Können Verfassungsreformen gelingen?

– Lernen aus internationalen Erfahrungen

Konferenz des Instituts für Föderalismus und des Forum of Federations am 19. und 20. September 2007 im Parlament in Wien

 

 

Zusammenfassung der Tagung durch die Parlamentskorrespondenz
(PK Nr. 645/2007 und PK Nr. 649/2007)

 

Wien (PK) – "Können Verfassungsreformen gelingen?" Dieser Frage geht eine hochkarätig besetzte Fachtagung nach, die heute und morgen im Hohen Haus internationale Erfahrungen zum Thema austauschen und zu diskutieren beabsichtigt. Auf Einladung des Instituts für Föderalismus an der Universität Innsbruck und des "Forum of Federations" hielten heute unter anderen Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder, der schweizerische Altbundespräsident Arnold Koller und Bundesratsvizepräsident Jürgen Weiss Grundsatzreferate, die in der Folge intensiv debattiert wurden.

 

Peter Bußjäger vom Institut für Föderalismus wies nach Begrüßung der Referenten darauf hin, dass innerhalb wie außerhalb Europas derzeit eine Vielzahl an verfassungsrechtlichen Prozessen abliefen, die als Erfahrungsquelle herangezogen werden könnten. Grundintention der Veranstaltung sei es daher, internationale Erkenntnisse auf dem Gebiet der Verfassungsreform praktisch nutzbar zu machen. Die Konferenz könne zudem direkt vor dem Hintergrund der Arbeit des Österreich-Konvents gesehen werden. Besonderer Dank gebühre Bundesrat wie Bundeskanzleramt, die sich maßgeblich an der Organisation der Veranstaltung beteiligt hätten, so Bußjäger.

 

Wolf Okresek, Mitglied im Vorstand des Forum of Federations, skizzierte den Themenbereich der Konferenz und merkte hierbei an, dass der Vergleich einzelner Systeme und der damit verbundene globale Dialog in besonderem Maße Lösungsansätze für den eigenen Weg aufzeigen könnten.

 

Lienbacher: Vom Österreich-Konvent zur Verfassungsreform

 

Georg Lienbacher, Leiter des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt, ging auf Stand und Perspektiven der Staatsreform in Österreich ein, wobei er pointiert meinte, bisher habe es viele Anläufe zu einer solchen Reform gegeben, die jedoch kaum reale Ergebnisse gezeitigt hätten. So seien in den letzten 40 Jahren immer wieder Versuche unternommen worden, die österreichische Bundesverfassung den veränderten Bedingungen anzupassen, etwa im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Österreichs, wobei vor allem das "Perchtoldsdorfer Paktum" von 1992 zu nennen sei.

 

Auch der "Europäische Konvent" habe wichtige Impulse gebracht, sodass schließlich ein eigener "Österreich-Konvent" installiert worden sei, der in den 19 Monaten seiner Tätigkeit eine Vielzahl von Vorschlägen erarbeitet habe, ohne dass in der Folge eine Einigung über eine konkrete Reform der Verfassung habe erzielt werden können. Lienbacher analysierte die damaligen Rahmenbedingungen und nannte konkrete Gründe, an denen ein positiver Abschluss der Arbeiten des Konvents aus seiner Sicht gescheitert seien.

 

Es sei allerdings im Regierungsprogramm für die XXIII. Gesetzgebungsperiode eine Staats- und Verwaltungsreform auf Basis der Arbeiten des Österreich-Konvents vorgesehen, die auch eine zeitgemäße Bundesverfassung zum Ziel habe, führte Lienbacher weiter aus. Zu diesem Zweck sei eine entsprechende Expertengruppe eingesetzt, die bereits konkrete Vorschläge erarbeitet habe, wobei man von dem Ziel, eine gänzlich neue Verfassung zu schaffen, abgegangen sei, so Lienbacher, der sodann auf die Inhalte der beabsichtigten Reform einging und den aktuellen Stand der Arbeit darlegte.

 

Caravita: Der italienische Weg zum Föderalismus

 

Beniamino Caravita von der Universität "La Sapienza" in Rom setzte sich mit den Auswirkungen der neuen italienischen Verfassung von 2001 auseinander und bettete die diesbezüglichen Vorgänge in den historischen und juristischen Kontext ein, die dem Reformprozess zugrunde lagen. Die italienische Verfassung von 1948 sei eine starre Verfassung gewesen, die keine Totalrevision vorgesehen habe. Dementsprechend schwierig sei das Procedere gewesen, eine Reform ins Werk zu setzen.

 

In diesem Zusammenhang wies der Professor auch darauf hin, dass manche Aspekte der Verfassung – etwa die republikanischen und demokratischen Grundsätze der Konstitution – unrevidierbar seien. Der diesbezügliche Artikel 139 stelle damit unmissverständlich klar, dass die Monarchie auf konstitutionellem Wege nicht mehr in Italien eingeführt werden könne. Dies gelte auch für den Artikel 1, der das demokratische Prinzip für Italien festschreibe, sowie für die Grundrechte, die in den ersten 12 Artikeln der Verfassung dargelegt seien. Diese Grundrechte seien unverletzlich und daher verfassungsrechtlich unmodifizierbar.

 

Vor diesem Hintergrund referierte Caravita die verfassungsrechtlichen Diskussionen ein, die in Italien um die Frage gekreist seien, auf welche Weise und unter welchen Bedingungen eine Revision der Verfassung vorgenommen werden könne. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Verfassung von 1948 von einer breiten Mehrheit unter Einschluss der Opposition – mit Ausnahme von Monarchisten und Neofaschisten – beschlossen worden war, was ihr den Mythos, Produkt einer goldenen Ära zu sein, einbrachte. Dementsprechend selten sei es im vorigen Jahrhundert zu Verfassungsänderungen gekommen, die zudem nur punktuelle Änderungen beabsichtigt hatten. Erst seit 1999 sei die Diskussion über eine Reform in ein neues Stadium eingetreten. Im Zentrum der Debatten sei dabei von Anfang an die Frage des Regionalismus und damit des Föderalismus gestanden. Nach einer ersten Reform 1999 sei es 2001 zu einer weiteren Reform gekommen, die auch durch eine Volksabstimmung approbiert worden sei. Seitdem könne man von einem italienischen Weg zum Föderalismus sprechen, hielt Caravita fest, der schließlich auf die Details der neuen Verfassung einging.

 

Durnwalder: Erfolgsmodell Südtirol

 

Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder betonte die europäische Dimension der Verfassungsdiskussion. Gerade vor dem Hintergrund regional unterschiedlicher Zugänge sei es wichtig, über den Föderalismus zu sprechen. Nicht zuletzt ob der Mentalitätsunterschiede in den einzelnen Staaten gebe es unterschiedliche Regelungen, und gerade in Italien bestehe in dieser Hinsicht nach wie vor Handlungsbedarf, komme es doch auf die praktische Umsetzung jener Absichtserklärungen an, die sein Vorredner angesprochen habe.

 

Durnwalder illustrierte anhand konkreter Beispiele die Verfassungsrealität im heutigen Italien, dabei vor allem auf die Rechte von Regionen mit Normal- und Regionen mit Sonderstatut – Sizilien, Sardinien, Friaul-Julisch Venetien, Aostatal, Trentino und Südtirol - eingehend. Neben diesen Formen regionaler Autonomie gebe es aber noch eine weitere Ebene, und diese betreffe eben Südtirol, habe Südtirol doch eine Autonomie auf Basis eines internationalen Vertrages. Gerade um diesen Vertrag habe es in den fünfziger und sechziger Jahre zum Teil heftige Debatten gegeben. Mit dem so genannten Paket, welches die Interpretation des ersten Autonomiestatus darstelle, sei die ganz besondere Stellung von Südtirols Autonomie allgemein anerkannt worden, wobei Österreich hierbei eine Schutzfunktion zukomme.

 

Durnwalder referierte sodann über die Vorteile und Möglichkeiten der Autonomie, von denen auch die Regionen mit Normalstatut, zumal im Lichte der Erfahrungen, die in Südtirol gemacht wurden, profitieren könnten. Man müsse die Autonomie dynamisch begreifen, was konkret bedeute, dass man ständig im Verhandlungswege die Regelungen der Autonomie der jeweils aktuellen Realität anpassen müsse. Diesen Ansatz illustrierte der Landeshauptmann im Lichte der ökonomischen, verkehrspolitischen und infrastrukturellen Politik Südtirols. Die Autonomie habe sich so als Erfolgsgeschichte erwiesen, wie die beachtlichen Kennzahlen Südtirols eindrucksvoll belegten. Die Autonomie sei somit wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch für die Kultur der Region und damit ein Modell für die Zukunft, schloss Durnwalder.

 

Hueglin: Kanadische Besonderheiten

 

Thomas Hueglin von der Universität in Waterloo sprach sodann über den kanadischen Weg "zwischen Scheitern und Verfassungsreformen und pragmatischen Lösungen". Viele Jahre sei das Interesse an Kanada eher peripherer Natur gewesen, doch habe er, Hueglin, schon vor langer Zeit darauf hingewiesen, dass die EU wesentlich eher dem kanadischen als dem amerikanischen Modell entspreche, und in der Tat werde Kanadas Bundesstaat heute mit anderen Augen gesehen.

 

Der Redner setzte sich sodann mit den Besonderheiten des kanadischen Raumes auseinander, dabei nicht nur auf unterschiedliche ökonomische Interessen, sondern vor allem auf die "Bikommunalität" Kanadas eingehend. Quebec sei eine französische Insel in einem nordamerikanisch-englischen Kulturozean, was der bikommunalen Problematik besondere Sensibilität verleihe.

 

Die kanadische Verfassungskonstruktion von 1867 weise dementsprechend einige nennenswerte Besonderheiten, aber auch einige Anomalien auf. Von dieser speziellen Gemengelage seien die diversen Verfassungsreformprozesse geprägt, so Hueglin. 1982 habe es ein erstes großes Verfassungsänderungspaket gegeben, danach habe es 1987 und 1992 zwei Versuche gegeben, eine Einigung mit Quebec, das der Reform von 1982 nicht zugestimmt habe, doch noch herbeizuführen. Beide Versuche seien jedoch gescheitert, führte der Redner aus, dabei auf die jeweiligen Gründe eingehend. Daraus sei zu folgern, dass es keine klare bundesstaatliche Regelungen für Kanada geben könne, vielmehr seien politische Übereinkünfte auf Exekutivebene im Rahmen einer bilateralen Prozedur auch weiterhin der folgerichtige kanadische Weg, den Föderalismus in der Praxis umzusetzen.

 

Schweiz mit Baukastenprinzip bei Verfassungsreform erfolgreich 

 

Der Schweizer Alt-Bundesrat Professor Arnold Koller leitete seine Ausführungen zur Totalrevision der Schweizerischen Bundesverfassung mit einem historischen Rückblick ein: Die Reformarbeiten an der aus dem Jahre 1874 stammenden, durch unzählige Teilrevisionen unübersichtlich gewordenen und teilweise obsoleten und im Bereich der Grundrechte lückenhaften Verfassung haben bis zum Inkrafttreten der neuen Schweizer Bundesverfassung im Jänner 2000 35 Jahre in Anspruch genommen.

 

Als Ziel galt, das geschriebene und ungeschriebene Verfassungsrecht "nachzuführen", es verständlich darzustellen, systematisch zu ordnen und sprachlich zu vereinheitlichen. Nach Ablehnung des EWR-Vertrages 1992 wurde ein Drei-Punkte-Programm unter dem Motto "Ordnung schaffen im eigenen Haus" erarbeitet. Als Erfolgsrezept erwies sich ein kombiniertes Vorgehen zwischen Nachführung des Bundesverfassungsrechts und mehreren Reformpaketen wie im Baukastensystem.

 

Der Nachführungsauftrag durch das Parlament aus dem Jahr 1987 richtete sich laut Professor Koller auf die Definition, was gültiges ungeschriebenes Verfassungsrecht sei und welche Normen verfassungswürdig seien. Die Verfassungswirklichkeit sei dabei die Leitlinie der Totalrevision gewesen.

 

Als einen wichtigen Teil der Reformarbeiten bezeichnete Koller die Vervollständigung des Grundrechtskatalogs, wobei vor allem die Schaffung von Transparenz eine wesentliche Rolle gespielt habe. Erfolgreich sei auch die Justizreform gewesen: Wichtige Bundeskompetenzen seien in die Verfassung aufgenommen worden, man habe eine Vereinheitlichung der Straf- und Zivilprozessordnungen erreicht. Weniger erfolgreich sei die Reform der Volksrechte gewesen, die in der direkten Demokratie der Schweiz ein heikles Thema darstelle.

 

Zusammenfassend stellte Bundesrat Koller fest, das Baukastenprinzip habe sich sehr gut bewährt; ohne dieses gäbe es vermutlich heute keine neue Bundesverfassung. Die unprätentiöse Nachführung habe verfassungsrechtlich mehr gebracht als man anfangs erwartet habe. Die neue Verfassung sei mit einer klaren Volksmehrheit und einer knappen Ständemehrheit angenommen worden. Es sei gelungen, der schweizerischen Alltagspolitik, die immer polarisierter und emotionaler werde, Halt und Richtung zu geben.

 

Jürgen Weiss erwartet eine beachtliche Reform

 

Vizepräsident des Bundesrates Jürgen Weiss leitete seine Antwort auf die Frage "Kommt diesmal wirklich eine Verfassungsreform zustande?" mit einem Rückblick in die jüngere österreichische Verfassungsentwicklung ein und hielt die Kritik am missbräuchlichen Einsatz von Verfassungsbestimmungen, vor allem durch "große Koalitionen alten Stils" für berechtigt, machte aber zugleich darauf aufmerksam, dass es gute Verfassungsreformen gegeben habe, etwa dann, wenn die Realisierung von Wünschen des Bundes mit Zugeständnissen an die Bundesländer kompensiert wurden.

 

Das Scheitern des Paktums von Perchtoldsdorf im Vorfeld des EU-Beitritts wertete Jürgen Weiß als Zeichen für die geänderten Rahmenbedingungen der Föderalismusdiskussion in den neunziger Jahren, als nicht mehr der Zentralismus, sondern der Föderalismus in der Kritik stand, der Föderalismus als Mobilitätshindernis dargestellt wurde und Forderungen nach einer neuen Architektur Österreichs erhoben wurden.

 

Der Verfassungskonvent, der auf eine neue Verfassungsurkunde gerichtet war, konnte den hochgesteckten Erwartungen nicht gerecht werden, weil unterschiedliche politische Interessenslagen nicht ausgeblendet werden konnten. Dem Österreich-Konvent komme aber das Verdienst zu, die Problemlage strukturiert und wichtige Vorarbeiten geleistet zu haben. Mittlerweile haben sich auch die politischen Voraussetzungen geändert. Die Regierungsparteien haben im Nationalrat und im Bundesrat die Verfassungsmehrheit und das Regierungsprogramm enthalte sehr detaillierte Passagen zur Verfassungsreform. Außerdem herrschen auch auf der Ebene der Bundesländer neuerdings ausgewogene politische Stärkeverhältnisse.

 

Vor diesem Hintergrund wagte der Vizepräsident die Prognose, es werde auf jeden Fall eine beachtliche Reform zustande kommen. So bestünden für die Landesverwaltungsgerichtsbarkeit bereits klare Lösungsmöglichkeiten. Ob es DIE große Verfassungsreform wird, müsse aber dahingestellt bleiben. Denn nach wie vor seien beachtliche Hürden zu überwinden. Weiss wies auf die Grundkritik an der Bundesstaatlichkeit hin und warnte vor übertriebenen und unrealistischen Einsparungserwartungen. Das Einsparungspotenzial sei in der Praxis geringer als erwartet, zeigte sich Weiss überzeugt, unter anderem erfordere der Aufbau des Rechtsschutzes auch Investitionen. Voraussetzung für eine Senkung der Verwaltungskosten sei eine Reduzierung der Aufgaben, und nicht zuletzt sei zu bedenken, dass die Verwaltungskosten in Österreich bereits jetzt unter dem EU-Durchschnitt liegen.

 

Weitere Hürden sah der BR-Vizepräsident in dem in Österreich weit verbreiteten Besitzstandsdenken, das die Bereinigung des Verfassungstextes erschwere, weil viele Organisationen Wert darauf legen, im Verfassungstext "vorzukommen". Offene sei auch die Frage, wie der Schutz der Länder zu organisieren sei, eine Aufgabe, für die Weiß den Bundesrat nannte. Skeptisch zeigte sich Weiss gegenüber Tendenzen zum Vollzugsföderalismus, weil dadurch der kontrollierende Einfluss der Landtage gegenüber dem Landeshauptmann zurückgedrängt werde. Als eine wichtige Frage bezeichnete Jürgen Weiss, wie namhaft die Gesetzgebungszuständigkeiten der Landtage künftig bleiben.

 

Schließlich ließ er eine Präferenz dafür erkennen, nicht dem Prinzip "alles oder nichts" zu folgen, sondern die Verfassungsreform in kompromissfähigen Teilschritten zu realisieren. Dabei werde es auf die Kraft ankommen, dem Einfluss interessenpolitischer Positionen zu widerstehen. Klar sei auch, dass man ohne das Festhalten an Ziel und Ablauf in der Verfassungspolitik keine Fortbewegung zustande bringen könne. (Schluss)

 

Beispiel Schweiz

 

Der Vortragsreigen begann mit dem Themenschwerpunkt Schweiz, wobei sich Luzius Mader und Thomas Pfisterer mit der seinerzeitigen "Totalrevision" der Schweizerischen Bundesverfassung auseinandersetzten.

 

Der Vizedirektor des Bundesamtes für Justiz in Bern, Luzius Mader, vertiefte als erster Referent des zweiten Tages die Beleuchtung der schweizerische Verfassungsreform, wobei er vor allem auf den zeitlichen Ablauf der Debatte und die konkrete Durchführung der Reformvorhaben, insbesondere auf die Projektorganisation, einging.

 

Der Redner stellte die einzelnen Themenbereiche vor, die im Vorfeld der Revision der Verfassung in Angriff genommen wurden, und erläuterte dabei die Art und Weise, wie diese Projekte umgesetzt wurden. Im einzelnen führte man Neuerungen im Finanzwesen, im Justizbereich und im schweizerischen Parlamentarismus durch, wobei die Ergebnisse dieser Prozesse jeweils auch in die Reformarbeit an der Verfassung einflossen, wie Mader betonte.

 

Die Verfassungsreform umfasste drei Vorlagen, die eigentliche Novellierung der Verfassung, die 1999 in einer Volksabstimmung angenommen wurde, die Volksrechtsreform, die vom schweizerischen Parlament angenommen und dann Volk und Ständen zur Annahme vorgelegt wurde, und die Justizreform, die ebenfalls via Volksabstimmung goutiert wurde. Mader rundete seine Ausführungen mit einer Darlegung der zeitlichen Abläufe des Projektes Verfassungsreform sowie mit Informationen ab, wer und auf welche Weise in die diversen Projekte eingebunden wurde. Abschließend zog der Redner ein persönliches Resümee des gesamten Reformprozesses.

 

Der Aargauer Ständerat Thomas Pfisterer setzte sich mit der Mitwirkung der Kantone in der schweizerischen Bundesverfassung auseinander. Dabei beleuchtete er ebenso die Rolle der Kantone bei der Novelle der Verfassung wie auch ihre Stellung im schweizerischen Verfassungsgefüge. Generell müssen die Kantone vom Bund rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben informiert werden, damit diese an der Willensbildung des Bundes in angemessener Weise mitwirken können. Eine wichtige Rolle kommt den Kantonen aber auch in der Außenpolitik und im Schulwesen zu.

 

Konkret berichtete der Redner von den Lehren, die man aus dem Verfassungsreformprozess gezogen habe, und illustrierte die Auswirkungen der Reform auf die politische Praxis. Mit der Revision der Verfassung habe man durch eine neue Form des Zusammenwirkens einen großen Fortschritt erzielt und somit sei man auf dem Weg zu einem "Aufgabenerfüllungsföderalismus".

 

Dennoch sei vieles noch im Fluss, doch weise die gewählte Vorgangsweise in die richtige Richtung. Dabei konkretisierte Pfisterer seine Ausführungen durch Beispiele aus dem politischen Alltag und meinte, die direkte Demokratie sei die wichtigste Stütze des schweizerischen Föderalismus. Dieser sei durch die Verfassungsrevision ausgeweitet und verrechtlicht worden, womit man auf die neuen politischen Herausforderungen adäquat reagiert habe.

 

Dabei lasse man sich von der Maxime leiten, dass der Föderalismus mit Sinn und Maß der Mitwirkung und mit Blick auf das Ganze betrieben werden müsse. Und so sei der schweizerische Föderalismus ein Föderalismus, der von unten wächst, so der Redner, der seine Ausführungen mit einigen Erläuterungen zu Detailfragen, die sich aus diesem Prozess ergaben, abschloss, wobei er nochmals festhielt, man sei in der Schweiz auf einem guten Weg, müsse diesen aber auch konsequent weiter beschreiten.

 

Beispiel Deutschland

 

Der ehemalige Staatssekretär von Sachsen Anhalt Rainer Holtschneider ging im Rahmen seines Beitrages auf jene Faktoren ein, welche die Durchsetzung der "Föderalismusreform I" begünstigt hätten. Einer Betrachtung der konkreten Ziele, Inhalte und Erfolge setzte er eine historische Betrachtung voran, wobei Holtschneider der Diskussion um den so genannten kooperativen Föderalismus breiten Raum widmete. Dieser hätte zu Beginn auf einem breiten Konsens beruht, sei später aufgrund veränderter politischer und gesellschaftlicher Bedingungen jedoch kritisiert worden und hätte zum Ruf nach einer Reform des Systems geführt.

 

Im Jahre 1998 habe man schließlich – aufgrund der schwierigen parteipolitischen Situation auf Bundesebene – Schritte in Richtung einer Reform gesetzt und eine Kommission hierzu eingerichtet. Diese scheiterte jedoch an einem zu knappen Zeitplan und an mangelnder Einigungsbereitschaft der Akteure.

 

Erst mit Sommer 2003 habe sich die Situation gewandelt, indem die Diskussion auf eine parlamentarische Ebene gehoben wurde. Gegenstand der Diskussion waren u.a. die Zuordnung von Gesetzgebungskompetenzen und die Finanzbeziehung zwischen Bund und Ländern. Die 2003 eingesetzte Kommission scheiterte jedoch an ihrer eigenen Größendimension von ausgangs 102 Mitgliedern und Mangel an Übereinstimmung in den Kernpunkten.

 

Die Vorgangsweise der Erarbeitung von Positionen durch die beiden Vorsitzenden und der Auslotung des Bestehens eines grundsätzlichen Konsenses zu diesen, erwies sich als vorübergehend fruchtbar, scheiterte jedoch ebenfalls. Dennoch konnten ca. 80 % der bereits verhandelten Punkte Aufnahme in die Reform 2006 finden.

 

Als kritischste Punkte der Reformverhandlungen nannte Holtschneider die Gebiete Hochschule und Umwelt. Einigkeit konnte schließlich über das Stellen erkennbarer Lösungsschneisen, die Etablierung einer Kultur des gegenseitigen Gebens und Nehmens zwischen Bund und Ländern, die fachgebietsübergreifende Lösungsfindung und die Mitwirkung namhafter PolitikerInnen erzielt werden.

 

Anton Hofmann, Mitarbeiter der Staatskanzlei des Freistaats Bayern, ging auf Besonderheiten des bundesdeutschen Föderalismus und die historisch gewachsene Balance zwischen Bund und Ländern ein. Die besonders starke Stellung des Bundes als Gesetzgebungsorgan habe schließlich zur Nutzung des Bundesrats als Blockadeinstrument geführt. Aus diesem Leidensdruck heraus sei schließlich die Notwendigkeit einer Reform erkannt worden.

 

Hofmann ging weiters auf die Schwierigkeit der zeitlichen Parallelität der Diskussion einer Föderalismusreform mit jener zum Finanzausgleich ein. Im vorliegenden Falle wäre eine Wiederaufnahme der Gespräche über das Verhältnis von Bund und Ländern erst nach Abschluss der Finanzausgleichsverhandlungen möglich gewesen.

 

Abschließend wies Hofmann darauf hin, dass eine Trennung der Kompetenzen in bestimmten Bereichen durchaus notwendig sei, der Einfluss der Länder müsse jedoch gewahrt bleiben.

 


Lehren für Österreich

 

Am Nachmittag diskutierte ein hochkarätiges Podium über allfällige Lehren aus den vorgestellten Verfassungsreformen für Österreich. Peter Bußjäger resümierte, dass aus den internationalen Beiträgen der letzten beiden Tage durchaus Lehren für den österreichischen Fall zu ziehen seien. Verfassungsreformen müssten, dies bestätigten die dargelegten Beispiele, als langer Prozess begriffen werden. Weiters sei die Notwendigkeit der Einbeziehung aller Beteiligten als wesentlicher Erfolgsfaktor zu bezeichnen. Der Gedanke, man könne einzelne Aufgaben einer bestimmten Ebene allein zuweisen, müsse als illusorisch betrachtet werden. Was die wesentlichen Aufgabengebiete betreffe, so sollten diese in gleicher Weise zwischen Bund und Ländern verteilt sein, wobei den Ländern eine gleichberechtigte Mitwirkung zu garantieren sei, so Bußjäger.

 

Anna Gamper, wie Bußjäger von der Universität Innsbruck, betonte die Wichtigkeit entsprechender Voraussetzungen für eine Verfassungsreform und verwies dabei auf den Umstand, dass die meisten Verfassungen wesentlich starrer sind als die österreichische, die zudem bereits an die 90 Mal geändert wurde, was dem manchmal angesprochenen Eindruck zuwiderlaufe, Österreich habe konkreten Änderungsbedarf, weil die Verfassung bislang noch nie reformiert worden sei.

 

Man müsse sich aber auch ansehen, welche Reform man anstrebe und welche Ziele man dabei verfolge. Es gelte also sowohl die Inhalte einer Reform als auch die jeweiligen Methoden, mit denen eine Reform ins Werk gesetzt werden soll, zu betrachten, meinte die Rednerin. An dieser Stelle bringe der internationale Vergleich diverser Reformprozesse entsprechende Erkenntnisse – etwa den allgemeinen Trend zu einer Dezentralisierung in Europa -, die in Österreich auch entsprechende Beachtung finden sollten.

 

Gerhart Holzinger vom Verfassungsgerichtshof konstatierte Reformbedarf der heimischen Verfassung nicht zuletzt aufgrund von Mängeln, die schon 1920 festgeschrieben wurden. Im aktuellen Reformprozess gehe es daher um eine Überwindung der konkreten Mängel, also um eine Bereinigung der Bundesverfassung, um eine Auseinandersetzung mit dem bundesstaatlichen Prinzip – Stichwort Bundesstaatsreform - sowie um eine Kodifizierung der Grundrechte in Form einer Ausarbeitung eines genuin österreichischen Grundrechtskatalogs.

 

Vor diesem Hintergrund zog der Redner eine Bilanz der bisherigen Aktivitäten, formulierte Anregungen für eine weitere Vorgangsweise auf dem Gebiet einer Verfassungsreform und skizzierte, welche Lehren aus den bisherigen Aktivitäten für die nächsten Arbeitsschritte gezogen werden könnten. Bereits jetzt gebe es einige bedeutende Ansätze, die für sich allein genommen schon ein wichtiger Fortschritt auf dem Weg zu einer Reform der heimischen Verfassung wären.

 

Der Wiener Universitätsprofessor Theo Öhlinger berichtete sodann vom Stand der Dinge bei der Arbeitsgruppe, die zur Reform der Verfassung eingesetzt wurde. Er sah die Arbeitsgruppe auf einem guten Wege, zumal man sich für eine Paketlösung entschieden habe, was eine Lehre aus dem Österreich-Konvent gewesen sei, der letztlich auch an seinem Anspruch gescheitert sei, eine Totalrevision der Verfassung ins Werk zu setzen. Dennoch habe der Konvent nicht nur wichtige Vorarbeiten geleistet, er habe auch klargelegt, dass die heimische Verfassung Reformbedarf aufweise und damit den Boden für eine solche Reform bereitet.

 

Derzeit habe man ein "window of opportunity", was auch an der regierenden Koalition liege, die sich mit dem Projekt der Verfassungsreform in der Öffentlichkeit entsprechend beweisen könnte. Der Redner ging auf die bisherigen Entwürfe der Arbeitsgruppe ein und erläuterte diese exemplarisch. Allein, wenn das erste Paket der Arbeitsgruppe im Parlament beschlossen würde, so Öhlinger, wäre dies eine größere Reform als jene, mit der man in Deutschland konfrontiert sei. Es liege also an der Politik, ob die Reform gelinge, schloss der Redner.

 

Der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol sagte, man strebe keine große Reform an, sondern schrittweise Amendments, die sich im Rahmen der Bauordnung der Verfassung bewegten und die dennoch, jedes für sich, wichtige Fortschritte darstellten. Man müsse die Lehren aus dem Europa-Konvent ziehen und daher moderat reformieren. Dabei berücksichtige man die bisherigen Erfahrungen – vom Österreich-Konvent ebenso wie von den Diskussionen rund um das Perchtoldsdorfer Paktum - und lasse auch dem einfachen Gesetzgeber entsprechenden Spielraum.

 

Insgesamt stimme die Richtung der Reform, über Details könne man aber immer reden. Khol zeigte sich überzeugt davon, dass man die Bereinigung der Verfassung ins Werk setzen und die notwendige Weiterentwicklung erreichen werde. So sei er hinsichtlich des Grundrechtskatalogs zuversichtlich, hinsichtlich der Bundesstaatsreform sei der Ausgang jedoch offen. Es gebe wichtige Vorarbeiten, doch gehe man natürlich unter Einbau der Betroffenen vor, sodass hier noch entsprechender Diskussionsbedarf bestehe.

 

Konkret kündigte der Altpräsident drei Pakete an, die von der Arbeitsgruppe vorgelegt werden würden. Das zweite Paket dürfte im November, das dritte etwa im März 2008 dem Nationalrat zugeleitet werden, dann werde der Nationalrat Gelegenheit haben, diese Themen entsprechend zu behandeln. Es bestehe also eine gute Chance, dass die österreichische Verfassung Schritt für Schritt lesbarer und lebensnaher gestaltet wird, schloss Khol.

 

In einem Schlusswort betonte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, dass der Zeitplan für die bevorstehende Reform als wesentlicher Faktor betrachtet werden müsse. Finanzausgleich und Föderalismusdebatte in Einklang zu bringen, erfordere ein hohes Maß an Geschick. Der erste Block der Reform sei gerade in Begutachtung, wobei bereits zahlreiche unterschiedliche Stellungnahmen abgegeben worden seien. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit den Inhalten müsse in jedem Falle erfolgen, da niemand in diesem Prozess übergangen werden dürfe, so Prammer. Diese Zeit der Diskussion des Pakets sei angesichts der langen Arbeit des Österreich-Konvents durchaus angemessen.

 

Die Nationalratspräsidentin dankte jenen, welche die Veranstaltung ausgerichtet hatten, und kündigte weiters die Einrichtung eines Diskussionsinstruments zur Behandlung von Themen, die über die tagespolitische Fragen hinauswiesen, an. (Schluss)