Zl. ZS-R/P/01 Sd/Er

 

HAUPTVERBAND DER ÖSTERREICHISCHEN SOZIALVERSICHERUNGSTRÄGER

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                                                                                                  Wien, 21. Oktober 2003

An den
Österreich Konvent

per e-mail: clemens.mayr@konvent.gv.at

Betr.:     Ausschuss 3 – Staatliche Institutionen

Bezug:  Ihr e-mail vom 16. September 2003 mit der Übermittlung des Mandats zur allfälligen Stellungnahme

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir danken Ihnen für die Gelegenheit, im vorliegenden Zusammenhang Stellung nehmen zu dürfen und bitten Sie, bei Ihren weiteren Arbeiten folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

1.      Allgemein

Das Bundesverfassungsrecht sollte legistisch überarbeitet werden. Das Bundeskanzleramt hat dazu schon vor Jahren umfassende Vorarbeiten geleistet, welche fortgesetzt werden sollten.

Das bedeutet nicht unbedingt, dass nur eine einzige „Verfassungsurkunde“ geschaffen werden müsste (diese wäre angesichts der Vielzahl der Materien umfangreich und vielleicht wiederum unübersichtlich). Wünschenswert wäre das dennoch, wenn eine klare Gliederung und damit auch eine Überarbeitung des Textes verbunden wird. Es sollte aber - wenn nicht doch Chancen bestehen, eine einheitliche Verfassung zu schaffen - wenigstens versucht werden, die Masse verstreut liegender Verfassungsbestimmungen in (sonst) „einfachen“ Bundesgesetzen zu erfassen und zu bereinigen.

Das Bundeskanzleramt hat dazu vor einigen Jahren bereits wertvolle Vorarbeiten geleistet, auf welche zurückgegriffen werden könnte.

Eine Bestimmung, welche ausdrücklich verhindert, dass „Gelegenheits-Verfas­sungs­gesetze“ geschaffen werden (siehe Taxikonzessionen, Vergaberecht usw.) bzw. die Zuständigkeit des VfGH dadurch umgangen wird, sollte jedenfalls überlegt werden.

2.      Definition von „Selbstverwaltung“ im B-VG

Das Regelungsdefizit (und die daraus entstehenden Unklarheiten) des B-VG hinsichtlich der Selbstverwaltungskörper wurde gerade jetzt durch das Erkenntnis des VfGH G 222/02 vom 10. Oktober 2003 („Hauptverbandsreform“)[1] wieder deutlich gemacht.

Die Kriterien, nach denen Selbstverwaltungskörper zu organisieren sind und welche Aufgaben - unter welchen Bedingungen[2] – ihnen übertragen werden dürfen, sollten im B-VG verankert werden.

Derzeit ist es so, dass die einschlägigen Regeln darüber und damit Regeln über grundlegende Gesichtspunkte der Staatsorganisation („nur“) in Erkenntnissen des VfGH zu finden sind (VfSlg. 8215 - sbg. Jägerschaft, 8644 - ÖAKT-Präsident, 14473 - Austro Control usw.).

Diese Situation sollte ein Ende finden.

Die Ära des „Verschweigens“ bzw. nur „stillschweigenden Anerkennens“ der (Sozialversicherungs-)Selbstverwaltung durch das B‑VG sollte jedenfalls beendet werden. Es ist nicht sachgerecht, wenn die Selbstverwaltung durch Höchstgerichte seit Jahrzehnten anerkannt ist, aber das im Text des B-VG keinen Niederschlag findet.

3.      stärkeres Eingehen auf volkswirtschaftliche Gesichtspunkte

Die Schwerpunkte, welche das Bundesverfassungsrecht derzeit setzt, sind historisch gewachsen und in ihrer Gewichtung nicht immer leicht nachvollziehbar:

Das Bundesverfassungsrecht bekennt sich z. B. zwar zu umfassendem Umweltschutz, ein ähnlicher, in der Praxis ebenso wichtiger Schwerpunkt hinsichtlich volkswirtschaftlicher Interessen fehlt jedoch (er lässt sich aus der Prüfungskompetenz des Rechnungshofes ableiten, vgl. auch § 31 Abs. 3 Z 2 ASVG).

Es sollte festgelegt werden, dass volkswirtschaftliche Interessen beim Handeln von Verwaltungsbehörden und anderen Entitäten allgemein zu beachten sind. Das Recht der EU verhindert das nicht (vgl. die Bestrebungen der EU zum Thema „Europa der Regionen“ usw.).

4.      Krankenanstaltenrecht:

Die bestehende Rechtslage (Art. 12 B-VG, Grundsatzmaterien) ist umständlich. Sie mag vor Jahrzehnten bei der Einführung des B-VG sachkonform gewesen sein, angesichts der heutigen Transport- und Reisemöglichkeiten (vgl. die Rettungshubschrauber) ist es jedoch nicht mehr zweckmäßig, für jedes Land eigene Regeln über z. B. Krankenanstaltenbehandlung aufrecht zu erhalten. Beleg dafür ist, dass bereits seit 1978 diese Regeln im Wege von Vereinbarungen nach Art. 15a B-VG vereinheitlicht werden und auch eine sonstige Koordination weitgehend über diese Vereinbarungen erfolgen muss.

Diese Koordination im Krankenanstaltenrecht auf Bundesebene hat sich in den letzten Jahrzehnten als sinnvoll erwiesen. Sie sollte eine endgültige Basis erhalten – nicht zuletzt auch, um für die Zukunft zu vermeiden, dass alle ca. vier Jahre parallel zum Finanzausgleich eigenständige Verhandlungen über die Krankenanstaltenfinanzierung abgehalten werden müssen.

Es sollte versucht werden, das Krankenanstaltenrecht zu vereinfachen, zu vereinheitlichen und es somit als Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung zu gestalten, weil auch die hauptsächliche Finanzierung dieses Bereiches aus Bundesmitteln (bzw. Mitteln bundesgesetzlich eingerichteter Sozialversicherungsträger) erfolgt.

Das würde – neben einer rechtlichen Vereinfachung – auch spürbare Verbesserungen und wohl auch finanzielle Einsparungen durch den Abbau von Parallelstrukturen (medizinische Untersuchungen in freier Praxis und deren Wiederholung im Spital usw.) bewirken. Auch eine bessere örtliche Verteilung der Behandlungskapazitäten würde dadurch erreichbar (vgl. die Situation Wiens bei der Behandlung von Patienten aus dem Wiener Umland).

5.      Vereinbarungen nach Art. 15a B-VG

Diese Vereinbarungen sind als „(Glied-)Staatsverträge“ zwar öffentlich-recht­li­cher Natur, wirken in der Praxis aber ähnlich wie Verträge über den Finanz­ausgleich. Die Sozialversicherungsträger – als Hauptfinanciers im Krankenanstaltenbereich – sind nicht Vertragspartner dieser Verträge. Wirtschaftlich betrachtet führt das dazu, dass diese Verträge wie Verträge zu Lasten Dritter wirken – eine Situation, die nach dem ABGB (§§ 878 ff.) nicht zulässig wäre.

Es solle diskutiert werden, den Betroffenen vor dem Abschluss von Vereinbarungen nach Art. 15a B-VG zumindest ein formelles Anhörungsrecht und formelle Anfechtungsmöglichkeiten einzuräumen, weil bis zur Umsetzung der Verträge durch die entsprechenden  Bundes- und Landesgesetze manchmal Jahre vergehen.

Jedenfalls sollte das Stimmgewicht in Gremien der 15a-Vereinbarungen den tatsächlichen Zahlungslasten angepasst werden.

Abgesehen davon: Die Umsetzung dieser Vereinbarungen ist – unabhängig von ihrem Inhalt – derzeit schwierig: Es müssen praktisch wortidente Gesetze des Bundes und aller Länder beschlossen werden. Dadurch entsteht (vgl. die Vorgangsweise im Krankenanstaltenbereich) regelmäßig vergleichsweise hoher Aufwand in legistischer und administrativer Sicht, welcher dadurch ersatzlos entfallen könnte, dass diese Verträge (wenn sie schon beibehalten werden müssten, wenigstens) self-exe­cu­ting würden.

Weiters kommt es im Rahmen von 15a-Vereinbarungen immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten.

Derzeit werden diese Meinungsverschiedenheiten im ordentlichen Rechtsweg ausgetragen, was angesichts der in Rede stehenden Themen zu äußerst hohen Streitwerten und damit hohen Verfahrenskosten führt.

Ein Musterbeispiel ist das Verfahren 15 Cg 143/99f vor dem LGZRS Wien, in welchem das Land Oberösterreich den Hauptverband auf Zahlung von 35,7 Millionen Euro geklagt hat und in welchem es darum geht, die Auslegung des Art. IV des BG vom 16. 12. 1991, BGBl. 702/1991 (!) zu ermitteln (dem Verfahren gingen im gleichen Zusammenhang Verfahren vor dem VfGH voraus).

Die hohen Kosten des Zivilrechtsweges für solche Verfahren sollten vermieden werden. Eine zivilgerichtliche Klärung über zehn Jahre nach Kundmachung der entsprechenden Bestimmung ist ebenfalls nicht sachgerecht.

Es wird vorgeschlagen, zur Entscheidung von Streitigkeiten aus Vereinbarungen nach Art. 15a B-VG und anderen Gliedstaatsverträgen eine Streitschlichtung etwa in Form eines Schiedsgerichtes oder einer zusätzlichen Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes einzurichten. Anträge an diese Schlichtungsinstanz sollten (vgl. die Verfahren beim VfGH) von allen Betroffenen ohne Einschaltung eines vorangehenden Instanzenzuges direkt gestellt werden können.

6.      Organisation der sozialen Krankenversicherung - Krankenfürsorgeanstalten

Derzeit sind im Gesetz 17 so genannte „Krankenfürsorgeanstalten“ - KFA angeführt (§ 2 Abs. 1 Z 2 B-KUVG).

Eine bundesgesetzliche Koordination dieser Einrichtungen war in der Vergangenheit nicht möglich, weil es sich um dienstrechtlich begründete Einrechtungen von Ländern und Gemeinden handelt.

Die Existenz und Aufgaben dieser Institute, bei denen es sich de facto um Betriebskrankenkassen für Beamte bestimmter Länder und Gemeinden handelt, sei hier nicht in Frage gestellt.

Wohl aber sei darauf hingewiesen, dass diese Institute nicht in die allgemeinen organisatorischen Abläufe eingebunden sind, wie sie zwischen Sozialversicherung und staatlichen Behörden wie z. B. Finanzverwaltung, Justiz, Jugendwohlfahrt, Sozialhilfe etc. umfassend bestehen.

Das zeigt sich an vielleicht trivialen Beispielen, die aber im Einzelfall spürbare Reibungsverluste durch Rückfragen, Unklarheiten etc. bewirken:

So sind Zeiten, für die Schutz bei einer Krankenfürsorgeanstalt bestand, zwar nach § 121 Abs. 4 Z 2 und Z 4 ASVG für die Beurteilung von Leistungsansprüchen anzurechnen, nach § 123 Abs. 1 Z 2 ASVG als Ausschlussgrund für eine Angehörigen-Mitversicherung oder nach § 12 Abs. 1 Z 1 BPGG als Ruhensgrund für Pflegegeld zu berücksichtigen; diesen Verpflichtungen steht in der Praxis jedoch das Hindernis entgegen, dass die Versicherten der Krankenfürsorgeanstalten nicht in die Allgemeine Sozialversicherungsorganisation eingebunden sind, insbesondere müssen für Versicherte der KFA keine Versicherungsnummern (§ 31 Abs. 4 Z 1 ASVG) vergeben sein, was in jedem Einzelfall bedeutet, dass die entsprechenden Meldungen nicht reibungslos EDV-technisch verarbeitet werden können.

Die KFAs werden de lege lata auch nicht in das Chipkartensystem der Sozialversicherung eingebunden sein, sodass für KFA-Angehörige die Chipkarten von der Gebietskrankenkasse auszustellen sein werden, ohne dass hiefür entsprechende Unterstützungsverpflichtungen seitens der KFA vorliegen (§ 31b Abs. 3 2. Satz ASVG).

Um Reibungsverluste im Gesundheitswesen zu verringern, wird vorgeschlagen, die Mitglieder der KFA und deren Angehörige in die Organisation des Chipkartensystems einzubeziehen.

Das käme auch dem Arbeitsbereich „Bürgerkarte“ des Bundeskanzleramtes, der Vollziehung des geplanten E-Government-Gesetzes und damit der breiten Einführung transparenter und rascher Verwaltungsabläufe zu Gute.

7.      Amtssachaufwand bei Amtshilfe

Die Sozialversicherung ist in den letzten Jahrzehnten auf Grund ihrer umfassenden Datenbestände zu einem zentralen Amtshilfeträger in der Republik Österreich geworden: Auskünfte an Finanzverwaltung, Justizverwaltung, Sozialhilfeträger, Jugendwohlfahrt uva. werden seit Jahren in sehr hoher Zahl erteilt (derzeit allein z. B. über 9.000 Auskünfte pro Arbeitstag an die Gerichte).

An sich ist gegen die in Rede stehenden Auskunftsverpflichtungen nichts einzuwenden, weil sie der Verfahrensbeschleunigung in den jeweiligen Verwaltungsmaterien und Gerichtsverfahren dienen.

Es gibt aber keine eindeutigen Regeln, nach welchen solche Auskunftserteilungen abgerechnet werden bzw. verrechnet werden dürfen.

Das führt dazu, dass im Wege von Amtshilfebestimmungen die damit verbundenen Budgetbelastungen auf die amtshilfeverpflichtete Stelle verlagert werden und im Verfahrensbereich eine „schleichende Umgehung des Finanzausgleichs“ stattfindet. Die in Rede stehenden Beträge mögen im Einzelfall gering sein, machen aber in Summe über längere Zeit durchaus nennenswerte Summen aus. De facto sind Teile des Verfahrensaufwandes nicht von (bzw. von Parteien, bei) der jeweils zuständigen Behörde (§ 75 Abs. 1 AVG) zu finanzieren, sondern von einer außenstehenden auskunftsverpflichtenden Stelle aus deren Budget.

Der Grundsatz, wonach Amtshilfe im Wesentlichen kostenlos ist (= der daraus entstehende EDV- und Personalaufwand nicht verrechnet werden kann), sollte diskutiert werden, weil die derzeitige Praxis nicht zur Kostenwahrheit in den jeweiligen Verfahrensbereichen beiträgt.

Da soll jedoch nicht dazu führen, dass Einzelverrechnungen eingeführt werden; es wird vorgeschlagen, hiefür Pauschalierungsregeln (auf der Basis der lt. EDV-Pro­tokollierung leicht feststellbaren Mengengerüste) ins Auge zu fassen, vgl. § 82 ASVG.

Für eine weitere Diskussion unserer Vorschläge stehen wir selbstverständlich gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
Für die Geschäftsführung:

                                                                                  Dr. Kandlhofer e. h.



[1] siehe http://www.vfgh.gv.at/vfgh/presse/G222_18_02.pdf.

[2] siehe das „Überbürdungsverbot“ nach VfGH 19. 12. 1977, G 11 u.a/77 und das zu diesem Erkenntnis ergangene Rundschreiben des BKA vom 3. 8. 1978, GZ 601.788/1-VI/1/78.