Dr. Günter Voith

 

Überlegungen zum Verfassungskonvent

 

Das „Einfangen“ der fugitiven Verfassungsbestimmungen

 

Vorgaben (Voraussetzungen):

1. Ab sofort keine neuen solchen Verfassungsbestimmungen in Einfachgesetzen, sondern entweder

a)      Verzichten auf Verfassungsbestimmung mit Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der gewollten Bestimmung oder

b)      Änderungen in der Verfassung selbst oder

c)      (schlechter) eigenes kleines Verfassungsgesetz, das eventuell später mit anderen in einem „Verfassungsbegleitgesetz“ zusammengefasst werden kann.

 

2. Die Verfassung soll weitgehend auf Grundsätze und Zielvorgaben reduziert sein; dann minimiert sich auch das Problem der gewünschten neuen Verfassungsbestimmungen.

 

Methoden:

 

a)      alle fugitiven Verfassungsbestimmungen rasch in 1 Verfassungsgesetz zusammenfassen und die Bestimmungen in den betroffenen Gesetzen zu einfachgesetzlichen erklären.Dann allmählich abarbeiten, d. h. blockweise

aa) aufheben (die Bestimmungen könnten als einfachgesetzliche in den Einfachgesetzen er-

      halten bleiben, bis sie gegebenenfalls vom VerfGH aufgehoben werden); oder

ab) als Änderungen in die Verfassung aufnehmen oder

ac) als „Verfassungsnebengesetz“ bestehen lassen.

VORTEIL der Methode a): Schnelles Weiterkommen, klare Arbeitsweise.

NACHTEIL: Als erstes müssen alle fugitiven schnell gefunden werden; langes Verfahren in der Folge.

 

b)      alle fugitiven finden und gleich verändern laut aa/ab/ac.

VORTEIL: Laufende Teilergebnisse.

NACHTEIL: fugitive müssen gefunden werden, von Anfang an langsames Verfahren.

 

c)      Fugitive finden, in sachliche Gruppen ordnen (z. B. wo parallele Kompetenzen statuiert sind) und dann jeweils die ganze Sachgruppe nach aa/ab/ac behandeln.

VORTEIL: Klarheit und legistische Sauberkeit am besten erreicht, Übersicht über die Verfassung am besten gegeben.

NACHTEIL: hohe Sachkenntnis erforderlich, kann länger dauern.

 

Bad Bleiberg, 9. 6. 2003

GV

 

 


Günter Voith

 

 

567 Wünsche ans Christkind

 

Je mehr Wünsche vorher, desto größer die Enttäuschung nachher. Dabei hat das Christkind viel mehr Möglichkeiten als die Realität. Was wird der „Österreich-Konvent“ zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung bringen, nachdem er 567 Wünsche angehört hat? Dabei  wird ernst gearbeitet, in bisher an die 100 Sitzungen und entsprechend viel Papier.

 

 Schon seine Vorgaben, von den Spitzen aller 4 Parteien vollmundig formuliert, waren stark und zum Teil einander widersprechend:  Schlankerer, effizienter Staat zum Beispiel könnte, muss sich aber nicht mit Stärkung der Länderkompetenzen oder „mehr Demokratie“ decken. Im 70-köpfigen Konvent dominieren Parteipolitiker; dadurch werden immer mehr Wünsche vorgebracht, die in der Tagespolitik nicht durchgesetzt wurden, da sie nicht mehrheitsfähig oder nicht finanzierbar sind. Und erst recht rufen 80 und mehr Organisationen aller Art, von Jugendvertretern über Minderheiten bis zu Homosexuellen, nach mehr Rechten und mehr Förderung für sich. Dabei werden die Wünsche vor die falsche Tür gelegt: Die Politik hat die Prioritäten zu setzen, ob eher Universitäten, Wildwasserverbauung, ÖBB, Stadtgärten, Arbeitsplätze, Tierartenschutz, Altenbetreuung, Betriebsgründungen oder Asylanten zu fördern sind, und auch zu entscheiden, wer jetzt oder erst in Zukunft dafür aufzukommen hat. Die Verfassung hat (nur) zu bestimmen, wo und von wem diese und andere Entscheidungen zu fällen sind und dabei auf Rechtmäßigkeit, Effizienz und jetzt auch Verträglichkeit mit dem Souverän Europa zu achten. Sie hat dabei – frei nach Churchill – an die nächsten Gene-rationen und nicht nach Art der Parteipolitiker nur an die nächste Wahl zu denken.

 

Österreich hat nicht das Problem, zu wenig Wünsche für die vorhandenen Mittel zu haben, sondern natürlich umgekehrt. Jeder Wunsch muss, anders als beim Christkind, von anderen finanziert werden. Nur in Zeiten des Wirtschaftswachstums – woran wir gewöhnt waren – kann einiges an „Mehr“ geleistet werden.

 

Das ist aber auch die Chance für den Österreich-Konvent: Nur weil die Staatskasse so völlig darniederliegt, hat sich der Konsens gefunden, dass auch mit der Verfassung etwas geschehen muss. Einerseits ist eine tiefgreifendere Verwaltungsaktualisierung als bisher unerlässlich geworden – und dazu muss die Verfassung den Rahmen bieten -, andererseits ist in Zeiten der großen Koalition in einem Ausmaß (Tages-)Politik auf das Verfassungsgebäude geladen worden, dass dieses am Zusammenbrechen ist. Die Erfüllung dieser zwei wichtigsten Wünsche ist zu erhoffen. Die Ausarbeitung einer modernen Verfassung darf nicht – wie so viele andere, schwerere Bürden – auch noch der nächsten Generation aufgeladen werden. -

 

19. 12. 2003


 

 

Reformen - in Österreich?

 

 

Sieht man es nüchtern: reichlich pleite ist der Staat;

 

kein Trost, dass man's wo anders auch nicht besser hat.

 

Man kritisiert und schimpft und raunzt fest hierzulande,

 

macht ständig Wahlkampf, sorgt vielleicht für sich am Rande.

 

Niemand bestreitet, dass Reformen dringend nötig...

 

Dann macht auf einmal sich die ÖVP erbötig,

 

dass durchzieht sie die wichtigsten Veränderungen -

 

die Mehrheit zu gewinnen ist ihr so gelungen.

 

Jetzt, da sie vorlegt – abgeschwächt – Reformvorschläge,

 

da schreien die Bewahrer laut aus jeder Ecke.

 

Reformen hier in Österreich? Welch Utopie!

 

Nur fest die Köpfe in den Sand! Verändern – nie! -

 

Glaubt ihr, Reformen heißt, es jedem Recht zu machen?

 

Denkt ihr an eure Haut allein – der Staat soll krachen? -

 

Ja, die Parteien, die sind damit nicht in Nöten;

 

sie zieh'n den Schluss: nie wieder von Reformen reden!

 

Soll halt der Staat im Sumpf der Agonie versinken.

 

Verantwortung ade. (Manch einem wird's was bringen!)

 

Verweisen lässt sich auf die jeweils nächste Wahl -

 

die ändert alles, sagt man -  schon zum x-ten Mal.

 

 

VIII/2004                                              G.V.

 


 

Was tut der Verfassungskonvent?

 

Warum braucht die Steiermark mehr als doppelt so viel Landesbedienstete (22710 im Jahr 2002) als das gleich große Oberösterreich (9595)? Warum benötigt die Stadtverwaltung von St. Pölten 3874 Bedienstete, das vergleichbar große Bregenz 466, das doppelt so große Inns-bruck 1797? Längst hat die Beschäftigtenzahl im öffentliche Dienst diejenige in der Industrie überholt, wobei die Industrieproduktion sich seither mehr als verdoppelt hat.

 

Kein privatwirtschaftlicher Betrieb könnte eine solche Kostendiskrepanz überleben. Aber nur Wettbewerb schafft Leistung, und wir sind hier im übergroßen geschützten Bereich, wo die enormen Veränderungsmöglichkeiten für rationellere Verwaltungsabläufe der letzten Jahr-zehnte von „Was brauch ma dös?“ und „Vurschrift is Vurschrift“ ignoriert werden konnten, und wo jeder kleine Chef bis zum Minister seinen Erfolg darin findet, einen möglichst großen Teil des Steuertopfes für seine Abteilung oder sein Gebiet zu erobern.

 

Zum Teil ist die Kostenexplosion des öffentlichen Dienstes freilich auf die Gesetzesflut zurückzuführen, die der Verwaltung immer neue Aufgaben aufgebürdet hat, ohne überholte zu eliminieren. Deshalb wurde 2000 von der damals neuen Regierung, einer Forderung der Industriellenvereinigung entsprechend, eine Kommission von 12 (Nichtbeamten) zur Durch-forstung der Staatsaufgaben eingesetzt („Raschauer-Kommission“), die im März 2001 ihre Vorschläge unterbreitet hat; sie gehen weit über die Verwaltungsreformansätze in vielen Jahren vorher hinaus.

 

Wegen vielerlei Machterhaltungsinteressen wurde nur ein Bruchteil der Vorschläge 2001 in Angriff genommen, aber auch mangels Verfassungsmehrheit der ÖVP-FPÖ-Koalition. Um Spielraum für Reformen zu schaffen, wurde daraufhin der Ruf nach einer umfassenden Ver-fassungsreform durch einen Konvent laut. Umso mehr, als die Verfassung schon längst formal als ein kaum überschaubares Monster gilt, hauptsächlich wegen hunderter Verfassungsbestim-mungen in Einfachgesetzen.

 

Alle 4 großen Parteien stimmten dieser Konventsidee zu; alle hatten Wünsche an eine neue Verfassung. Freilich wird unter „Modernisierung der Verfassung“ sehr Verschiedenes ver-standen, von Verschlankung der Staatsstrukturen bis zu Wahlalterherabsetzung oder Verstär-kung von Frauenrechten. Im Auftrag an den Konvent sind dadurch die verschiedensten, einander  widersprechenden Forderungen ohne Prioritätensetzung enthalten. Da von den 70 berufenen Konventsmitgliedern gut 60 Politiker oder von ihnen eng Abhängige sind (z. B. Spitzenbeamte), werden die Debatten immer wieder in die bekannten Gegensätze der Parteiinteressen, -gegensätze, –ideologien und auch –taktiken gezogen, wie Föderalismus/ Zentralismus, viele/wenige Grundrechte und Staatsziele und: was klingt für meine Klientel gut (auch wenn es in der Verfassung nichts zu suchen hat). So wurde allein die Aufnahme von insgesamt 58 „Staatszielen“  in die Verfassung (jetzt so gut wie 0) gefordert, ohne Rücksicht auf ihre Gegensätzlichkeit und ihre Finanzierbarkeit.

 

Dieses Hineintragen von Tages- und Parteipolitik ist meines Erachtens der Hauptgrund, warum in den Medien zunehmend kritisiert wird, dass der Konvent nicht weiterkommt. Zu Unrecht! Der Zeitplan dürfte eingehalten werden, wonach zu Ende 2004 ein kompletter Vorschlag für eine erneuerte Verfassung vorgelegt wird. Er wird allerdings – und nur höchst unrealistische Vorstellungen konnten anderes erwarten lassen – gute Ergebnisse für die „formalen“ Verbesserungen enthalten, wie „Entrümpelung“ der Verfassung, Flexibilisierung durch weniger Verfassungsnotwendigkeiten, klarere Kompetenzen, hoffentlich auch Grundla-

 

 

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gen für einfachere Reformmöglichkeit etwa im Dienstrecht, im Gesundheits- und im Bildungswesen. Erfüllung vieler anderer, divergierender Parteiwünsche wird aber das Kon-

ventsergebnis kaum bringen – ich möchte sagen, hoffentlich; denn das könnte nur nach dem

unseligen Prinzip geschehen, dass jeder einen „Brocken“ bekommt – und alles zu Lasten des Steuerzahlers.

 

Freilich liegen die Entscheidungen beim Präsidium des Konvents, und das heißt – wie denn anders – bei den Parteispitzen. Vielleicht tragen aber die Diskussionen und die Berichte der 10 Konventsausschüsse auch ein wenig dazu bei, dass Politik nicht immer nur als Parteipolitik missverstanden wird. Zumindest haben allein das Zustandekommen und die Intensität der Gespräche im Konvent wertvolle Anregungen über die weite Spannung der Vorstellungen über Staat und seine Grundordnung gebracht.

 

Gegen die würgende Finanznot des Staates und für die durchaus möglichen, enormen Einsparungen im Verwaltungsgeschehen kann die Verfassung freilich nur Grundlagen liefern. Die Verwaltungsreform muss eine permanente Herausforderung bleiben. Dass ein Staat auch radikale Reformen zustande bringen kann, zeigt etwa Estland vor, wo die gesamte Verwal-tungstätigkeit auf EDV umgestellt wurde (wir haben Aktenträger auf Grund der Kanzlei-ordnung von 1826)  und die ganze Verwaltungsebene zwischen Zentralstellen und Gemeinden abgeschafft wurde.

 

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