig. Ferner muss der Gesetzgeber zum Schutz jugendlicher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besondere Regelungen treffen, die eine Rücksichtnahme auf das Alter in den Betrieben gewährleisten. Die geltenden gesetzlichen Bestimmungen und Verordnungen (z.B. KJBG, BAG, Verordnungen zum ASchG) werden dieser Vorgabe gerecht.

6.      Der Auftrag der Ziffer 6 entspricht inhaltlich Art. 33 Abs. 2 GRCh. In Erfüllung dieser Pflicht hat der Gesetzgeber jedenfalls einen Anspruch auf bezahlten Mutterschaftsurlaub sowie das Recht der Eltern auf Elternurlaub nach der Geburt oder Adoption eines Kindes entsprechend Art. 33 Abs. 2 GRCh vorzusehen. Auch das ebenfalls in Art. 33 Abs. 2 GRCh gewährleistete Recht auf Schutz vor Entlassung aus einem mit der Elternschaft zusammenhängenden Grund ist als Gesetzgebungsauftrag verankert. Hinsichtlich einer Adoption besteht der Anspruch nicht bei Adoption eines Volljährigen. Dies kommt in der Wendung „eines Kindes“ zum Ausdruck.

7.      Der Auftrag der Ziffer 7 entspricht inhaltlich Art. 34 Abs. 1 und 2 GRCh. Danach sind die entsprechenden Ansprüche gesetzlich zu verankern. Die bestehenden Anspruchsvoraussetzungen bleiben unberührt. Unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang Ansprüche zu gewährleisten sind, wird durch den Gesetzgebungsauftrag nicht vorgegeben, sondern fällt in den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass die betreffende Person ihren rechtmäßigen Wohnsitz in Österreich hat.

8.      Der Auftrag der Ziffer 8 dient der Bekämpfung der Armut und sozialer Ausgrenzung. Er entspricht inhaltlich Art. 34 Abs. 3 GRCh, ist allerdings auf die innerstaatliche Situation bezogen. Während die Union nach Art. 34 Abs. 3 GRCh lediglich das Recht auf eine soziale Unterstützung anerkennt und achtet und somit ein bloßes Abwehrrecht verankert ist, verpflichtet Artikel 23 Ziffer 8 den Gesetzgeber zur Gewährleistung eines Anspruchs auf soziale Unterstützung. Unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang dieser Anspruch zu gewährleisten ist, wird durch den Gesetzgebungsauftrag nicht vorgegeben, sondern fällt in den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.