ANTRAG AUF EINLEITUNG EINES VOLKSBEGEHRENS

 

An den

Bundesminister für Inneres

Gemäß § 3 Abs. 1 des Volksbegehrengesetzes 1973 wird die Einleitung eines Volksbegehrens mit folgendem Wortlaut beantragt:

 

ANTRAG

an den Nationalrat

 

betreffend ein Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich (BGBl. I 1999/149) und das Bundes-Verfassungsgesetz geändert werden.

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

Bundesgesetz, mit dem das Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich (BGBl. I 1999/149) und das Bundes-Verfassungsgesetz geändert werden.

 

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

Artikel I

 

Das Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich (BGBl. I 1999/149) wird wie folgt geändert:

 

1. Nach § 2 wird folgender neuer § 2 a eingefügt:

 

§ 2 a

(1) Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung sind verpflichtet, sich bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union für einen Ausstieg der EU-Mitgliedstaaten aus der Kernenergie einzusetzen.

(2) Diese Pflicht bezieht sich insbesondere

a) auf das Erwirken von Rechtsakten der Europäischen Union, welche vorsehen, dass Anlagen, die dem Zweck der Energiegewinnung durch Kernspaltung oder -fusion dienen, in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht mehr errichtet werden und sofern solche bereits bestehen, nicht in Betrieb genommen bzw. wieder außer Betrieb gestellt werden;

b) auf das Erwirken der Auflösung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. März 1957 (EURATOM-Vertrag) und Unterstellung der von diesem Vertrag erfassten Industriezweige unter die Wettbewerbsregeln des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25. März 1957 (EG-Vertrag);

c) auf das Erwirken einer einheitlichen Atomhaftungsrichtlinie nach dem Vorbild des Atomhaftungsgesetz 1999. 

(3) Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung dürfen bei Verhandlungen und Abstimmungen in der Europäischen Union ihre Zustimmung zu Beschlüssen, die dem Ziel des europaweiten Atomausstiegs entgegenstehen, nicht erteilen.

Dies umfasst insbesondere Forschungsprogramme im Bereich der Kernspaltung und -fusion und der Entwicklung neuer Reaktorkonzepte, sowie die Mittel- und Kreditvergabe für  Kernkraftwerke.

 

Artikel II

 

Das Bundes-Verfassungsgesetz wird wie folgt geändert:

 

1. In Art. 142 Abs. 2 lit. b) und c) wird die Wortfolge "durch Beschluss des Nationalrates" ersetzt durch die Wortfolge "durch Beschluss von mindestens einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates".

 

2. In Art. 142 wird nach Abs. 2 folgender neuer Abs. 3 eingefügt:

"(3) Jeder von 100 000 Stimmberechtigten gestellte Antrag auf Erhebung einer Anklage gemäß Abs. 2 lit. b und c ist von der Bundeswahlbehörde dem Nationalrat zur Behandlung vorzulegen. Das Nähere wird durch Bundesgesetz bestimmt."

 

3. In Art. 142 erhalten die Abs. 3 bis 5 die Bezeichnung 4 bis 6.

 

Artikel III

 

Dieses Bundesverfassungsgesetz ist nach Beendigung des Verfahrens gemäß Art. 42 B-VG, jedoch vor der Beurkundung durch den Bundespräsidenten einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes zu unterziehen.

 

*****

 

Begründung:

 

Ausgangslage

 

Durch das Atom-BVG[1] wurde die von breitem gesellschaftlichen Konsens getragene Grundsatzentscheidung Österreichs gegen die militärische und friedliche Nutzung der Kernenergie auch verfassungsrechtlich verankert. Hingegen stellt sich die Rechts- und Faktenlage in den übrigen aktuellen und potentiellen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anders dar.

Zwar sind sieben EU-Mitgliedstaaten (Dänemark, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Österreich und Portugal) nie in die Kernenergienutzung ein- bzw. bereits wieder ausgestiegen. Doch die übrigen acht Staaten betreiben zur Zeit KKWs, die im Jahr 2000 ca. 15 % des gesamten gemeinschaftlichen Energiebedarfs decken. Fünf davon haben den Ausstieg beschlossen oder angekündigt (Belgien, Deutschland, Niederlande, Schweden und Spanien), während drei Mitgliedstaaten (Großbritannien, Finnland und Frankreich) dies auf absehbare Zeit nicht beabsichtigen. Von den zwölf Beitrittskandidaten, mit denen zur Zeit Verhandlungen über eine Aufnahme in die EU laufen bzw. gerade Beitrittsverträge abgeschlossen werden, betreiben sieben KKWs (Bulgarien, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn).

Durch einschlägige Zwischenfälle wird immer wieder die grenzüberschreitende Dimension der Folgen von Zwischen- und Störfällen im Zusammenhang mit der (friedlichen) Nutzung der Kernenergie vor Augen geführt. Daraus erwachsende Emissionen machen nicht an den Staatsgrenzen halt.

Aus diesem Grunde muss auf europäischer Ebene eine rechtlich verbindliche Weichenstellung zu einem "atomfreien Europa" - worunter im folgenden der zumindest mittelfristige Ausstieg aus der Kernenergienutzung (durch den Genehmigungsstopp für neue Anlagen und die Festlegung verbindlicher Stilllegungstermine) verstanden sei - vorgenommen werden.

Mit dem vorliegenden Volksbegehren wird eine Verfassungsänderung angestrebt, durch die die österreichischen Vertreter[2] im Rat, dem Hauptrechtsetzungsorgan im Verbund der Gemeinschaftsrechtsordnung, zu einem dahingehenden Wirken im Rat verpflichtet werden.

Die Europäische Gemeinschaft hat durch Art. 174 in Verbindung mit Art. 175 Abs. 2 EG-Vertrag über die Umweltpolitik die Kompetenz, den Ausstieg der Mitgliedstaaten aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie verbindlich zu beschließen. Ein solcher Beschluss wäre auf Vorschlag der Kommission vom Rat einstimmig zu fassen.

Nach geltender Verfassungsrechtslage (Art. 23 e B-VG) kann der Nationalrat von Fall zu Fall den österreichischen Vertreter im Rat durch Stellungnahme zu einem Eintreten für einen EU-weiten Ausstieg aus der Kernenergienutzung verpflichten. Das zuständige Mitglied der Bundesregierung kann davon aber aus "zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen" abweichen.

 

ad Artikel I.

 

ad § 2 a Abs. (1) und Abs. (2) lit. a):

 

Es wird die Schaffung einer Verfassungsnorm angestrebt, die die österreichischen Ratsmitglieder mit Verhaltensanordnungen zugunsten eines EU-weiten Ausstiegs aus der Kernenergienutzung im Rahmen der Verhandlungen im Rat versieht, also eine dahingehende Verwendungspflicht generell-abstrakt normiert.

Im Gegensatz zu Anordnungen im Einzelfall durch den Nationalrat gemäß Art. 23 e B-VG soll es dem österreichischen Ratsmitglied dabei nicht möglich sein, aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen von dieser Verpflichtung abzuweichen.

Gemeinschaftsrechtlich (vor allem im Hinblick auf die in Art. 10 EG-Vertrag enthaltene Solidaritätsverpflichtung der Mitgliedstaaten) ist diese Bindung der österreichischen Vertreter im Rat mit Verhaltensanordnungen zugunsten eines EU-weiten Ausstiegs aus der Kernenergienutzung durchaus möglich.

Die Mitglieder des Rates agieren in diesem Gemeinschaftsorgan als "Vertreter ihrer Mitgliedstaaten" (Art. 203 EG-Vertrag). Da es dem nationalen Verfassungsrecht nicht verwehrt sein kann, dieses Vertretungsverhältnis zwischen Mitgliedstaat und zuständigem Bundesminister als Vertreter dieses Mitgliedstaates - und eben nicht als Träger eines freien Mandats - näher auszugestalten, ist auch eine generell-abstrakte strikte Bindung gemeinschaftsrechtlich zulässig.[3]

Gemeinschaftsrechtlich unzulässig wäre lediglich eine generell-abstrakte Norm (aber auch eine politische Maxime), die eine Obstruktion sämtlicher einstimmiger Ratsbeschlüsse bis zur Erreichung eines bestimmten Zieles anordnete. Diesfalls würden wegen der Gefährdung der Funktionsfähigkeit des Rates durch Lähmung seiner Entscheidungsprozesse Loyalitätspflichten aus dem EG-Vertrag verletzt. Dies ist mit dem hier gewählten Modell jedoch nicht der Fall. Eine Unterstützung erfährt die (indirekte) Beteiligung der nationalen Rechtserzeugungsorgane am Entscheidungsprozess im Rat in einem dem Vertrag von Amsterdam beigefügten "Protokoll über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union". In der Präambel dieses Protokolls, das gemäß Art. 311 EG-Vertrag zum Bestandteil dieses Vertrages wird, ist ausgeführt, dass "die Kontrolle der jeweiligen Regierungen durch die einzelstaatlichen Parlamente hinsichtlich der Tätigkeiten der Union Sache der besonderen verfassungsrechtlichen Gestaltung und Praxis jedes Mitgliedstaates ist". [Zu alldem vgl. im Detail das Gutachten von Leidenmühler, Gemeinschaftsweiter Atomausstieg: EG-Kompetenzen und nationale Ministerbindung].

 

ad § 2 a Abs. (2) lit. b):

 

Mit dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25. März 1957 (Euratom-Vertrag) wurde eine internationale Organisation zur Kontrolle und Koordinierung im Bereich der zivilen Nuklearwirtschaft mit der Aufgabe der gemeinschaftlichen Förderung der Kernenergieproduktion errichtet. Der Euratom-Vertrag ist dabei als lex specialis zum EG-Vertrag konzipiert. Damit erhebt der EG-Vertrag keinen Regelungsanspruch, soweit Sachbereiche im Euratom-Vertrag geregelt sind. Dies betrifft u.a. das Wettbewerbsrecht. Der Euratom-Vertrag weist in diesem Bereich kein den Kartell- und Beihilfenregeln des EG-Vertrags vergleichbares Regime auf.

Die Integrierung des Euratom-Vertrages in den EG-Vertrag mit der damit verbundenen Unterstellung der von diesem Vertrag erfassten Industriezweige unter die Wettbewerbsregeln des letzteren wäre eine so genannte Primärrechtsänderung. Diese Verwendungspflicht der österreichischen Bundesregierung bzw. ihrer Mitglieder bezieht sich folglich auf ein entsprechendes Agieren im Rahmen einer Regierungskonferenz zur (einstimmigen) Änderung der Gründungsverträge.

 

ad Artikel II.

 

Art. 142 Abs. 2 lit. c B-VG sieht vor, dass ein österreichisches Ratsmitglied vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) wegen Gesetzesverletzung[4] rechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.

Nach geltendem Recht ist dabei in Angelegenheiten der Bundesgesetzgebung nur der Nationalrat (mit Mehrheit der abgegebenen Stimmen bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder[5]) antragslegitimiert.

Die vorgeschlagene Änderung, die aus Gründen des Ausschlusses sachlich nicht gerechtfertigter Differenzierungen auch Art. 142 Abs. 2 lit. b B-VG mit umfasst, zielt auf den Ausbau demokratischer Kontrollrechte ab.

Zum einen soll das Recht zur Ministeranklage zu einem Recht der (qualifizierten) parlamentarischen Minderheit werden. Dies ist - im Gegensatz zum Misstrauensantrag, der selbstredend ein Mehrheitsrecht bleiben muss - als Stärkung oppositioneller Kontrollrechte vertretbar, hat doch schließlich mit dem VfGH ein unabhängiges Gericht in einem ordentlichen Verfahren über die Frage des Vorliegens schuldhafter Rechtsverletzungen des Amtsträgers zu entscheiden.

Zum anderen soll auch dem Volk die Möglichkeit eingeräumt werden, an den Nationalrat den Antrag zu stellen, eine Ministeranklage zu erheben. Da damit, ähnlich wie beim Institut des Volksbegehrens, keine Bindungswirkung für den Nationalrat hergestellt wird, bleibt durch diese systemkonforme Entwicklung das repräsentativ-demokratische Prinzip der Bundesverfassung unangetastet. Vielmehr kann diese Möglichkeit als ein Schritt zur Verwirklichung des Anliegens des Ausbaus der direkten Demokratie im Rahmen eines durch alle im Parlament vertretenen Parteien regelmäßig angekündigten umfassenderen Demokratiepakets verstanden werden.

 

ad Artikel III.

 

Eine Volksabstimmung über den vorliegenden Entwurf wäre nicht zwingend vorgeschrieben. Da aber durch die Abstimmung der demokratische Souverän, das Volk, unmittelbar und direkt eine materielle Entscheidung trifft - unter Ausschaltung aller intermediären Einrichtungen wie Parlament, Regierung, Parteien und Verbände - kommt dem durch Volksabstimmung getroffenen Beschluss ein besonders hoher demokratischer Stellenwert zu. Somit wäre es ungeachtet der für vorliegende Verfassungsänderung ohnehin erforderlichen breiten parlamentarischen Mehrheit sinnvoll, diese verfassungsrechtlichen Handlungsaufträge einer Volksabstimmung zu unterziehen, weil sie dadurch das höchstmögliche politische Gewicht erhalten und als direktdemokratisches Votum der österreichischen Bevölkerung den österreichischen Ratsmitgliedern ein stärkeres Mandat verleihen als "nur" die verfassungsrechtliche Rückendeckung.

Und - sollte diese Gesetzesinitiative in Form eines Volksbegehrens eingebracht werden - zieht man in Betracht, dass die für ein erfolgreiches Volksbegehren erforderlichen 100.000 Stimmberechtigten nur eine Minderheit des Gesamtvolkes darstellen, und überdies jene, die das Volksbegehren ablehnen, im Verfahren zu dessen Zustandekommen gar nicht in Erscheinung treten, so vermag erst das Plebiszit (zusätzlich zur erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat) diese Grundsatzentscheidung auf breitestmöglicher Basis zu legitimieren.

Materiell handelt es sich bei vorliegender Gesetzesinitiative um den Vorschlag zu einer Teiländerung der Bundesverfassung im Sinne des Art. 44 Abs. 3 B-VG. In solchem Falle kann, "wenn dies von einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates verlangt wird", ein fakultatives Verfassungsreferendum durchgeführt werden. Dieses Verlangen ist in vorliegendem Falle zur Herbeiführung einer Volksabstimmung nicht erforderlich, es wird durch die Zustimmung des Nationalrates zu Art. III des vorliegenden Gesetzesantrags substituiert.[6]

Die Billigung des Gesetzesbeschlusses in der Volksabstimmung bewirkt im übrigen keine Rangerhöhung, die Teiländerung der Verfassung wird dadurch nicht zur Gesamtänderung.



[1] Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich (BGBl. I 1999/149).

[2] Männliche Endungen sollen im folgenden immer als geschlechtsneutral verstanden werden.

[3] Vgl. Schäffer, Österreichs Beteiligung an der Willensbildung in der EU, insbesondere an der europäischen Rechtsetzung, in: ZÖR 1996, S. 3 ff. (S. 70 f.); Bleckmann, Europarecht6 (Köln 1997), S. 101; Öhlinger, Art. 23 e B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Kommentar zum B-VG (Wien 1999), Rn. 18.

[4] Darunter ist die Verletzung sowohl von einfachen als auch von Verfassungsgesetzen zu verstehen. Vgl. Ringhofer, Die österreichische Bundesverfassung (Wien 1977), S. 482.

[5] Vgl. Art. 31 i.V.m. Art. 76 Abs. 2 B-VG.

[6] Vgl. diese Möglichkeit bei Merli, Art. 41/2 B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg.), Kommentar zum B-VG (Wien 1999), Rn. 15 f. ("Bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen zulässig sind aber Volksbegehren auf Erlassung von (Verfassungs-)Gesetzen, die derartige Akte, etwa den Beschluss, eine Volksabstimmung oder eine Volksbefragung zu einem bestimmten Thema abzuhalten, ersetzen“).